Emanuel Moravec und der Nazi-Terror nach dem Heydrich-Attentat

Emanuel Moravec

Mitte März 1939 wurde der Rest der Tschechoslowakei von Hitler besetzt und das sogenannte „Protektorat Böhmen und Mähren“ ausgerufen. In Prag entstand dadurch eine Art Marionettenregierung, von Berlin aus gesteuert. Einer, der am eifrigsten mit den Nationalsozialisten kollaborierte, war der Minister für Schulwesen und Volksaufklärung, Emanuel Moravec. Er konnte auch auf den gleichgeschalteten Rundfunk zurückgreifen, der zu einem willfährigen Instrument der Nazi-Propaganda gemacht wurde. Besonders deutlich wurde dies nach dem Anschlag auf Reinhard Heydrich im Mai 1942.

Reinhard Heydrich  (Foto: Wikimedia Commons,  CC0)

Emanuel Moravec gilt als äußerst kontroverse Persönlichkeit der tschechischen Geschichte. Ihm ist damals allem Anschein nach die Karriere wichtiger als die politische Haltung. Zunächst verehrt er den ersten tschechoslowakischen Staatspräsidenten, T.G. Masaryk. Nachfolgend sympathisiert er mit dessen Nachfolger Edvard Beneš. Letztlich verwandelt sich der antideutsch eingestellte Moravec aber in einen Anhänger des Nationalsozialismus. Bereits 1939 kehrt er voller Begeisterung von einer Rundfahrt durch Deutschland zurück.

Am 28. September 1941 berichtet der Rundfunk in einer Liveübertragung über die Feier auf der Prager Burg zum Amtsantritt Reinhard Heydrichs als stellvertretender Reichsprotektor für Böhmen und Mähren. Einen Tag darauf stattet ihm Emanuel Moravec einen Besuch ab. Die Sympathien des Ministers für den drittbedeutendsten Mann im Deutschen Reich lassen nicht nach, auch als Heydrich nur kurze Zeit später beginnt, seinen Auftrag umzusetzen: die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ sowie die Unterdrückung jeglichen Widerstandes auf tschechischem Gebiet. Der NS-Funktionär führt das Standrecht im Protektorat ein. Binnen vier Monaten werden fast 500 Menschen zu Tode verurteilt und über 2200 in Konzentrationslager verschleppt. Und Heydrich ist auch verantwortlich dafür, dass am 1. Oktober 1941 das jüdische Ghetto beziehungsweise KZ in Terezín / Theresienstadt entsteht. So wird er zu einem der meist gehassten Deutschen auf tschechischem Boden.

Sympathien für Heydrich

Beerdigung von Heydrich  (Moravec sitzt in der 2. Reihe als 3. von links). Foto: Wikimedia Commons,  CC0

Am 27. Mai 1942 verüben Widerstandskämpfer einen Anschlag auf das Auto, in dem Heydrich wie jeden Morgen in sein Amt gefahren wird. Die Explosion einer Handgranate überlebt er mit vermeintlich banalen Verletzungen. Nach der Einlieferung in ein nahegelegenes Krankenhaus wird Heydrich allerdings operiert, auf sein Verlangen hin darf nur ein deutscher Arzt den Eingriff durchführen. Am 4. Juni stirbt Reinhard Heydrich.

Zum Abschied von dem hochgestellten Nazi-Funktionär veranstalten die Deutschen in Prag eine pompöse Zeremonie. Zwischenzeitlich findet man am Ort des Attentats eine Maschinenpistole britischer Herkunft. Gedeutet wird dies als Hinweis auf den vermutlichen Organisator der Operation: den tschechoslowakischen Nachrichtendienst mit Sitz in London. Sofort werden Fahndungen eingeleitet, diese führen allerdings zunächst nicht auf eine Spur zu den möglichen Attentätern.

Emanuel Moravec mit seinen Söhnen  (Quelle: Foto aus dem Buch „Až na dno zrady“ von Jiří Pernes / Verlag Themis

Die Atmosphäre im Protektorat nach dem Attentat ist düster. Dies verraten zahlreiche Archivaufnahmen des Tschechischen Rundfunks. Durch die Zahl seiner Ansprachen tut sich gerade Emanuel Moravec hervor. Der Anschlag auf Heydrich bereitet ihm großes Kopfzerbrechen. Der Minister für Schulwesen und Volksaufklärung wendet sich meist an die Öffentlichkeit mit der Anrede „Mein tschechisches Volk“. Darauf folgen Worte in suggestivem Tonfall:

„Wir hilfreich ist die Arbeit aller ehrenvollen Tschechen ist, wenn eine Gruppe von Verbrechern und Narren das, was mit viel Anstrengung und Schweiß entstand, im Handumdrehen in Trümmern verwandelt? Die Erfahrung der letzten drei Jahre hat uns gezeigt, dass der verlässliche, dem Großdeutschen Reich treue Tscheche ein genauso verantwortungsvolles und bedeutendes Amt wie ein Deutscher erreichen kann.“

