Charmeoffensive mit Weihnachtsgans - Konsumpolitik im Staatsozialismus

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Erst waren es die Apfelsinen, dann ein Fernseher und ein Auto und später zum Beispiel der Heim-Computer. Die Bürger wollten mehr – auch im Staatssozialismus. Doch die zentral gelenkten Wirtschaften zogen im Wettlauf um die Versorgung letztlich den Kürzeren gegenüber dem Kapitalismus. Dabei hatten spätestens in den 70er Jahren die kommunistischen Parteien vor allem der Tschechoslowakei und der DDR die bessere Versorgung und soziale Absicherung zur zentralen politischen Aufgabe gemacht. Bei einer Tagung im Prager Goethe-Institut diskutierten vergangene Woche Historiker darüber und über weitere Mittel, mit denen die staatssozialistischen Systeme versucht haben, Loyalitäten in der Bevölkerung zu schaffen. Veranstalter der Tagung waren neben dem Goethe-Institut vor allem der Lehrstuhl für deutsche und österreichische Studien der Karls-Universität Prag sowie das Herder-Institut Marburg und die Historische Kommission für die böhmischen Länder, Prag.

Gibt es ein freiwilliges loyales Verhalten gegenüber dem Regime, jenseits von Zwang und wahrscheinlich auch jenseits von Ideologie? Das ist die zentrale Frage, die Historiker Volker Zimmermann von der Karlsuniversität Prag stellt. Sie ist neu, denn bisher herrscht in der Öffentlichkeit meist ein einfaches Bild vor:

„Auf der einen Seite die Herrschaft – auf der anderen die Gesellschaft. Herrschaft heißt Partei und Staatssicherheit, und die Gesellschaft trifft vor allem über widerständiges Verhalten oder Widerstand in den Vordergrund.“

Doch die Wirklichkeit sah anders aus – differenzierter. Bereits unmittelbar nach dem Krieg gelingt es in der Tschechoslowakei, Bevölkerungsgruppen an das entstehende Regime zu binden: jene, die sich nach der Vertreibung der Deutschen in den früheren Sudetengebieten ansiedelten, wie Volker Zimmermann weiter ausführt:

„Ein Beispiel ist die Wiederbesiedlung der Grenzgebiete in der Tschechoslowakei. Und da kann man einige durchaus interessante Sachen sehen: In der Tschechoslowakei wird zum Beispiel Zustimmung zur Politik der KPTsch offensichtlich gerade über diesen Weg der Umverteilung generiert und damit entsteht auch ein gewisses Maß an Loyalität.“

In Polen geschieht Ähnliches in den so genannten wieder gewonnenen Gebieten. Weniger funktioniert dies mit den Umsiedlern in die damals noch Sowjetisch Besetzte Zone (SBZ), die spätere DDR.

Aber auch dort, wo die Siedlungspolitik Zustimmung zur Linie der Partei brachte, reichte dies nicht aus. Um Rückhalt im Volk zu haben, setzten die kommunistischen Machthaber anfangs zudem Propaganda und Feindbilder ein. Im Laufe der Zeit gingen sie zu weicheren Formen über: Nun wurde mit Weihnachtsgans und Fernsehgerät um Vertrauen geworben. Der Höhepunkt dieser Politik lag in der DDR vor allem unter Erich Honecker. In der Tschechoslowakei galt dies vor allem unter Gustav Husák.

Begonnen wurde damit indes schon früher. 1953 wurde das System der Bezugsscheine aufgehoben und eine Währungsreform durchgeführt. Die Zeiten von Mangel und Rationierung nach dem Zweiten Weltkrieg schienen endgültig vorüber. Bis 1958 wurde eine Art Charmeoffensive auf dem Ladenpult in Gang gesetzt, wie der Prager Historiker Martin Franc sagt:

„Das tschechoslowakische Regime musste etwas machen. Es verbilligte sehr viele Sorten von Konsumgütern und Lebensmitteln und verbesserte die Versorgung ganz besonders in der Vorweihnachtszeit. Hier begann meiner Meinung nach eine wirkliche Konsum- und Sozialpolitik. Sie wurde auch in den folgenden Jahren fortgesetzt. Neu sprach man nun von der Konsumphase des Sozialismus oder von der sozialistischen Konsumgesellschaft.“

