Herbert Masaryk – der „missratene Sohn“ des Staatsgründers

Herbert Masaryk: Selbstbildnis

Ohne jede Beachtung sind vor kurzem 100 Jahre seit dem Tod des Malers Herbert Masaryk vergangen. Der Sohn des späteren ersten Staatspräsidenten der Tschechoslowakei starb mit 35 Jahren an Typhus. Der künstlerisch begabte junge Mann war dabei eine ganz andere Natur als sein Vater.

Herbert Masaryk: Selbstbildnis
Anfang März 1915 gelangte eine Gruppe von Flüchtlingen aus dem Osten in die ostböhmische Gemeinde Borová. Europa steckte tief im Krieg, der damals einfach nur das Attribut „der Große“ hatte. Auf den Schlachtfeldern herrschten nicht nur die Waffen, sondern auch Krankheiten wie vor allem Typhus. Schätzungen nach sind allein in Russland während des Ersten Weltkriegs mehr als drei Millionen Menschen an dieser bakteriellen Infektionskrankheit gestorben. Wahrscheinlich wurde diese Seuche auch von den Flüchtlingen nach Borová eingeschleppt. Herbert Masaryk, der dort mit seiner Familie wohnte und den Hilfsbedürftigen half, erlag dieser heimtückischen Krankheit nur einige Wochen später.

Tomáš Garrigue Masaryk | Foto: Josef Jindřich Šechtl,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0
Der Mann wäre heute wahrscheinlich völlig vergessen, wenn sein Nachname nicht jedem Tschechen vertraut wäre. Der Sohn des späteren Staatspräsidenten kam 1880 in Wien zur Welt, die Familie zog jedoch zwei Jahre später nach Prag um. Schon bald stellte sich heraus, dass der Sohn nicht den Vorstellungen seines Vaters folgen wollte: Tomáš Garrigue Masaryk war zielstrebig, fleißig und bescheiden, noch dazu als Universitätsprofessor und vielseitig aktive Persönlichkeit öffentlich bekannt. Sohn Herbert lebte hingegen wie ein Bohemien, der sich zu nichts verpflichten wollte. Dabei habe der Trotz gegen den Vater eine große Rolle gespielt, meint der Journalist Ondřej Fér. Er hat sich mit der Familiengeschichte der Masaryks auseinandergesetzt.

„Dieser Trotz äußerte sich wahrscheinlich in einer länger andauernden Pubertät, da Herbert keine Sache vollenden konnte. Dies betraf vor allem seine Schulbildung. An einem etwaigen Mangel an Begabung oder Intelligenz dürfte es nicht gelegen haben, eher war wohl das Problem, dass ihm die Umgebung ständig seinen Vater als Vorbild vorhielt. Herbert wollte einfach nicht die Rolle des braven Nachwuchses spielen. Das Gymnasium tauschte er gegen die Akademie der Bildenden Künste ein, aber auch diese verließ er vorzeitig. Dann reiste er durch Europa und studierte an unterschiedlichen Kunst-Akademien. Nirgendwo blieb er aber länger als ein Jahr. Er zog es vor, sich selbst weiterzubilden, vor allem in Galerien fühlte er sich zu Hause. Er veröffentlichte sogar mehrere Fachartikel, die positiv aufgenommen wurden. Zur Malerei als systematischer Arbeit brachte ihn jedoch erst ein Treffen mit dem Maler Antonín Slavíček.“

Ehe mit der Witwe des Selbstmörders

Antonín Slavíček
Beide Männer lernten sich 1905 kennen. Dieses Jahr bedeutete einen grundsätzlichen Umbruch in Herbert Masaryks Leben. Er entschloss sich, aus dem Ausland nach Prag zurückzukehren und mit der Malerei sein täglich Brot zu verdienen. Zunächst half ihm dabei, dass er nicht in die k. u. k. Armee eingezogen wurde – nichts war dem freiheitlichen Geist fremder als eine Uniform. Im Sommer kam es dann zum erwähnten schicksalshaften Treffen.

„Antonín Slavíček war zehn Jahre älter als Herbert Masaryk. Er war eine bekannte und geschätzte Persönlichkeit wilder Natur, die immer im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Jeden Sommer organisierte er in einer kleinen Ortschaft in Ostböhmen Treffen verschiedener Künstler. Slavíček und Masaryk verstanden sich wohl auf Anhieb gut. Sie trafen sich später auch privat und erlebten beinahe so etwas wie eine freundschaftliche Idylle, die mit Gesprächen über die Kunst gefüllt war. Masaryk freundete sich auch mit Slavíčeks Ehefrau Mila und ihren Kindern an. Es sieht so aus, als ob er zu seinem Freund jene Beziehung hatte, die er zu seinem Vater nicht aufbauen konnte. Slavíček war für ihn eine Autoritätsperson“, so Fér.

