„Wir gegen sie“ – Tschechien und die Europawahlen

Photo illustrative: European Parliament on Foter.com / CC BY-NC-ND

Die Wahlen zum Europaparlament rücken immer näher. Viele Politiker sprechen von einer Schicksalswahl für den Kontinent. Wie sieht das aus tschechischer Sicht aus? Dazu hat sich der liberale Politologe Jiří Pehe vor kurzem in einem Interview in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks geäußert.

Foto: European Parliament via Foter.com,  CC BY-NC-ND
Endspurt vor der Wahl. In dieser Woche werden die Menschen in Europa zu den Urnen gebeten. Unter den vielen Schlagwörtern im Wahlkampf gebe es ein grundlegendes Thema, findet Jiří Pehe. Er ist Politologe an der New York University in Prag:

„Es geht dabei um die Grundeinstellung von uns Europäern zur EU. Also darum, ob wir eine EU haben wollen, die mehr auf den Nationalstaaten fußt, oder eine, die sich weiter integriert.“

In Tschechien sei die Diskussion darüber aber zu vereinfacht, meint Pehe. Für eine stärkere Rolle der Nationalstaaten müssten zum Beispiel auch die Grundlagenverträge der Union geändert werden. Die Parteien hierzulande würden aber meist nicht erläutern, wie der mögliche Weg zu ihren Zielen aussehen könnte.

Jiří Pehe  (Foto: Luboš Vedral,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Die Politiker müssten dann auch sagen, mit wem sie koalieren und welcher Fraktion in Straßburg sie sich anschließen wollen. Denn ohne Koalitionen innerhalb der EU und Überzeugungsarbeit bei anderen Staaten lässt sich nichts erreichen“, so Pehe.

Tschechien entsendet im Übrigen 21 Abgeordnete ins Europaparlament mit seinen 751 Sitzen. Positiv bewertet der Politologe, dass einige Parteien entgegen dem Trend konkrete Themen gesetzt haben – wie etwa den Kampf gegen die unterschiedliche Qualität von Lebensmitteln in westlichen und östlichen Mitgliedsstaaten. Dazu könne in Straßburg auch tatsächlich etwas bewirkt werden.

Insgesamt mangele es tschechischen Politikern aber an Ideen, wie sie ihre Ziele in Europa umsetzen wollen. Das sei einer der beiden Hauptgründe für die geringe Wahlbeteiligung hierzulande, die lag beim letzten Urnengang 2014 nicht einmal bei 19 Prozent. Als zweiten Grund nennt Pehe die Art des Diskurses über die EU:

Foto: Dimitris Vetsikas,  Pixabay / CC0
„Wir sagen die ganze Zeit ‚sie‘ und ‚wir‘. Das heißt, dort ist Brüssel, und hier sind wir. Ständig versuchen wir, gegen die Brüsseler Macht irgendetwas zu erkämpfen. Wir sollten aber deutlich machen, dass auch wir die EU sind – also einer der 28 und demnächst 27 Teile der Union. Und dass wir nur etwas durchsetzen können, wenn wir einen kooperativen Dialog führen.“

Doch zurück zur Frage, ob es sich diesmal tatsächlich um eine Schicksalswahl handelt. Auch der tschechische Politologe glaubt, dass die Einstellung zu Europa der entscheidende Moment sein wird:

„Das Problem ist vielleicht gar nicht so sehr, ob sich jemand der christdemokratischen, der liberalen oder der sozialistischen Fraktion anschließt. Es geht wohl eher darum, ob jemand zur großen Gruppe der pro-europäischen Abgeordneten gehört, die sich eine weitere Integration wünschen, oder jener anderen, etwas kleineren Gruppe, die eher dagegen sind.“

Unter die letzteren fallen besonders all jene Parteien, die meist als nationalistisch und populistisch bezeichnet werden. Pehe wählt jedoch den Begriff souveränistisch, weil sie eine größere Souveränität der Nationalstaaten fordern.

Welche Richtung wie stark sein wird, das erfahren aber auch hierzulande die Wähler erst am späten Sonntagabend. Dann schließen die letzten Wahllokale, konkret in Italien, und die Ergebnisse dürfen veröffentlicht werden.