Der Erste Prager Fenstersturz 1419

Foto: pontzi, Pixabay
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Der Erste Prager Fenstersturz unter der Leitung von Jan Želivský gilt als Auftakt zu den Hussitenkriegen. Er spielte sich vor genau 600 Jahren, am 30. Juli 1419, ab.

Autor: Adolf Liebscher,  Wikimedia Commons | Foto: Wikimedia Commons,  public domain
In der böhmischen Geschichte könnte man meinen, dass eine Methode besonders beliebt war bei der Konfliktlösung: der Fenstersturz. Insgesamt gab es drei davon. Am bekanntesten ist der Prager Fenstersturz aus dem Jahr 1618, der als Auftakt zum Dreißigjährigen Krieg gilt. Dieser hatte aber eigentlich einen Vorgänger, den Ersten Prager Fenstersturz, zu dem es am 30. Juli 1419 gekommen war. Schon da waren religiöse Auseinandersetzungen die Ursache. Aufgebrachte Anhänger des Kirchenreformators Jan Hus warfen katholische Ratsherren aus dem Fenster des Neustädter Rathauses. Die Ratsherren fielen auf den heutigen Karlsplatz und landeten direkt auf den Spießen der versammelten Menschenmenge. Was dem Gewaltakt folgte, waren die Hussitenkriege. Die Stimmung in Böhmen habe sich seit der Hinrichtung des Reformators Jan Hus schrittweise radikalisiert, sagt die Historikerin Eva Doležalová von der Akademie der Wissenschaften:

„Dem ersten Prager Fenstersturz war eine turbulente Entwicklung vorausgegangen. Dass es erst vier Jahre nach der Verbrennung von Jan Hus zum Zusammenstoß kam, scheint auf den ersten Blick wie eine sehr verspätete Reaktion. Doch für die Radikalisierung der Bevölkerung in der Stadt und auf dem Lande brauchte es Zeit. Das Volk war unzufrieden. Es ging nicht nur um die Hinrichtung von Jan Hus, sondern auch um die Kirchenreform, die Arbeit von Landpredigern und um die Kelchkommunion. Die böhmische und zum Teil auch die mährische Gesellschaft reagierten sehr sensibel auf jegliche Provokationen.“

Radikalisierung nach Hus‘ Tod

Jan Želivský | Foto: Kristýna Maková,  Radio Prague International

Hus‘ Tod  (Autor: Albrecht Dürer,  Wikimedia Commons)
Die Lage habe sich am Anfang des Jahres 1419 radikal zugespitzt, sagt Doležalová:

„In Böhmen wurden allmählich die Bestimmungen des Konzils von Konstanz bekannt. Der neue Papst Martin V. forderte die Tschechen in seinen Erlässen auf, unverzüglich auf jegliche Ketzerei zu verzichten, einschließlich der Kelchkommunion und der Unterstützung der Lehren von Jan Hus und John Wyclif. Zudem mischte sich der römische König Sigismund in die Politik ein. Er forderte von seinem Bruder Wenzel IV., in den Schoß der römischen Kirche zurückzukehren und gegen die Ketzer einzugreifen.“

Wenzel stellte sich Sigismund zunächst hart entgegen und verbat sich dessen Einmischung in die inneren Angelegenheiten Böhmens. Aber im Januar 1419 kam er zu dem Schluss, dass er selbst handeln muss, wenn er den böhmischen Thron behalten will. Laut der Historikerin war gerade das der Wendepunkt:

„Der Prager Erzbischof hat zunächst ein Interdikt über Prag verhängt. Das ist ein Verbot von gottesdienstlichen Handlungen, was für die Menschen des Mittelalters einer Katastrophe gleichkam. Zudem erlaubte der Herrscher nur noch vier Kirchen in Prag die Kelchkommunion. Das sorgte für Empörung bei den Menschen, die zudem von radikalen Predigern weiter aufgewiegelt wurden. An deren Spitze stand Jan Želivský, der ein Hauptakteur des Ersten Prager Fenstersturzes war.“

Kirche Maria Schnee  (Foto: Kristýna Maková)
Der 30. Juli 1419 begann wahrscheinlich wie jeder andere Tag, schildert die Mittelalter-Expertin Eva Doležalová:

„Es gab eine Predigt und einen Gottesdienst mit Kelchkommunion in der Kirche Maria Schnee. Die Messe wurde von Jan Želivský zelebriert. Das war alles aber nur Fassade. Historiker glauben heute, dass die Bluttat im Voraus geheim vorbereitet wurde. Die in der Kirche versammelten Pfarrleute sollen bewaffnet gewesen sein. Darunter waren viele Anhänger der radikalen Kirchenreform und des Predigers Jan Želivský. Wahrscheinlich haben sie die Waffen unter ihrer Bekleidung versteckt. Die Predigt hatte zum Thema, wie man sich vor falschen Propheten schützen soll. Dadurch angefeuert begab sich der Mob auf eine Prozession durch die Stadt.“

Zunächst wurde die Stephanskirche in der Prager Neustadt gestürmt. Dort predigte Jan Želivský bevor ihm dies wegen der Kelchkommunion verboten worden war. Anschließend zog die Menschenmasse vor das Neustädter Rathaus.