Ondřej Fér  (Foto: ČT24)
Die Idylle wurde jedoch am 9. August 1909 jäh beendet. An diesem Tag badete Slavíček im Fluss Zdobnice / Stiebnitz im Adlergebirge und erlitt dabei einen Hirnschlag. Seitdem war seine rechte Körperseite gelähmt. Mit aller Kraft versuchte er sich, zu einem normalen Leben zurückzufinden, er versuchte sogar, mit der linken Hand zu malen. Doch die Lage war für Slavíček unerträglich, und am 1. Februar 1910 nahm er sich das Leben.

Sieben Monate danach heiratete Herbert Masaryk Slavíčeks Witwe und adoptierte auch ihre zwei Kinder. Später kamen noch vier eigene Kinder hinzu. Diese Ehe führte jedoch zu einem neuen Streit zwischen Herbert und seinem Vater, sagt Ondřej Fér:

‚Der Selbstmord als Massenerscheinung der modernen Zivilisation‘  (Foto: Archiv des Masaryk-Instituts der Akademie der Wissenschaften)
„Dass sein Sohn heiratete und dabei eine ältere Frau und die Witwe seines Freundes zur Frau nahm, davon dürfte Masaryk Senior eher begeistert gewesen sein. Unerträglich war für ihn aber angeblich, dass Mila die Witwe eines Selbstmörders war. Warum er das so empfand, ist nicht klar. In seiner Stellung als Professor hatte Masaryk jedoch 1881 eine Schrift herausgegeben, die den Titel ‚Der Selbstmord als Massenerscheinung der modernen Zivilisation‘ trug. In dem Text schrieb er von einer Krise des modernen Menschen, der keine Stütze mehr habe durch eine allgemein geteilte Weltanschauung. Masaryk rief zu einer eingehenden Erforschung und zum Verständnis dieser Erscheinung auf. Darauf wiesen Masaryks Kritiker hin. Auch in seriösen Zeitungen wurde danach darüber spekuliert, warum der Autor der erwähnen Schrift Probleme mit der Ehe seines Sohnes hatte.“

Zwischen Impressionismus und Expressionismus

Wie jedoch Journalist Fér betont, gibt es keinen Grund zur Vermutung, dass die Ehe zwischen Herbert und Mila nicht glücklich gewesen sei. Die Ehe mit der älteren und von einer Schar Kindern umgebenen Frau machte offensichtlich den wankelmütigen Künstler zu einem verantwortungsbewussten Mann. Dies war übrigens auch an seinem Werk zu erkennen. Die Bilder aus dieser Zeit beweisen einen eigenen, gereiften Stil irgendwo zwischen Impressionismus und Expressionismus. Auch der Erste Weltkrieg änderte nichts daran. Herbert interessierte sich anders als sein Vater überhaupt nicht für Politik. Er lebte zufrieden mit seiner Familie in Borová – bis dort die Gruppe von Flüchtlingen eintraf und damit auch sein Tod. Auch in seinen letzten Tagen dachte er an seine Familie: Nachdem er sich mit Typhus angesteckt hatte, ließ er all seine Kleider verbrennen und sich ins Krankenhaus nach Prag fahren. Dadurch sollten die Kinder und seine Frau Mila verschont bleiben.

Herbert Masaryk: Bauernhaus
Herbert Masaryk malte zwischen 1905 und 1915 etwa 300 Bilder. Davon gelten jedoch etwa 100 als verloren. Die übrigen werden heute laut Ondřej Fér nicht sonderlich geschätzt.

„Allgemein ist überliefert, dass Herbert Masaryk ein begabter Maler gewesen sei. Man muss aber sagen, dass sein Werk unvollendet geblieben ist. Er starb in einem Moment, als er begann, sein künstlerisches Gesicht zu finden. Wäre ihm ein längeres Leben beschieden gewesen, hätte er sich vielleicht zu einem der bekanntesten Maler seiner Zeit entwickelt. So sind sich aber die Kritiker einig, dass das Interessanteste an Herbert Masaryk sein Nachname war. Bei Versteigerungen werden seine Gemälde üblicherweise nur zum Aufrufpreis verkauft“, sagt Fér.

Grab von Herbert Masaryk und seinen Töchtern  (Foto: Zákupák,  Wikimedia Public Domain)
Nur zweimal gab es bisher eine Ausstellung von Masaryks Werk. Die erste fand 1935 statt, und der entsprechende Katalog lässt sich heutzutage im Internet kaufen. Das zweite Mal wurden Herbert Masaryks Bilder 1993 unter der Schirmherrschaft von Václav Havel ausgestellt. Damals nahmen auch beide Töchter des Malers an der Vernissage teil.