100 Jahre tschechische Flagge

Tschechische Flagge (Foto: jorono, Pixabay / CC0)
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Weiß, rot, blau. Vor genau 100 bekam die Tschechoslowakei durch einen Parlamentsbeschluss ihre erste Fahne. Der gemeinsame Staat der Tschechen und Slowaken ist inzwischen zwar zerfallen. Doch die Flagge ist geblieben und wird bis heute von der Tschechischen Republik genutzt.

Tschechische Flagge  (Foto: jorono,  Pixabay / CC0)

Aleš Brožek  (Foto: Wolfenschiessen,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)
Die Flagge ist neben der Nationalhymne eines der ältesten Staatssymbole des heutigen Tschechien. Allerdings wurde sie vor 100 Jahren als Fahne der Tschechoslowakei gebilligt. Nach der Spaltung des Staates vor fast 30 Jahren hat die Tschechische Republik sie 1993 als ihr Hoheitssymbol übernommen. Zur Auffrischung nun eine Beschreibung der Fahne: Sie trägt die drei panslawischen Farben Weiß, Rot und Blau. Ein Element ist aber auf der tschechischen Fahne einzigartig – der Keil. Die Flagge besteht aus zwei gleichbreiten Längsstreifen – einem weißen in der oberen Hälfte und einem roten darunter. Von der linken Seite aus teilt ein dunkelblauer Keil die beiden Streifen. Er reicht bis zur Mitte der Fahne. Aleš Brožek ist einer der führenden tschechischen Vexilologen. Dank ihm wissen wir heute mehr über die Personen, die 1918 an der Wiege der Flagge standen. Ihr Aussehen gefalle Brožek sehr, wie er gegenüber Radio Prag sagte:

„Ich halte sie selbstverständlich für eine der schönsten Flaggen, da ich eine enge emotionale Beziehung zu ihr habe. Ich werde bald meinen 70. Geburtstag feiern und habe unsere Nationalfarben schon bei vielen Gelegenheiten gesehen. Manchmal in positiven Momenten, zum Beispiel als unser erster Kosmonaut sie ins Weltall brachte oder wenn sie nach den Siegen tschechischer Athleten bei olympischen Spielen wehte. Ich habe aber auch eine mit Blut befleckte Fahne gesehen, wie etwa im Jahr 1968. In solchen Augenblicken hat der Mensch eine einzigartige Beziehung zu seiner nationalen Flagge.“

Weiß – Rot – Blau

Flagge der Länder der Böhmischen Krone 1912  (Foto: Archiv des Militärhistorischen Instituts in Prag)
Als im Oktober 1918 die Tschechoslowakische Republik gegründet wurde, feierten die Bürger des Landes dies noch mit der traditionellen weiß-roten Fahne des böhmischen Königreiches beziehungsweise mit der weiß-rot-blauen slawischen Trikolore. Eine tschechoslowakische Flagge musste erst geschaffen werden:

„Am Anfang setzte man voraus, dass die tschechoslowakische Flagge weiß-rot sein würde. Das waren die Farben des Königreichs Böhmen. Weiß-rote Flaggen wehten unter anderem bei der feierlichen Grundsteinlegung zum Nationaltheater 1868 oder bei Volksfesten im 19. Jahrhundert. Leider waren das auch die Farben des neugegründeten Österreich, und die polnische Fahne war sogar identisch mit der böhmischen. Das würde zu Verwirrungen führen, dachte man damals. Deswegen kam eine Kommission nach gewisser Zeit zum Schluss, eine dritte Farbe hinzufügen. Und weil wir Slawen sind, und die slawischen Farben Weiß, Rot und Blau sind, wurde eben die blaue Farbe als dritte gewählt. Dann ging es nur noch darum, wie diese am besten in die weiß-rote Flagge eingegliedert werden soll.“

Bereits Ende des Jahres 1918 nahmen Politiker Beratungen mit Fachleuten auf. Zudem wurde eine Kommission eigens für die Staatsflagge gegründet. Es lässt sich daher nicht eindeutig bestimmen, wer die Flagge entworfen hat.

Jaroslav Kursa  (Foto: Wikimedia Commons,  CC0)
„Es ist besser zu sagen, dass es ein kollektives Werk war. Über die Form der Flagge hat eine Kommission des Innenministeriums entschieden. Insbesondere drei Personen haben sich darum verdient gemacht. Der erste war Jaroslav Kursa. Er war ein Archivar des Innenministeriums, der gut malen konnte und sich für Heraldik interessierte. Ein weiteres Mitglied der Kommission war Antonín Valšík vom Ministerium für nationale Verteidigung. Er war ein ehemaliger österreich-ungarischer Marine-Offizier und hatte Erfahrungen mit der Nutzung von Flaggen auf Schiffen. Die dritte Person war zwar kein Mitglied des Gremiums, wurde aber dennoch zu den Verhandlungen eingeladen. Es war der renommierte Künstler František Kysela. Der blaue Keil war in den ersten Entwürfen kleiner als heute, er reichte nur bis zu einem Drittel der Fahne. Kysela hat empfohlen, dass der blaue Keil bis in die Hälfte der Flagge verlängert werden soll. Dank seinem Vorschlag entstand eine ästhetisch ausgewogene Komposition.“

Keil und Sterne

Josef Záruba-Pfeffermann  (Foto: Wikimedia Commons,  CC0)
Die blaue Farbe sollte die Slowaken auf der Fahne symbolisieren. Diese Zusammensetzung machte die tschechoslowakische Flagge damals einzigartig, sagt der Vexilologe Aleš Brožek.

