Minen, Sand und Hitze – Tschechen bei der Verteidigung Tobruks

Tobruk (Foto: Public Domain)

Diese Woche ist der Weltkriegsveteran und ehemalige Radio-Prag-Chefredakteur Bedřich Utitz gestorben. Im Kampf gegen Hitlerdeutschland war Utitz unter anderem in Tobruk eingesetzt. Die Verteidigung dieser Wüstenfestung im westlichen Libyen gegen das Afrikakorps von Erwin Rommel spielt in der tschechischen Geschichtsschreibung eine wichtige Rolle. Dort wurde erstmals im Zweiten Weltkrieg eine Infanteriebrigade mit Soldaten aus der Tschechoslowakei eingesetzt. Im Folgenden mehr zu diesen Soladten und der Schlacht um Tobruk.

Jindřich Marek  (Foto: Prokop Havel,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Frühjahr 1941. Immer wieder versuchen die Italiener und Deutschen, Tobruk einzunehmen. Dabei sind es die Italiener selbst, die die Festung mit mehreren Verteidigungslinien ausgebaut haben. Fast acht Monate lang trotzen die Alliierten erfolgreich den Attacken. Warum aber ist dieses Tobruk im Zweiten Weltkrieg so wichtig? Jindřich Marek ist Publizist und Historiker:

„Es war wichtig, weil die Deutschen zum Suezkanal vordringen wollten und dann weiter zum Öl im Irak, in Aserbaidschan und an anderen Orten. Erwin Rommel, der Befehlshaber der deutschen und italienischen Streitkräfte in Nordafrika, gelangte zwar schnell in Richtung Suez, aber die Division in Tobruk blieb ihm wie eine Gräte im Hals stecken. Der Hafen war wichtig für die Versorgung der Truppen. Dass die Alliierten die Festung verteidigen konnten, bereitete ihm große Probleme. Und so wurde aus einem Nebenschauplatz ein wichtiges Schlachtfeld.“

Tobruk  (Foto: Public Domain)
Tobruk ist zu dieser Zeit der einzige Tiefseehafen zwischen Tripolis und Alexandria. Als Kolonialmacht hat Italien vor dem Krieg einen Schutzgürtel um die Stadt gebaut. 50 Kilometer ist er lang, mit Unterständen, Schützengräben und MG-Stellungen. Im September 1940 beginnt Italien einen Angriff auf Ägypten, das unter britischem Schutz steht. Doch der endet für die Truppen Mussolinis mit einem Desaster. Die Alliierten können die Italiener weit nach Libyen zurücktreiben und besetzen unter anderem Tobruk. Dann gerät die britische Armee Anfang 1941 ins Dilemma, weil sie den Griechen beim Kampf gegen die Italiener helfen will.

„Es gab zwei Varianten: Entweder die Offensive in Nordafrika fortzusetzen oder einen Teil der australischen und neuseeländischen Truppen nach Griechenland abzuziehen. Es war dann wohl ein Fehler, dass die Kräfte in Nordafrika geschwächt wurden. Denn die Briten hatten in Griechenland keinen Erfolg, und zunächst auch nicht in Nordafrika“, so Historiker Marek.

Erwin Rommel  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 101I-785-0287-08 / CC-BY-SA 3.0)
Es ist Erwin Rommel, der eine Art Blitzkrieg in der Wüste unternimmt. Die deutsche Propaganda feiert den Vorstoß, doch Tobruk will einfach nicht fallen. Da diese Festung immer wichtiger wird, bilden die Briten Freiwillige aus weiteren Ländern zum Kampf aus. So auch Hitler-Gegner aus dem deutsch besetzten „Protektorat Böhmen und Mähren“ sowie der Slowakei.