Warenhaus Máj in Prag  (1975) Foto: ČTK
Anfang der 60er Jahre kam es jedoch in der Tschechoslowakei zu einer tiefen Wirtschaftskrise. Nun sollten Reformen ausgearbeitet werden, der Wirtschaftsfachmann Ota Šik wurde damit beauftragt. Zugleich ging damals die Angst vor Unruhen um. Den Konsum getraute sich die Parteiführung aber nicht mehr zurückzuschrauben. Die Lösung war typisch sozialistisch: die Preise wurden belassen, die Qualität aber verschlechtert.

Und das Schicksal der Reformen? Im Prager Frühlings 1968 wurden erste Änderungen auf den Weg gebracht. Doch auch das zarte Pflänzchen „Reformen“ gerät am 21. August des Jahres unter die Ketten der Sowjet-Panzer. Die weitere Entwicklung erläutert Christoph Boyer von der Uni Salzburg:

„Es folgte eine Rezentralisierung der Wirtschaft und der Politik, es folgte eine Absage an alle Ideen von Reformen, Demokratie und Pluralismus in der Gesellschaft. Das heißt, die KPTsch hatte das System wieder stabilisiert, aber sie musste dann der Bevölkerung in dem stabilisierten System neue Angebote machen, warum es sich lohnt, im Sozialismus zu leben. Es war das neue Identifikationsangebot: `Wir machen keine Reformen, wie es in den 60er Jahren versucht worden ist, aber wir bieten Euch etwas anderes, nämlich erweiterte und verbesserte Lebensgrundlagen.´“

Warenhaus Máj in Prag  (1975) Foto: ČTK
In der Tschechoslowakei erhielt der neue 14. Parteitag vom Mai 1971 eine Doppelfunktion: Zum einen wurde die so genannte Normalisierung bestätigt; zum anderen legte Partei-Generalsekretär Gustáv Husák die Aufgaben im Bereich der Konsumpolitik fest. In einer Meldung des Tschechoslowakischen Rundfunks hieß es damals.

„Genosse Husák betonte, uns habe der Parteitag auferlegt, dass wir uns vor allem bemühen sollen um eine ausgewogene Entwicklung des privaten und gesellschaftlichen Verbrauchs und eine Stärkung der sozialen Sicherheit der Menschen sowie den Anstieg des Lebensstandards aller Bürger.“

Anfangs stellte sich sogar Erfolg ein. Christoph Boyer:

„Es gelang, das wirtschaftliche Wachstum zu stimulieren und auf diese Art und Weise die Konsumgüterversorgung zu verbessern. Auf längere Sicht gab es allerdings einen systematisch-strukturellen Widerspruch. Dieser bestand einerseits zwischen dem, was die Politik an Konsum- und Sozialleistungen versprach und die Bevölkerung dann auch erwartete, und andererseits den limitierten Leistungsmöglichkeiten dieser rezentralisierten sozialistischen Planwirtschaft.“

Warenhaus Kotva in Prag  (1975) Foto: ČTK
Warum der Osten wirtschaftlich nicht mithalten konnte, hat viele Gründe. Christoph Boyer sagt, dass zum Beispiel der Staatssozialismus bei der neu aufkommenden Computer-Technologie schnell ins Hintertreffen geriet. Und so ging ihm im Wettlauf in der globalisierten Welt bald die Puste aus.

„In den 60er und vor allem ab den 70er Jahren wurde die Ost-West-Grenze zumindest in der Wirtschaft immer dünner - auch der Osten trat in die globalisierte Weltwirtschaft ein, importierte und exportierte. Und weil er technologisch zurückblieb, änderten sich zu seinen Ungunsten die so genannten Terms of Trade. Was der Osten nun aus dem Westen bezog, wurde für ihn teurer. Und für das, was er in den Westen exportierte, erhielt er weniger Erlöse“, so der Historiker Boyer.

Am Ende, 1989, stand der Ostblock dann da als tönerner Koloss. Die Loyalität der Bürger – ein Scheingebilde. Auch aus Mangel an wirtschaftlicher Kraft stürzte der Koloss in sich zusammen.