„Der Keil auf einer Flagge war etwas Ungewöhnliches. In jener Zeit hatte wohl nur Kuba eine solche Fahne. Die übrigen Flaggen bestanden meist nur aus Streifen. Die Tschechoslowakei wollte eine Flagge, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Es gab aber auch Gegner eines solchen Vorschlags. Ein entschiedener Opponent war der Abgeordnete Josef Záruba-Pfeffermann. Er war ein großer Freund der Slowaken und war der Meinung, dass ein Keil zu wenig sei, um die Slowaken zu vertreten. Er schlug vor, in die weiß-rote Flagge die sogenannte Flagge der amerikanischen Slowaken einzusetzen. Diese war rot-weiß-blau-weiß-rot. Pfeffermann schickte seinen Entwurf an Präsident Masaryk, um ihn davon zu überzeugen. Masaryk hat das Konzept gefallen, er schlug aber zusätzlich vor, die jeweiligen Teile der Tschechoslowakei durch Sterne zu symbolisieren: es sollte jeweils einer sein für Böhmen, Mähren, Schlesien, die Slowakei und die Karpatenukraine. Masaryk bemühte sich aber, überparteilich zu bleiben, und wollte die Abgeordneten bei ihrer Entscheidung nicht beeinflussen. Es waren also die Parlamentarier, die den Entwurf mit dem Keil durchsetzten. Auf der Flagge von Pfeffermann wären die Slowaken zwar sichtbarer, in der Tat hätte es sich aber um zwei Flaggen in einer gehandelt. Und das wäre keine gute Lösung gewesen.“

František Kysela  (Foto: Wikimedia Commons,  CC0)
Unter den Tschechen ist heute allgemein bekannt, wer die Nationalhymne komponiert hat. Das Wissen über die Schöpfer der Flagge ist aber gering. Als sie vor 100 Jahren angenommen wurde, interessierte man sich nicht dafür, von wem sie entworfen wurde. Später sind die Väter der Fahne in Vergessenheit geraten. Aleš Brožek hat seit den 1960er Jahren über sie in den Archiven geforscht:

„Wir wussten zwar, wer Jaroslav Kursa gewesen war, hatten aber keine Ahnung, wie er ausgesehen hatte. Ich suchte auf allen möglichen Wegen nach seiner Fotografie und hatte das Glück, dass die Zeitungen damals über meine Forschung berichtet haben. Einen Artikel hat Kursas Ur-Nichte gelesen und mich anschließend angesprochen. Ich habe sie besucht und bekam von ihr ein paar Fotos von ihm. Ich war begeistert. Bei den weiteren Persönlichkeiten ging es schon schneller. Bei Antonín Valšík hatte ich Glück, dass ich im Internet dessen Enkel gefunden habe. Dieser hat gar nicht geahnt, dass sein Großvater sich mit dem Entwurf beschäftigt hatte, half mir aber, einige Details nachzuforschen. Die dritte Person, František Kysela, war schon zur Zeit der ersten Tschechoslowakischen Republik bekannt. Bei ihm standen uns also Fotografien und Kontakte zu Verwandten bereits zur Verfügung.“

Unbekannte Väter der Fahne

Slowakische Flagge  (Foto: Arno Mitterbacher,  Pixabay / CC0)
Die tschechoslowakische Flagge wird seit der Spaltung der Tschechoslowakei von Tschechien weitergenutzt. Die Slowaken wählten für sich eine dreifarbige Flagge mit waagerechten Streifen und dem Staatswappen. Die Staatsflaggen wehen heute auf Behörden und Ämtern und werden an Feiertagen auf bedeutenden Gebäuden gehisst. Sie begleiten tschechische Soldaten bei ihren Einsätzen im Ausland und tschechische Athleten bei internationalen Sportbegegnungen. Doch vor Privathäusern hängt die Fahne nur selten:

„Das ist typisch für Amerikaner oder auch etwa für Dänen. Wenn man nach Dänemark kommt, sieht man fast vor jedem Haus einem Mast, auf dem die Nationalflagge hängt. Bei uns ist so etwas nicht üblich und war es auch nie. Das belegen Zeitungsartikel, die gleich nach der Gründung der Tschechoslowakei von einigen in den USA lebenden Tschechen geschrieben worden waren: Sie hatten damals die Tschechoslowakei besucht und konnten nicht verstehen, warum die Flagge hierzulande gar nicht überall gehisst wurde. Es ist unsere nationale Charakteristik. Wir greifen in den Augenblicken zur Flagge, wenn Tschechen zum Beispiel einen Erfolg im Sport feiern. Aber die Flagge an den Staatsfeiertagen wie dem 28. Oktober oder dem 1. Januar zu hissen, das macht man nicht. Ich bin gespannt, wie viele Menschen sich am 30. März daran erinnern, dass die Flagge seit 100 Jahren existiert.“