Das alte Europa: Ein neues Thema der EU-Politik

Foto: www.diakoniecce.cz
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Jeder will alt werden, aber niemand will alt sein. Ein hoher Lebensstandard, die moderne Medizin und nicht zuletzt chirurgische Eingriffe lassen uns immer älter werden, ohne dabei wirklich alt zu sein. Das Bild der Senioren hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt und bestimmt zunehmend eine neue Gesellschaftsstruktur, zumal es auch an entsprechendem Nachwuchs fehlt: Schon jetzt ist ein Drittel der EU-Bevölkerung über 50 Jahre alt, im Jahr 2050 wird dies jeder zweite EU-Bürger sein. Sandra Dudek berichtet, wie dieser demografische Wandel das Leben in Europa bestimmt und wie sich die EU mit dieser Problematik auseinandersetzt:

Eine ältere Dame umarmt einen kleinen Jungen. Beide lachen. Vor ihnen springt vergnügt ein Foxterrier herum. Mit diesem sowohl idyllischen wie auch alltäglichen Bild endet ein Spot, der die Einstellung der tschechischen Gesellschaft gegenüber den Senioren positiv beeinflussen soll. Der Spot ist nur ein Teil des Projekts "Senior a já", in der deutschen Übersetzung "Der Senior und ich", das vergangene Woche von der Evangelischen Diakonie präsentiert wurde. Zum Projekt gehören außerdem eine Fotoausstellung im Prager Franziskanerkloster, ein Dokumentarfilm und eine Studie zum Bild der Senioren in den Medien. Das Altsein ist zum Thema geworden. Und in Europa ist es so aktuell wie nie zuvor: Dies ist auch nicht verwunderlich, denn die Europäische Union steht vor einem beispiellosen demografischen Wandel, der sich massiv auf die gesamte Gesellschaft auswirken wird. Dazu Vladimír Spidla, EU-Kommissar für Beschäftigung und Soziales:

"Europa wird allmählich älter. Im Jahr 2030 rechnen wir damit, dass die Zahl der Leute, welche älter sind als 80 Jahre, drei Mal so groß sein wird wie jetzt und es werden ungefähr 20 Millionen Arbeitskräfte fehlen."

Aber es gehe, so Spidla weiter, nicht nur um ältere Arbeitnehmer und die Rentenreform. Die Entwicklung werde fast alle Bereiche des Lebens betreffen, wie beispielsweise die Geschäftsabläufe und die Arbeitsorganisation, die Stadtplanung, den Zuschnitt der Wohnungen, die öffentlichen Verkehrsmittel, das Wahlverhalten und die Infrastruktur. Alle Altersgruppen werden betroffen sein und es sei höchste Zeit zu handeln, meint Spidla. Daher hat die Kommission der Europäischen Union das Grünbuch "Demografischer Wandel - eine neue Solidarität zwischen den Generationen" ausgearbeitet, das einen Überblick über die wichtigsten Probleme im Zusammenhang mit der Überalterung der europäischen Gesellschaft gibt. Ein wesentlicher Punkt sei dabei das Umdenken in der Arbeitswelt, wie Katharina von Schnurbein, Pressesprecherin des EU-Kommissariats Beschäftigung und Soziales meint:

"Klar ist, dass wir länger arbeiten müssen, als wir es bisher getan haben. Es ist nämlich so, dass das offizielle Rentenalter in den meisten EU-Mitgliedsstaaten bei 65 Jahren liegt, aber das tatsächliche Renteneintrittsalter bei 59."

Die Tschechen arbeiten ein Jahr länger als der EU-Schnitt und gehen mit 60 Jahren in Rente. Im europäischen Vergleich sind die Iren am längsten erwerbstätig: Den wohlverdienten Ruhestand treten sie erst im Alter von 64 Jahren an. Die EU hat bereits begonnen, Maßnahmen zu ergreifen, um die aktive Teilnahme am Arbeitsleben sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber attraktiver zu machen: Aus dem Sozialfonds werden Programme wie beispielsweise das Life long learning finanziert, durch das sich so genannte ältere Arbeitnehmer über 55 weiterbilden können, um am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben.

"Es ist nämlich so, dass 2030 die Babyboomer-Generation in Rente gehen wird und zugleich die 80+, also die Leute in der EU, die älter sind als 80 Jahre, von heute 18,8 Millionen auf 34,7 Millionen ansteigen werden, d.h., dass im Jahr 2030 zwei Erwerbstätige sich um einen Rentner kümmern müssen."