Gemeinde Lidice wurde zerstört  (Foto: Archiv der Gedenkstätte Lidice,  Sammlung von Eduard Stehlík)

Im selben Atemzug ermahnt Moravec zum Nachdenken darüber, was auf „sein tschechisches Volk“ zukommen werde, wenn die Attentäter nicht gefunden würden. „Als einer von Euch, dem das Schicksal der Nation am Herzen liegt“, fordere er alle auf, die bisher die britischen Agenten vor Angst oder Mitgefühl verheimlichten, Anzeige zu erstatten, um die eigene Familie zu retten. Aktuell gehe es um das Schicksal der Nation für lange Zeit oder für immer, warnt der Minister.

Als die geforderte Anzeige nicht erstattet wird, steigern die Besatzer die Repressalien weiter. Unter anderem werden Verdächtige und ihre Familienangehörigen hingerichtet. Ihre Namen werden anschließend öffentlich über Lautsprecher und im Rundfunk verlesen. Am 10. Juni 1942 – und damit zwei Wochen später – kommt es zu den beiden schlimmsten Terrorakten der Besatzer: die Gemeinden Lidice und Ležáky werden zerstört und ein Großteil der Bewohner ermordet oder in Konzentrationslager verschleppt.

Drohungen gegen die Tschechen

Die Minister der Protektoratsregierung und weitere Amtsträger reisen nach diesen Terrorakten durchs Land und versuchen, auf das Volk einzuwirken. Reue über die Opfer der Nazis zeigen sie allerdings nicht. Stattdessen deutet Moravec an, dass den Tschechen weitere Gewalt drohen könnte. Am 17. Juni spricht er auf einer Kundgebung im südmährischen Brno / Brünn:

Emanuel Moravec: Im Dienst des neuen Europa - ein Jahr vor dem Mikrophon

„Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, wie im alten Rom eine Revolte in der Armee bestraft wurde, wenn sich die Rebellen weigerten, die Anführer zu benennen. Ungeachtet dessen, ob sich jemand mitschuldig gemacht hatte oder nicht, wurde damals als Abschreckung jeder zehnte Mann hingerichtet. Ich bin mir aber sicher: Falls die von Beneš (tschechoslowakischer Staatspräsident Edvard Beneš, damals im Exil in Großbritannien, Anm. d. R.) angeheuerten Mörder gefasst werden, wird die tschechische Bevölkerung demnächst von all dem verschont bleiben, was ihr der Ausnahmezustand zu Recht gebracht hat.“

Im Protektoratsrundfunk, der durch die Fusion des Tschechoslowakischen Rundfunks mit dem deutschsprachigen „Reichssender Böhmen“ entstand, hat Moravec schnell festen Fuß gefasst. Seine politischen Kommentare und Betrachtungen werden ab Mai 1940 zweimal pro Woche gesendet. Dies setzt sich auch fort, als er das Amt des Hauptzensors übernimmt, der sogenannten Programmintendantur, nachdem 1943 der gefürchtete SS-Hauptsturmführer Wolfram von Wolmar abberufen wird. Dabei nimmt Moravec nicht nur die Texte von Journalisten unter die Lupe, sondern auch die Ansprachen von Protektoratspräsident Emil Hácha und Regierungsmitgliedern.

Jan Kubiš und Josef Gabčík | Foto: Archiv des Prager Militärhistorischen Instituts / Sammlung von Eduard Stehlík

Jedenfalls ist am 6. Juni doch schon eine Anzeige gegen die Heydrich-Attentäter Jan Kubiš und Josef Gabčík erstattet worden, überraschenderweise von ihrem Mitstreiter Karel Čurda. Außerdem verrät er der Gestapo auch die Namen der Familien, bei denen die Attentäter Zuflucht oder Unterstützung fanden. Kubiš und Gabčík sowie andere fünf aus Großbritannien eingeflogenen Fallschirmspringer verstecken sich in der Zwischenzeit in der Krypta der Prager Kyrill-und-Method-Kirche. Keiner von ihnen überlebt allerdings das Gefecht gegen fast 800 Angehörige der Waffen-SS, die am 18. Juni 1942 die Kirche umzingeln. Nachfolgend werden schätzungsweise rund 2000 Tschechen ermordet.

Als das Kriegsende nah ist, am 5. Mai 1945, wählt Emanuel Moravec den Freitod. In seinem letzten Artikel für die Zeitung Lidové noviny hat er zuvor geschrieben:

„Die Deutschen haben ihren Kampf verloren, und es hat keinen Sinn, diesen zu verlängern.“