Zwischen Gabelstaplern und Ostereiern

Foto: Archiv des Museums der Mährischen Slowakei

Kunterbunte Osterdekorationen überall in den Geschäften und ein üppiges Angebot an Osterlämmchen, Osterhasen, Ostereiern und Osterruten – so sieht es in Tschechien derzeit aus. Nicht auf den ersten Blick allerdings sind die vielen Frauen zu sehen, deren geschickte Hände flink und kunstvoll Ostereier verzieren.

Foto: Archiv des Museums der Mährischen Slowakei

Marie Sekaninová  (Foto: Archiv des Museums der Mährischen Slowakei)
Marie Sekaninová ist 82 Jahre alt. Sie wurde in der südmährischen Gemeinde Topolná geboren, in der sie auch heute noch lebt. Freundlich, vital und positiv – so wirkt sie im Gespräch. Mit ihrem Mann, den sie schon als junges Mädchen in der elektrotechnischen Berufsschule kennengelernt hatte, zog sie drei Kinder groß. Vor der Geburt des ersten Kindes arbeitete sie als Technikerin in der Sendeanlage Topolná. Von dort wurden, nebenbei gesagt, eine ganze Zeitlang auch die Auslandsprogramme des Tschechoslowakischen Rundfunks, also Radio Prag ausgestrahlt.

Nach ihrem dritten Mutterschaftsurlaub begann Marie Sekaninová mit 24 Jahren, im Betrieb „Fatra Napajedla“ zu arbeiten – und zwar als Gabelstapler-Fahrerin. Ihre Arbeit war schwer und nicht ohne Risiko. Zu ihren Aufgaben gehörte unter anderem auch, die Batterien der Gabelstapler wieder mit Schwefelsäure zu befüllen. Das alles sei eigentlich Männerarbeit gewesen, sagt Marie Sekaninová mit einem Lächeln. Doch bis zur Rente blieb sie bei diesem harten Beruf, in dem in zwei Schichten gearbeitet wurde.

Foto: Archiv des Museums der Mährischen Slowakei
„Als Mutter von drei Kindern konnte ich 1991 mit 54 Jahren in Rente gehen. Ich wurde direkt an meinem Geburtstag pensioniert. Zuvor hatte ich mich außer um die Kinder und den Haushalt auch um meine Eltern gekümmert, die damals schon älter waren. Meine Mutter war 33, als ich geboren wurde, und starb mit 94 Jahren. Handarbeiten konnte ich nur spät abends machen. Das ging oft bis nach Mitternacht. Und um halb fünf in der Früh musste ich schon wieder aufstehen, um den Zug zu erreichen.“

Neben all den Pflichten in Haushalt und Familie fand sie aber auch Zeit für Entspannung bei der Handarbeit:

„Häkeln und Stricken habe ich als Kind schon von meiner Mutter gelernt und anschließend auch in der Schule. Meine Handarbeiten wurden wiederholt in einer Schulvitrine ausgestellt. Solche Tätigkeiten machen mir bis heute viel Spaß. Zum Beispiel stricke ich gerne Socken schon im Sommer für den kommenden Winter. Und das für meine gesamte Familie. Als ich in der Lehre war, habe ich den ersten Versuch unternommen, ein Osterei zu dekorieren. Einmal nahm eine Mitschülerin ein Osterei mit in die Schule, doch es zerbrach unterwegs. Ich bat sie um einen Teil der Eierschale, diesen bestrich ich zu Hause neu mit Tusche. Danach wollte ich ein Muster auskratzen. In einer Schublade meines Vaters fand ich ein paar alte Rasierklingen. Bis heute sind diese mein bevorzugtes Arbeitsinstrument. Die Dekorierung der Ostereier auf diese Weise habe ich auch meiner Tochter und meiner Nichte beigebracht. Meine Tochter lebt heute im mährisch-schlesischen Javorník. Im dortigen Schloss zeigt sie regelmäßig vor Ostern den interessierten Besuchern, wie sich Ostereier verzieren lassen.“

Ein Leben für die Ostereier

Foto: Archiv des Museums der Mährischen Slowakei
Handarbeit, vor allem das Dekorieren von Ostereiern, ist für Marie Sekaninová also ein Hobby fürs Leben. Oder besser: eine Leidenschaft, der sie sich jeden Tag widmet. Für wie lange?