Aus dem eisigen Russland in die Wüste

Die Tschechen und Slowaken kommen auf teils abenteuerlichen Wegen zunächst nach Haifa im heutigen Israel, wo die Einheit entstehen soll. Jan Perl ist als 16-jähriger Jugendlicher nach Polen geflohen und kämpft dort gegen die Wehrmacht, wird dann aber von der Roten Armee gefangen genommen. Zu dem Zeitpunkt besteht noch der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt. Perl hat Glück, dass er nicht in ein Lager nach Sibirien kommt. Stattdessen erhält er 1941 die Möglichkeit, sich der tschechoslowakischen Brigade im Nahen Osten anzuschließen. Die Fahrt geht mit dem Zug in den Schwarzmeerhafen Odessa. Dann per Schiff nach Istanbul und in den Süden der Türkei. Vor einigen Jahren schilderte Jan Perl in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks seine Geschichte:

Jan Perl  (Foto: Archiv Post bellum)
„Ich erinnere mich, dass wir im Hafen Mersin auf weitere Tschechen und Slowaken aus Russland gewartet haben. Ich weiß aber nicht, wie viele wir letztlich waren, als wir nach Haifa verschifft wurden. Dort schlossen wir uns der achten britischen Armee von Marschall Montgomery an und erhielten Uniformen. Es war unglaublich heiß da, weil der Wüstenwind Chamsin die Temperaturen auf 50 Grad hochtrieb. Als wir in Russland losgefahren waren, hatte das Thermometer noch minus 30 Grad gezeigt. Es war genau der 1. Mai 1941. Einige Tage später wurden wir zur Armee von Oberst Klapálek nach Alexandria in Ägypten verschifft. Dort sollten wir ein britisches Lager mit deutschen Kriegsgefangenen bewachen.“

Die tschechoslowakische Brigade ist bunt zusammengewürfelt. Den Kern bilden Soldaten, die eigentlich in Frankreich kämpfen wollen. Hinzu stoßen weitere Flüchtlinge aus dem Protektorat, darunter viele Juden, deren Ziel Palästina ist. Und ganz zum Schluss sind es wie Jan Perl die Teilnehmer des erfolglosen Kampfes in Polen, die aus der sowjetischen Internierung freikommen. Die meisten brauchen aber erst einmal eine fundierte militärische Ausbildung. Die erhalten sie in Alexandria. Auch der im November verstorbene Stanislav Hnělička hat sich vor einiger Zeit an seinen Einsatz in Nordafrika erinnert:

Stanislav Hnělička  (Foto: Barbora Němcová)
„Die Ausbildungszeit war sehr hart. Wir wurden jede zweite Nacht abkommandiert, um italienische und deutsche Kriegsgefangene zu bewachen. Einen Tag also Ausbildung, den zweiten hatten wir frei. Aber ab dem Abend mussten wir Wache schieben. Wir sind überhaupt nicht aus dem Lager herausgekommen.“

Teile der tschechoslowakischen Brigade werden dann erstmals in Syrien und dem Libanon eingesetzt. Im Oktober 1941 sind die Verbündeten Hitlers dort besiegt. Und so wird Klapáleks Truppe aus Alexandria nach Tobruk verschifft. Historiker Jindřich Marek:

„Genau am 21. Oktober wurde das Gros der Brigade auf zwei Torpedobooten nach Tobruk gebracht. Es waren 634 Männer, die in der Nacht dort an Land gingen.“

Auf Gummisohlen durch die Minenfelder

Tobruk ist zu dem Zeitpunkt von vier italienischen Divisionen und einer deutschen umringt. Die Tschechen und Slowaken werden mit einer polnischen Einheit zusammengelegt. In der Belagerungssituation wird vor allem Wache geschoben. In der Nacht unternehmen sie immer wieder Ausfälle an die feindliche Linie heran. Einer von ihnen ist Ladislav Snídal, damals 26 Jahre alt. Er ist bereits 2001 verstorben, doch im Archiv des Rundfunks befindet sich ein Interview mit ihm:

