Die deutsche Minderheit nach 1945

Sudetenland

Vor 60 Jahren, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945, begann die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Böhmischen Ländern. Nicht alle mussten damals ihre Heimat verlassen. Im nun folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte unterhält sich Katrin Bock mit Margarete Bauer über das nicht immer einfache Leben der deutschen Minderheit nach 1945.

Das Ende des zweiten Weltkriegs im Mai 1945 begrüßten die meisten Bewohner Europas mit Freude und Erleichterung - einigen brachte es allerdings erneutes Leid und Verlust. Bereits im Mai 1945 erfolgten die ersten so genannten wilden Vertreibungen von Sudetendeutschen aus den Böhmischen Ländern. Bis zum Ende der Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 sollen schätzungsweise 750.000 Deutsche vor allem aus Südmähren und Nordböhmen vertrieben worden sein. Später setzten dann organisierte Bahntransporte ein, mit denen bis Ende 1946 rund 2,8 Millionen Sudetendeutsche ausgesiedelt wurden. Nicht alle deutschen Bewohner der Böhmischen Länder mussten damals ihre Heimat verlassen. Schätzungsweise 250.000 von ihnen durften bleiben. Dabei handelte es sich entweder um tschechisch-deutsch gemischte Familien, um Antifaschisten oder um so genannte Unabkömmliche, deren Kenntnisse in den nun verstaatlichten Betrieben und Fabriken gebraucht wurden.

Edvard Benes
Der tschechoslowakische Präsident Edvard Benes erließ in jenen Nachkriegswochen und Monaten, bis ein neu gewähltes Parlament zusammenkommen sollte, so genannte Dekrete. Diese Übergangsegelungen basierten auf Vorschlägen der Regierung. Im März 1946 bestätigte dann das neue Parlament die Dekrete als Gesetze. Nur 13 der insgesamt 143 heute als Benes-Dekrete bezeichneten Verordnungen betrafen die deutsche und ungarische Minderheit der Tschechoslowakei. Mitte Mai und Mitte Juni wurden die ersten zwei Dekrete über entschädigungslose Enteignungen sowie Konfiskationen von Besitz Deutscher und Ungarn erlassen. Das Dekret 33 vom 2. August 1945 verfügte über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft aller tschechoslowakischer Deutschen und Ungarn. Ausgenommen von dieser Bestimmung waren diejenigen, die Zitat: " sich niemals etwas gegen das tschechische oder slowakische Volk zuschulden kommen ließen und sich aktiv an ihrem Befreiungskampf beteiligt oder unter nazistischem oder faschistischem Terror gelitten haben". Das am 19. September 1945 verabschiedeten Dekret Nr. 71 hatte die Arbeitspflicht für alle Deutschen und Ungarn zum Inhalt, und das Dekret Nr. 108 vom 25. Oktober 1945 schließlich die entschädigungslose Konfiskation des gesamten "Feindvermögens".

In jener Zeit der Vertreibung und Aussiedlung sah es so aus, als ob die Deutschen, die in der alten Heimat bleiben durften, die Glücklicheren wären. Doch mit der Zeit stellte sich das Gegenteil heraus. Die Lage der Deutschen in der Tschechoslowakei war alles andere als rosig - die meisten hatten die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft auf Grund des Dekrets vom 2. August 1945 verloren und damit auch viele Rechte, wie das auf höhere Bildung, das aktive und passive Wahlrecht oder die freie Wohnortswahl. Viele Sudentendeutsche wurden in jenen Monaten aus dem Grenzgebiet ins Landesinnere umgesiedelt. Hier mussten sie oftmals Zwangsarbeit bei geringen Löhnen leisten. Erst 1953 erhielten alle noch im Lande lebenden Deutschen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zurück. Während des Prager Frühlings 1968 wurden sie endlich als nationale Minderheit anerkannt.

In der ersten Nachkriegsvolkszählung von 1950 gaben 165.100 Personen die deutsche Nationalität an, in der letzten Volkszählung von 2001 waren es nur noch 39.100. Organisiert sind diese heute in zwei Vereinen - der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien, die derzeit rund 5.800 Mitglieder hat und dem Kulturverband der Deutschen mit ca. 2.000 Mitgliedern. Im Kulturverband ist Margarete Bauer seit Jahrzehnten tätig. Nach Kriegsende konnte sie mit ihrem Mann als unabkömmlich in Böhmen bleiben. Mit ihr unterhielt ich mich über das Leben als Deutsche im nordböhmischen Usti nad Labem - Aussig an der Elbe.

Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei
"Ich heiße aus Margaerete Bauer, ich komme eigentlich aus Gablonz, wohne aber bereits über 50 Jahre in Aussig - der Grund, warum wir hierher gekommen sind, war eigentlich die Industrie, man hat Maschinen aus meinem Heimatort hierher gebracht und man brauchte Schlosser und da ist mein Mann mitgegangen. Das ist der Grund, warum ich nach Aussig gekommen bin. Hier habe ich mich selbstverständlich sofort in die Arbeit für die deutsche Minderheit mit eingebracht, das war damals die Nationalitätenkommission beim Bezirksnationalausschuss, das war 1951 -52. Die Bezirkskulturzentren haben uns damals geholfen, irgendwelche Veranstaltungen für die deutsche Minderheit zu organisieren. Das war seit 1951 möglich, allerdings in einem engen Rahmen, aber es hat funktioniert. Damals gab es so etwas wie eine Volksakademie und diese hat es geschafft, einen Zyklus Kurse zu organisieren, also Vorträge in deutscher Sprach. Und soviel ich mich noch erinnern kann, wer alle Vorträge besucht hat, bekam sogar ein Diplom und als Belohnung gab es einen Ausflug am Ende."

War das Interesse groß, oder hatten viele Deutsche Angst, sich dazu zu bekennen?

"Das Interesse für diese Vorträge war groß, aber ein eigener Verein bestand damals noch nicht, und als wir ihn gegründet haben, war die Angst sehr groß, sich da einzubringen, das hat viel Überzeugungskunst gekostet."

War diese Angst berechtigt? Gab es offensichtliche Benachteilungen für Deutsche?

"Diese Angst war eigentlich nicht besonders berechtigt - aber wenn jemand dann ins Ausland fahren wollte und zur Polizei kommen musste, wegen der Papiere, dann wurde gesagt:" wir wissen, Sie sind Mitglied beim Kulturverband" und das hat die Leute natürlich schockiert, wir waren alle unter den Augen bekannt. Ich war immerzu unter einer Kontrolle, aber das hat mir eigentlich nichts ausgemacht. Ich muss ehrlich sagen, der Sozialismus hat mir nicht wehgetan."

Sie persönlich bereuen es nicht, dass sie sich engagiert haben?

"Nein, dass hab ich nie bereut, das habe ich immer gern gemacht. Es war notwendig, die Menschen müssen etwas haben, woran sie glauben. Der Kulturverband war eigentlich unsere Familie -dort konnten wir deutsch sprechen, so wie wir zu hause deutsch gesprochen haben und niemand hat uns dabei angefeindet. Es war ein Erlebnis, wenn Sie in den Saal gekommen sind, z.B. zu einer Weihnachtsfeier und da waren 200 Mitglieder, 200 Deutsche, alle sprachen deutsch, alle sangen deutsche Lieder - das war für die damalige Zeit wirklich viel wert."

Jablonec/Gablonz
Wie viele Deutsche gab es eigentlich in Usti?

"Ich weiß nicht, wie viele Deutsche es wirklich gab, aber unser Verband hatte zu Anfang weit über 200 und das war schon eine beachtliche Anzahl. Im ganzen Gebiet hatten wir damals bei Gründung des Kulturverbands an die 8000 Mitglieder - da war schon was los. Selbstverständlich gab es auch viele einzelne Organisationen."

Ich habe noch eine Frage zum heutigen Kulturverband - wie alt ist das jüngste Mitglied?

"Die älteste ist 97, und die jüngste - ich weiß nicht, aber es gibt nur wenige, die unter 70 sind, vielleicht ein, zwei, die unter 70 sind, aber das Durchschnittsalter ist mindestens 75 Jahre, meistens sind es Frauen, weil uns die Männer vorausgegangen sind in die ewigen Jagdgründe."

Wie kommt es, dass die jüngere Generation kein Interesse hat. Sind sie assimiliert, fühlen sie sich als Tschechen, oder woran liegt das?

"Das dürfte ein Fall sein, aber zum anderen haben wir eigentlich für die jüngere Generation nichts anzubieten, denn das, was uns zusammenhält, das ist für sie uninteressant. Erst einmal die Sprache - sie sprechen alle viel besser tschechisch wie deutsch - es ist in den Familien eigentlich kaum mehr üblich, deutsch zu sprechen, die Kinder sind in den tschechischen Kindergarten gegangen, in den Hort, in die Schule, Geschwister haben untereinander tschechisch gesprochen, die Eltern mussten mitziehen. Es gab auch Familien, die nicht mitziehen konnten, die haben dann vielleicht zehn Jahre manchmal gekämpft, um aussiedeln zu können, die Kinder mitnehmen zu können nach Deutschland."

Darf ich Sie fragen, wie es bei Ihnen in der Familie war, ist Ihr Mann Deutscher?

"Mein Mann war Deutscher, wir haben natürlich deutsch gesprochen - ich habe zwei Kinder, die sprechen gut deutsch. Meine Tochter ist Deutschlehrerin, mein Sohn hätte beinahe seine Arbeit verloren, aber er hat sich mit der deutschen Firma in Verbindung gesetzt, und da helfen ihm natürlich dabei seine Deutschkenntnisse. Die Deutschkenntnisse haben sich bei ihm eigentlich so gut entwickelt und erhalten, weil eben die DDR bei uns in Tisa sehr nahe war und viele Freunde herüberkamen, die schon auf ihn gewartet haben - er war ein guter Dolmetscher und außerdem hat er so beide Sprachen erhalten."

Soweit Margarete Bauer aus Tisa bei Usti nad Labem -Aussig an der Elbe.