„Das kommt darauf an. Anderthalb Stunden mindestens, dann mache ich etwas anderes. Zum Beispiel gehe ich in den Garten, um Unkraut zu jäten. Dann wasche ich mir die Hände und mache weiter. Ich denke mir selbst die Muster aus. Aber auch Gardinen sind für mich inspirierend. Insgesamt habe ich 27 Gardinen für dreiflügelige Fenster gehäkelt. Die meisten haben meine Kinder in Säcken auf dem Dachboden deponiert, vielleicht auch weggeschmissen. Heute gibt es ja Gardinen aus Kunstfasern, die pflegeleicht sind.“

Bei den Ostereiern habe sie im Lauf der Zeit unterschiedliche Techniken versucht, sagt Marie Sekaninová. Letztlich sei sie bei einer geblieben:

Foto: Archiv des Museums der Mährischen Slowakei
„Das Ei muss man Ausblasen. Oben und unten steche ich es mit einem Eierpiekser ein und puste es aus. Es folgt das Ausspülen mit Wasser und einem bisschen Desinfektionsmittel. Das Auspusten habe ich immer schon per Mund gemacht, und das sowohl bei Hühner-, als auch bei Enten- oder Gänseeiern. Nach dem Abtrocknen bestreiche ich die weißen Eierschalen mit einer Farbe. Nicht selten trage ich drei oder vier Schichten auf, damit sie eine schöne satte Farbe bekommen. Eier mit braunen Schalen koche ich nach dem Auspusten zunächst in Zwiebelschalen. Dadurch werden sie noch etwas dunkler. Erst dann trage ich Farbe auf, auch das drei- bis viermal. Der letzte Schritt ist das Ritzen.“

Mehr als nur Ostereier

Foto: Archiv des Museums der Mährischen Slowakei
Beim Besuch im kleinen Haus der Künstlerin sieht man auf den ersten Blick, welchen Stellenwert die Handarbeit in ihrem Leben hat. Mit aufrichtiger Freude zeigt sie die selbstgemachten Produkte. Aber sie hat auch Fotos, auf denen ihr Diplome und Preise für ihre Ostereier überreicht werden. In den Lieblingsfarben Schwarz, Rot und Blau gehalten, sind sie mit unterschiedlichen Ornamenten und spitzenartigen Mustern verziert.

Dann zieht Marie Sekaninová auch noch ihre Häkelarbeiten hervor. Über die ausgefallenen Muster, groß- und kleinformatig, eckig oder rund, kann man nur staunen. Ebenso wenn man zuschauen darf, mit welchem Geschick und welcher Kreativität sie ein Ostereimuster mit einer gewöhnlichen Rasierklinge hervorzaubert. Dies vor einem interessierten Publikum zu machen, bereitet ihr besondere Freude:

„Jahrein, jahraus mache ich in der Vorosterzeit Vorführungen im Mährisch-Slowakischen Museum in Uherské Hradiště. Ein paar Mal war ich auch auf dem Messegelände in Brünn. Ansonsten besuche ich oft Schulen und Kindergärten in unserer Umgebung. Natürlich weiß ich nicht, ob sich jemand von den Zuschauern dadurch für diese Handarbeit begeistern lässt. Vor zwei Jahren hat mir ein Mädchen im erwähnten Museum sogar einen halben Tag lang zugesehen. Als ich mich darüber gewundert habe, sagte die Kleine, es sei so schön, dass sie sich nicht losreißen könne. Ich habe ihr dann zum Andenken ein Osterei geschenkt. Ein Jahr später kam sie wieder.“

Große Traditionen daheim vorm Fernseher

Marie Sekaninová  (links) erhielt 2015 im Bereich „Verzierung von Ostereiern“ den Titel „Meister traditionell handgefertigter Produkte“. Foto: Jan Karásek / Slovácký deník
Zu ihrem 80. Geburtstag wurden die Handarbeiten von Marie Sekaninová in Topolná ausgestellt. Dies war eine Initiative der damaligen Bürgermeisterin. Sie habe dann vieles bei sich zu Hause fotografiert, erinnert sich die damalige Jubilarin. Denn der Ausstellungssaal war zu klein für die ganze Bandbreite ihrer Werke. Letztlich habe sie sich nicht nur über das große Interesse der Mitbürger an ihren Handarbeiten gefreut, sagt Sekaninová, sondern auch über den Ertrag der Ausstellung. Das Geld habe ihr geholfen, das Dach ihres Hauses renovieren zu lassen. Die Rente allein hätte nicht gereicht, meint die alte Dame.

In Tschechien, insbesondere aber in Südmähren, werden in letzter Zeit immer häufiger Volkbräuche gefördert, denn man will sie als Kulturgut schützen. Dazu soll unter anderem die Auszeichnung „Meister traditionell handgefertigter Produkte“ („Mistr tradiční rukodělné výroby“) dienen. Diesen Titel erhielt Marie Sekaninová im Bereich „Verzierung von Ostereiern“ im Jahr 2015 vom Kreis Zlín.

„Das hat mir Freude gemacht. Ich halte dies für eine Anerkennung meiner jahrelangen Tätigkeit. Noch heute kann ich mich problemlos bis Mitternacht mit Handarbeit beschäftigen. Im Hintergrund läuft bei mir der Fernseher. Ich werfe aber nur ab und zu einen kurzen Blick auf die Mattscheibe. Ansonsten arbeite ich an dem weiter, was auch immer es gerade ist.“

Sie habe in ihrem Leben schon so viel hergestellt, dass sich damit Waggons beladen ließen, sagt Marie Sekaninová abschließend mit etwas Übertreibung. Und wie schon mehrmals während des Gesprächs lacht sie dabei fröhlich.