Elf Opfer im Neustädter Rathaus

Neustädter Rathaus  (Foto: Kristýna Maková)
„In den ersten Sommerwochen wurde dort ein königstreuer Stadtrat installiert, der hart gegen die Kelchkommunion vorging. Einige Anhänger von Jan Želivský wurden sogar im Kerker des Rathauses festgehalten. Das war wahrscheinlich der Impuls: Želivský forderte die Menschenmasse auf, zum Rathaus zu gehen und Gerechtigkeit für die Glaubensbrüder durchzusetzen.“

Nachdem sich die Nachricht über den Zug der radikalisierten Masse durch die Neustadt verbreitet hatte, kamen die Ratsherren im Rathaus zusammen. Sie wandten sich mit der Bitte an den König, ihnen eine Militäreinheit zur Hilfe zu schicken. Doch sie saßen bereits in der Falle:

„Die aufmüpfigen Prager haben die Stadträte im Rathaus eingesperrt. Sie wären nur mit Hilfe von Soldaten rauskommen, die der Herrscher ihnen schicken sollte. Aber das Heer traf zu spät ein. Die Menschenmasse durchbrach das Tor und schritt zur Tat. Das Ganze war gut vorbereitet. Es kam nicht zu einer Schlägerei, die zufällig in den Fenstersturz gemündet hätte. Die ältesten Quellen, die die Auseinandersetzung beschreiben, sagen, dass unten bereits Spieße vorbereitet waren. Auf diesen sollten die Ratsherren landen. Sie hatten keine Chance zu Überleben.“

Es gibt zwei Quellen, die glaubwürdige Informationen über den Fenstersturz liefern.

Foto: pontzi,  Pixabay
„Die eine ist die Chronik des Lorenz von Brösau, die heute Hussitische Chronik genannt wird. Darin wird diese Begebenheit zwar nur relativ spärlich beschrieben, trotzdem bekommen wir Angaben über die Gewalttat und ihren Hauptakteur Jan Želivský sowie über die Orte, die der Mob passierte. Mehr Details liefern die ‚Alten böhmischen Annalen‘. Dort stehen die Namen der Stadträte, die aus dem Rathausfenster geworfen wurden. Wir erfahren daraus, dass die Auseinandersetzung elf Opfer hatte.“

Die Stadträte lehnten die Forderungen von Želivský ab und weigerten sich, dessen Glaubensgenossen zu entlassen. Dadurch haben sie ihr Todesurteil unterzeichnet. Und wie reagierte der König auf die Entwicklung?

„Das ist sehr merkwürdig. Wir sind nicht imstande, die Frage anhand der Quellen zu beantworten. Der König hielt sich nicht mehr in Prag auf, sondern auf der Neuen Burg in Kunratice. Diese war etwa eine Stunde Ritt von Prag entfernt. Er hätte es also zeitlich nicht geschafft, einzugreifen. Wahrscheinlich hatte er aber auch keine Kraft mehr, die Lage zu beeinflussen. Er ist nur 17 Tage später, am 16. August gestorben.“

Auftakt zu den Hussitenkriegen

Sigismund | Foto: Wikimedia Commons,  public domain
Kurz nach Wenzels Tod erhob sein Bruder Sigismund sein Recht auf die böhmische Thronfolge. Er erklärte sich zum böhmischen König, und ein Teil des heimischen Adels stand ehrfurchtsvoll an seiner Seite. 1421 lehnte ihn aber der böhmische Landtag in Čáslav als Herrscher ab. Es folgte eine lange Zeit, in der die böhmischen Länder keinen König hatten. Die Historikerin:

„Der Tod von Wenzel IV. hat den Raum für die Hussitenrevolution geschaffen und für Ereignisse, die das Land politisch, religiös und wirtschaftlich kennzeichnen sollten.“

Der Erste Prager Fenstersturz löste die sogenannten Hussitenkriege aus. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Auseinandersetzungen und Schlachten, die das Land zwei Jahrzehnte lang erschütterten.

Hussitenkriege  (Autor: Luděk Marold)