Karel Hynek Mácha: Spannende Geschichte der Originalhandschrift des „Mai“-Gedichts

Karel Hynek Máchas „Mai“

Das Jahr 2010 ist ein Jubiläumsjahr des tschechischen Dichters Karel Hynek Mácha. Über den tschechischen Kultromantiker ist mittlerweile sehr viel gesagt und geschrieben worden - auch bei Radio Prag. Ist es also nicht überflüssig, das Thema wieder aufzugreifen? Wir haben es aus aktuellem Anlass des 200. Geburtstages von Karel Hynek Mácha gewagt und glauben, Ihnen im heutigen Kultursalon doch etwas erzählen zu können, wdas bei uns bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist.

Am 16. November 1810 in Prag geboren und 26 Jahre später, am 6. November 1836, im nordböhmischen Litoměřice / Leitmeritz gestorben. Trotz seines kurzen Lebens und keineswegs umfangreichen Werks ist Karel Hynek Mácha bald oder sogar gleich nach seinem Tod zum Kultautor geworden: zu einem wandelbaren Mythos, mit dem im Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts auf vielerlei Art und Weise umgegangen wurde. Recht häufig wurde ein Jahrestag, der mit Máchas Leben verknüpft war, zum Anlass für Feierlichkeiten im ganzen Land genommen. So wie es auch in diesem Jahr der Fall ist. Im April 1836 erschien Máchas größtes und bekanntestes Werk: das über 820 Verse umfassende Gedicht „Mai“. Das war knapp ein halbes Jahr vor seinem Tod.

Byl pozdní večer, první máj - Spätabend war´ s - der erste Mai večerní máj byl lásky čas - Ein Abendmai - der Liebe Zeit Hrdliččin zval ku lásce hlas - Zur Liebe lud des Täubchens Schrei kde borový zaváněl háj - wo der Kiefernhain die Düfte streut…

Máchas „Mai“
So beginnt die erste Strophe des Gedichts, das hierzulande Pflichtlektüre mehrerer Generationen war und bis heute ist. Es war ein gutes Timing für seine spätere Wahrnehmung. Am 1. Mai 1836 war es auf der Welt und erreichte auch manchen Leser. Ganz reibungslos verlief die Herausgabe indes nicht. Das Gedichtbändchen erschien im Selbstverlag des Autors in einer Auflage von 600 Exemplaren. Ohne einen Sponsor wäre dies damals für einen frischgebackenen Juristen nicht möglich gewesen. Den fand er aller Wahrscheinlichkeit nach in Jan Nepomuk Krouský. Damit begann eine spannende Geschichte, die sich um die erhalten gebliebene Originalhandschrift von Máchas Mai rankt. Das Original befindet bis heute im Besitz der Nachkommen des erwähnten Jan Nepomuk Krouský. Sein Urururenkelsohn Jan Krouský ist der Geschichte nachgegangen. Über seinen Urururgroßvater Jan Nepomuk sagt Krouský:

Karel Hynek Mácha
„Er wurde in Katusice bei Mladá Boleslav / Jungbunzlau geboren, wo er auch aufwuchs. Er war Tscheche mit Leib und Seele und außerdem auch ein politisch und kulturell aktiver Mensch. Er hat sich zum Beispiel um die Entstehung einer umfassenden Bibliothek mit Büchern aus der Frühperiode der sogenannten ‚Nationalen Wiedergeburt’ sowie Werken aus den 1770er und 1780er Jahren verdient gemacht. Er stand auch in engem Kontakt zu den führenden Vertretern der von nationalen Akzenten getragenen Wiedergeburts-Periode. Dank seiner guten finanziellen Lage war er auch als deren Mäzen bekannt.“

Im Mai 1843 erschien in der Zeitschrift „Květy“/ Blumen eine Nachricht, in der Máchas Bruder Michal versprach, die Werke von Karel Hynek in einem Sammelband herauszugeben. Er und ein weiterer Propagator von Máchas Werk, Karel Sabina, der unter anderem als Literat und Librettoautor einiger Opern von Bedřich Smetana in die Geschichte einging, hatten nicht genug Geld. Mit seinem Anliegen sollen sie sich also an den tschechischen Patrioten Jan Nepomuk Krouský gewandt haben. Dessen Nachkomme Jan Krouský sagt dazu:

Statue des Dichters Karel Hynek Mácha in Prag | Foto: Kristýna Maková,  Radio Prague International
„Aller Wahrschinlichkeit nach bat der Bruder von Karel Hynek Mácha bei einem Besuch in Katusice meinen Vorfahren um eine finanzielle Beteiligung an der zweiten ‚Mai’-Auflage. Es ist nämlich das Konzept eines an Michal Mácha adressierten Briefes erhalten geblieben, in dem Krouský mit einem Hinweis auf den angeblichen - wie es wörtlich hieß - ´Mangel an Metall´, an Geld also, schrieb, der Bitte um Hilfe nicht entsprechen zu können. Kurz danach reiste Krouský aber nach Prag und konsultierte die Angelegenheit mit Sabina. Etwas später landete die Handschrift von Máchas ´Mai´ in seiner Bibliothek. Mehr ist nicht bekannt. Wie es dazu kam, dass sie in unserer Bibliothek aufgetaucht ist, ist bis heute ein Geheimnis geblieben.“

Aufgetaucht ist sie Anfang des 20. Jahrhunderts. Darum machte sich ein Familienmitglied der Krouskýs, der Gymnasiallehrer Jan Šafránek, verdient. Seine „Entdeckung“ erregte damals großes Aufsehen:

Jan Nepomuk Krouský
„1916 forschte der Schwager von Jan Nepomuk Krouský in der Familienbibliothek und fand dabei ein paar Zettel, auf denen handgeschriebene Ausschnitte aus Máchas ‚Mai’ zu lesen waren. Die Handschrift kam ihm bekannt vor. Er fand später noch weitere Zettel, die als Lesezeichen aus verschiedenen Zeitschriften hervorguckten. Und so gelang es wie durch ein Wunder, die Handschrift von Máchas ‚Mai’ komplett zusammenzustellen. Damit fuhr dann Jan Nepomuk Krouský nach Prag, um die Handschrift renommierten Literaturhistorikern zur Beurteilung vorzulegen. Diese identifizierten sie als Máchas Originalschrift.“

Die totalitären Regime der Nazizeit und des Kommunismus brachten dieses bedeutende Kulturdenkmal allerdings erneut in Gefahr:

„Während der Verstaatlichung des Eigentums der Familie Krouský in den 1950er Jahren verschwand plötzlich die Handschrift von Máchas ´Mai´. Der Familie gelang es nämlich, sie rechtzeitig an einem geheimen Ort zu verstecken. Die Bibliothek wurde gleich nach dem Beschluss über ihre Beschlagnahmung versiegelt. Meiner Großmutter gelang es aber offensichtlich noch kurz davor, sich in die Bibliothek einzuschleichen und die Handschrift herauszuschmuggeln. Die Beamten fanden sich letztlich mit dem Gedanken ab, dass die Hadschrift wegen des Durcheinanders während der Beschlagnahmung durch einen Diebstahl verschwunden und anschließend vernichtet worden sei.“

Bis in die 1960er Jahre galt Máchas Handschrift als verschollen. Dann aber tauchte sie wieder auf. Es gab Leute, die nicht daran glaubten, dass das wertvolle Kulturgut einfach verschwinden konnte. Man war davon überzeugt, dass sich die Handschrift im Besitz der Familie Krouský befinde. Ihre sehr enge Verbindung zu diesem Werk hätte kaum seine Entwendung zugelassen, meinte man damals. In der Tat: Der Urururenkelsohn von Jan Nepomuk Krouský bestätigt diese Version:

„Der ´Mai´ war mehrere Jahre bei Verwandten unserer Familie deponiert. In ihrer privaten Bibliothek lag er gut versteckt. In den 1960er Jahren kehrte das Bändchen wieder zur Familie Krouský zurück. Die kommunistische Macht befürchtete einen internationalen Skandal und ordneten daher keine zweite Verstaatlichung an. Durch die Person von Josef Smrkovský, einem der damaligen Spitzenpolitiker, zeigten die Kommunisten eine Geste und ließen die Handschrift im Besitz unserer Familie, wo sie sich bis heute befindet.“

Die Mai-Handschrift haben nur wenige Zeitgenossen von Jan Krouský gesehen. Er selbst nur dreimal, seine Kinder noch gar nicht, behauptet er. Es werde auch nicht damit gerechnet, sie anlässlich des 200. Geburtstags von Mácha zu zeigen. Dafür aber im Jahr 2016, beim 100. Jahrestag der Wiederentdeckung der Mai-Handschrift. Máchas Gedicht, das auch vertont wurde und zur Filmvorlage und Inspirationsquelle für zahlreiche weitere Dichtergenerationen sowie für bildende Künstler diente, wird aber sicherlich nach wie vor nicht nur am ersten Maitag gelesen. Im Rahmen de diesjährigen Festveranstaltungen werden seine Verse auch beim traditionellen Nonstop-Lesen in der letzten Maiwoche zu hören sein. In Prag, aber auch in einigen europäischen Städten.