Tschechische Truppe bei Tobruk
„Zu den Erkundungsgängen wurden immer fünf oder sechs Soldaten ausgewählt und besonders ausgestattet. Man erhielt Schuhe mit Gummisohlen und einen Juteüberzug für den Helm. Die Ausrüstung musste festgezurrt sein, damit kein Laut zu hören war. Als Waffen hatte man eine Tommy Gun, den Vorläufer der Maschinenpistole, und Granaten. Der Befehlshaber hatte zudem eine Pistole. So sind wir losgeschlichen. Dabei mussten wir durch mehrere Minenfelder. Und dann haben wir den Feind einfach belauscht, um an unsere Informationen zu kommen.“

Die deutsche Propaganda bezeichnet die Verteidiger Tobruks verächtlich als „Desert Rats“, also Wüstenratten. Diese kehren den Spieß um und machen daraus ihr Markenzeichen. Im Gegensatz zu den tatsächlichen Wüstennagern leiden sie aber unter dem dauernden Mangel an Wasser. Das ist rationiert auf ein Liter pro Tag und Mann:

Tobruk  (Foto: Public Domain)
„Viele Soldaten hatten Hautkrankheiten, weil sie sich nicht waschen konnten. Wir bekamen Skorbut, weil wir nicht genügend Frisches zu essen hatten. Und es gab auch psychische Krankheiten. Manche hatten Probleme, so lange von der Familie getrennt zu sein beziehungsweise die Heimat nicht gesehen zu haben. Und dazu kam die Belastung durch den Aufenthalt in den Bunkern oder an der Frontlinie, wo man jeden Moment auf eine Mine treten konnte.“

Für die Tschechen und die Slowaken ist die Lage noch aus einem anderen Grund belastend: Ihre Staaten sind keine offiziellen Kriegsteilnehmer.

„Uns war klar, dass es für uns im Fall einer Niederlage keine Kriegsgefangenschaft gegeben hätte. Für die Polen in der Einheit war das anders. Wir hatten in dem Fall auch Angst um unsere Angehörigen. Wir haben daher geschworen, dass wir uns niemals gefangen nehmen lassen. Wie wir das im Ernstfall bewerkstelligt hätten, wussten wir zwar nicht. Aber so war der Beschluss“, so Stanislav Hnělička.

Tobruk ist endlich frei

Karel Klapálek  (Foto: ČT24)
Doch dazu kommt es glücklicherweise nicht. Am 21. November 1941 gelingt es, erstmals den Belagerungsring zu durchbrechen. Einige Tage später entsteht ein Korridor zu den britischen Truppen in Ägypten. Anfang Dezember lässt Rommel seine Truppen abziehen, und Tobruk ist frei – nach 230 Tagen Belagerung. Die 11. Tschechoslowakische Infanteriebrigade harrt bis in den April 1942 vor Ort aus und wird noch einige Male angegriffen. Doch der Krieg ist noch längst nicht zu Ende. Die Brigade von Klápalek wird für die Luftabwehr ausgebildet und 1943 erneut in Tobruk eingesetzt.

Im Mai des Jahres kapitulieren Rommels Truppen, und die tschechoslowakische Einheit wird nach Großbritannien geschifft. Dort werden Klapálek und seine Leute zwar mit hohen Militärorden geehrt, aber die Brigade wird aufgelöst. In der Folge kämpfen die Soldaten an unterschiedlichen Kriegsschauplätzen gegen Hitler.

Nach dem Krieg wird ihnen auch in der befreiten Tschechoslowakei große Ehre erwiesen. Als aber die Kommunisten die Macht übernehmen, macht die Propaganda aus den Helden sehr schnell angebliche Kollaborateure mit dem Klassenfeind. Viele von ihnen wandern ins Gefängnis. Die volle Rehabilitierung erfolgt erst nach der politischen Wende von 1989.

Autor: Till Janzer
schlüsselwort:
abspielen