Dies sei, so Katharina von Schnurbein, die düstere Prognose, sofern die Zeit der Erwerbstätigkeit nicht angehoben werde. Zusätzlich dazu sei es jedoch auch dringend notwendig, das Rentensystem nachhaltig umzubauen. Ein weiteres - und zwar europaweites - Problem nämlich ist die sinkende Geburtenrate. War sie bereits in den alten EU-Ländern besonders niedrig, ist sie mit der Erweiterung noch einmal gesunken. Dazu Katharina von Schnurbein:

"Es ist richtig, dass die neuen Mitgliedsstaaten bis auf Malta und Zypern alle unter 1,5 Kindern pro Frau liegen und Tschechien zum Beispiel bei 1,13, also sehr niedrige Geburtenraten haben, aber selbst Frankreich, was im europäischen Vergleich noch am besten dasteht, erreicht nicht die Geburtenrate, die man für die Erneuerung einer Generation bräuchte, nämlich 2,1, sondern Frankreich ist mit 1,9 auch knapp drunter."

Für die politische Führung ist die geringe Geburtenrate eine Herausforderung. Noch nie gab es Wirtschaftswachstum ohne Bevölkerungszuwachs. Allerdings ist die sinkende Kinderanzahl, wie aus den Statistiken hervorgeht, keine freiwillige Wahl der EU-Bürger. Denn Erhebungen zeigen, dass die Europäer gerne zwei bis drei Kinder hätten. Daraus lässt sich schließen, dass es an entsprechenden Strukturen fehlt, die es potenziellen Eltern erlauben, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Und auch diese Frage, wo genau nun eigentlich die Probleme liegen, soll im Rahmen der von der Kommission lancierten Diskussion "Demografischer Wandel" besprochen und gelöst werden, meint die Pressesprecherin des EU-Kommissariats Beschäftigung und Soziales, Katharina von Schnurbein:

"Liegt es daran, weil die Frauen schwierigen Zugang haben zum Arbeitsmarkt, nachdem sie Kinder gekriegt haben, liegt es daran, dass Kinder letztendlich einen Abfall in die Armut bedeuten, weil man dann nur noch ein Einkommen hat und dieses eine Einkommen so hoch besteuert ist, dass es nicht mehr reicht für drei Personen, liegt es daran, dass zu wenig Kindertagesstätten da sind, und die Frauen gar nicht arbeiten können oder die Männer, je nachdem, liegt es daran, dass wir immer noch ein Gesellschaftsbild haben, in dem sich hauptsächlich die Frauen um die Kinder kümmern sollen und die Männer noch immer zu wenig Verantwortung übernehmen und deswegen die Frauen die Doppelbelastung haben? Also da gibt es ganz viele Punkte, wenn man das runterbricht, die auf Mitgliedsstaatsebene oder darunter gelöst werden müssen."

Eine immer wieder diskutierte Lösungsmöglichkeit für den Ausgleich des Bevölkerungszuwachses ist die Zuwanderung aus Drittländern. Diese könnte einen Rückgang der Bevölkerungszahl bis 2025 ausgleichen, aber die Probleme durch das Altern der Bevölkerung werden dadurch auch nicht gelöst. Jedenfalls ist Zuwanderung notwendig, um teilweise den zunehmenden Bedarf an fehlenden Arbeitskräften zu decken und den Wohlstand Europas zu sichern. Angesichts der heutigen Situation am Arbeitsmarkt in vielen europäischen Ländern ist es kaum vorstellbar, dass im Jahr 2030 20 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter fehlen werden, so Katharina von Schnurbein:

"Das kann man sich heute schwer vorstellen bei der hohen Arbeitslosenzahl, aber der Rückgang der Bevölkerung ist wirklich sehr dramatisch und es ist klar, dass das nicht durch Migration ausgeglichen werden kann, weil 20 Millionen bedeuten zwei mittelgroße europäische Staaten und die Integration von so vielen Leuten wäre sicherlich schwierig."

Alle diese Probleme betreffen in größerem oder kleinerem Ausmaß sämtliche EU-Mitgliedsstaaten. Das Grünbuch der Kommission dient nun als Anstoß zu einer breiten Debatte, an der neben den zuständigen politischen Institutionen auch regierungsunabhängige Organisationen und Sozialpartner teilnehmen. Via Internet haben auch die EU-Bürger die Möglichkeit, sich aktiv zu beteiligen und ihre Diskussionsbeiträge und Lösungsvorschläge vorzubringen. Nach Abschluss der Debatte wird die EU-Kommission ein Weißbuch mit den Ergebnissen und konkreten Maßnahmen ausarbeiten. Es folgen Verhandlungen und Aktionen mit Sozialpartnern. Die Umsetzung dieser Maßnahmen allerdings obliegt dann den einzelnen Mitgliedstaaten, so Katharina von Schnurbein:

"Aber es ist klar, dass viele von den Problemen, die angesprochen werden, letztendlich auf dem Niveau der Mitgliedsstaaten gelöst werden müssen und die Kommission höchstens eine koordinierende Funktion haben kann oder anregen kann."

Damit kann auch der einzelne EU-Bürger Verantwortung für die Gestaltung des neuen alten Europas übernehmen.





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt