Prag 1989: Ein großer gemeinsamer Glückrausch

Daniel Biskup (Foto: Klára Stejskalová)

Der westdeutsche Fotograf Daniel Biskup hat 1989 den Fall der Berliner Mauer dokumentiert. Kurz danach reiste er nach Prag, um auch die Samtene Revolution in der Tschechoslowakei festzuhalten. Seine Aufnahmen von damals stellt er 30 Jahre später zum ersten Mal aus, sie sind nun in der Galerie der Tschechischen Zentren in Prag zu sehen.

Daniel Biskup  (Foto: Klára Stejskalová)
Herr Biskup, sie zeigen Ihre Fotos bei der Ausstellung „Wendejahre in der Tschechoslowakei“. Sie haben 1989 noch studiert, haben jedoch ihr Studium unterbrochen, um die Ereignisse von damals zu fotografieren und zu dokumentieren. Es war vorerst vor allem das Geschehen in Deutschland bzw. das, was die Deutschen betraf, also die Flüchtlinge, die über Ungarn in die Bundesrepublik gingen und dann der Fall der Berliner Mauer. Warum haben Sie sich anschließend entschieden, auch in die Tschechoslowakei zu fahren?

„Erstens hat mich die gesamte osteuropäische Geschichte interessiert, und Prag ist ja nicht so weit weg von Deutschland. Aus Augsburg ist näher dorthin als nach Berlin. Daher hab ich mir gedacht, wenn vor meiner Haustür Geschichte passiert, dann möchte ich diese auch noch miterleben. So bin ich dann nach Prag gefahren und hatte Glück.“

„Wenn vor meiner Haustür Geschichte passiert, dann möchte ich diese auch noch miterleben.“

Was war für Sie der entscheidende Moment?

„Also ich war nicht am 17. November hier. Erstmals kam ich im Dezember und bin dann immer mal wieder zurückgekehrt. Ich war dabei, als Havel auf die Burg kam und habe die euphorische Stimmung miterlebt. Das war ein großes Geschenk.“

Waren sie schon zuvor in der Tschechoslowakei, oder war es Ihr erster Besuch?

Ausstellung „Die Wendejahre in der Tschechoslowakei“  (Foto: Klára Stejskalová)
„Ich war schon vor der Wende in der Tschechoslowakei, als Tourist. Danach bin ich halt öfter nochmal gekommen, um den Umbruch zu fotografieren.“

Also waren ihnen die Stadt und das Land nicht ganz unbekannt…

„Nein, es war kein unbekanntes Land, genauso wie ganz Osteuropa für mich nicht unbekannt war. Ich hab mich schon als Jugendlicher für die Tschechoslowakische Sozialistische Republik, für Ungarn, Polen und die DDR interessiert.“

Sie haben erst in Deutschland fotografiert und das Geschehen dort beobachtet und dann auch hier, in der damaligen Tschechoslowakei. War die Atmosphäre dieselbe, oder gab es doch Unterschiede?

„Es gab Unterschiede. Zum Beispiel als Havel hier kurz vor Silvester 1989 inthronisiert worden ist, war das eine Feier von allen Menschen. Alle waren glücklich. In Ostdeutschland war das nicht so. Es gab auch einige, die gedacht haben, wir wollen nicht wiedervereinigt werden, wir wollen unsere DDR behalten, wir wollen den Glauben an den Sozialismus, wir wollen einfach dass das alles so weitergeht. Und hier in der Tschechoslowakei habe ich das als einen großen gemeinsamen Glücksrausch empfunden. Natürlich gab es auch Leute, die nicht so glücklich waren, aber die hat man an diesem Tag nicht gesehen.“

Ausstellung „Die Wendejahre in der Tschechoslowakei“  (Foto: Klára Stejskalová)
Sie sprachen von Václav Havel. Er ist eine Ikone. Sein Gesicht kommt ebenso auf vielen Fotos von Ihnen vor. Haben Sie sich denn einmal mit ihm getroffen?

„Leider nicht, ich war bei manchen Veranstaltungen dabei, aber ich hatte nicht das Glück, mit ihm zu sprechen. Also ich war nur Beobachter.“

Bis wann haben Sie hier das Geschehen beobachtet, wie oft sind sie in die Tschechoslowakei gereist?

„Also einige Reisen kommen da schon zusammen. Ich glaube es waren fünf oder sechs Male. In der Zeit habe ich ja auch noch das Ende der UdSSR fotografiert, den Krieg in Jugoslawien, und bin dann eigentlich in den 1990-er Jahren zwischen Zagreb, Belgrad, Sarajevo, Moskau und Ostberlin hin- und hergefahren. Dann muss ich sagen, nach 1993 war ich nicht mehr so oft in Tschechien, weil die anderen Sachen dramatischer waren.“

„Es war kein unbekanntes Land, genauso wie ganz Osteuropa für mich nicht unbekannt war.“

Sie sind von alleine auf die Idee gekommen, im Osten zu fotografieren, oder kamen Sie im Auftrag einer Redaktion?

„Ich habe ja damals Geschichte und Politik studiert. Keine Redaktion hat mich hergeschickt. Es war mein eigener Antrieb. Wie gesagt, wenn man Geschichte und Politik studiert und dieses Epochenjahr 1989 erlebt und vor seiner Haustür Geschichte passiert, dann wird einem eines klar: Man lässt den Hörsaal liegen und fährt dort hin, um das zu erleben. Denn keine Seminarstunde dieser Welt könnte mir so ein Geschenk geben.“

Foto: Anna Pleslová,  Archiv des Tschechischen Zentrums Prag
Haben Sie damals auch einige Leute persönlich kennengelernt?

„Ich habe einzelne Bürger, aber keine Politiker kennengelernt. Damals war ich einfach nur einer in der Masse, der mit auf der Burg war und der mit durch die Straßen gezogen ist. Ja, aber das war auch das Spannende, einfach mitendrinn zu stehen und dieses Glück, diese Euphorie zu erleben.“

Haben Sie damals geglaubt, dass diese Wende, die Öffnung der Grenzen wirklich dauerhaft ist?

„Eigentlich schon, also man muss sagen nach 45 Jahren haben die Leute das erste Mal selber ihr Heft in die Hand genommen. Dieses Glück, das die Leute in West-Europa hatten, selber zu entscheiden, sich selber zu entfalten, das haben sich die Leute nicht nehmen lassen.“

Karel Cudlín  (2. von links) und Daniel Biskup  (3. von links). Foto: Klára Stejskalová
Sie machen hier eine Ausstellung gemeinsam mit Ihrem tschechischen Kollegen Karel Cudlín. Gibt es Gemeinsamkeiten in Ihren Arbeiten?

„Es gibt sehr viele gemeinsame Merkmale. Ich weiß natürlich, welche Bilder von mir sind, aber wir haben einen ähnlichen Stil, wir beobachten, wir gehen auf die Menschen zu und sehen auch in Kleinigkeiten interessante Bilder. Also das ist wirklich erstaunlich, was für Parallelen es gibt.“

Was ist mit den Aufnahmen passiert, die damals entstanden sind, gab es im Westen ein Interesse an den Bildern?

„Nein, ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich die meisten Bilder gar nicht angeboten habe. Ich habe ja damals studiert, und es war so ein bisschen wie Sammeln. Man fährt wohin und macht ein kleines persönliches Tagebuch. Und erst jetzt, 30 Jahre danach, habe ich dem Museumsdirektor aus Augsburg gesagt: Ich habe da noch dieses Material von damals aus Prag. Und da meinte er, da sollten wir direkt was daraus machen. Und somit ist es erst ans Licht der Welt gekommen. Ich meine, es gab damals einfach kein Interesse und ich hatte auch nicht die Kapazität das anzubieten. Ich war damals mit Ostdeutschland beschäftigt, ich musste ja auch noch studieren und hatte daher gar keine Zeit, das zu entwickeln.“

„Nach 1989 war hier so viel Spannendes, das der Westen langweilig war.“

Sie haben gesagt, dass später in den 1990 Jahren in anderen Ländern viel Interessanteres passierte. Gibt es aber dennoch etwas, was Sie wieder nach Tschechien bringen könnte?

„Also ich glaube dass mich die Situation jetzt wieder hierher bringen wird, denn Sie wissen ja, 30 Jahre danach hat sich in der Innenpolitik sehr viel geändert. Der Ministerpräsident ist nicht unumstritten. Er hat eine interessante Vergangenheit, denn er kommt ja eigentlich aus dem alten Apparat, hatte aber das Glück westlich sozialisiert zu werden. Dadurch hat er wahrscheinlich erkannt, was für Schätze hier sind.“

Wie kommt es, dass Sie sich den östlichen Ländern mehr Interesse zuwenden als dem Westen?

„Naja ehrlicherweise muss man sagen, dass im Westen ja eigentlich im Augenblick nicht so viel passiert. Durch die Flüchtlingsproblematik oder jetzt den aufkommenden Populismus in Frankreich oder in Italien, ist es natürlich interessant. Aber das hat alles etwas mit der gemeinsamen Geschichte zu tun, und das fotografiere ich auch. Aber nach 1989 war hier so viel Spannendes, das der Westen langweilig war.“

Mit je 20 Bildern von Daniel Biskup und dem tschechischen Fotografen Karel Cudlín erinnert die deutsch-tschechische Fotoausstellung aus zwei unterschiedlichen Perspektiven an die Geschehnisse rund um die Samtene Revolution. Die Schau mit dem Titel „Převrat v Československu“ („Die Wendejahre in der Tschechoslowakei“) wurde vom Tschechischen Zentrum München vorbereitet. Momentan ist sie in der Galerie der Tschechischen Zentren in Prag zu sehen (Rytířská 31, Prag 1), und zwar noch bis 8. November. Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr und am Samstag von 11 bis 17 Uhr.