Parlamentswahlen 1946 – Abstimmung auf dem Weg zum Kommunismus

Foto: Tschechisches Fernsehen

Vor 70 Jahren fanden in der Tschechoslowakei die ersten Parlamentswahlen nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Konkret wurden die Bürger am 22. Mai 1946 zu den Wahlurnen gebeten. Souveräner Sieger wurden die Kommunisten, sie bekamen im ganzen Land durchschnittlich mehr als 30 Prozent aller Stimmen. Nur wenige Menschen ahnten damals jedoch, welche Auswirkungen dies auf die weitere Entwicklung des Landes haben würde. Im Folgenden ein Rückblick auf eine äußerst problematische Wahl.

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Die Kommunisten werden die Führungskraft des Volkes! Noch keine Partei hat jemals ein so großes Vertrauen der Wähler erhalten!“ Mit solchen Schlagzeilen kommentierte die kommunistische Tageszeitung „Rudé Právo“ (Rotes Recht) die Ergebnisse der Parlamentswahlen vor 70 Jahren. Der Abstimmung waren die üblichen Wahlkampagnen vorausgegangen – von Prag bis in die kleinsten Gemeinden fanden Parteiversammlungen statt, im ganzen Land wurden Plakate geklebt. Und doch hatte sich etwas Wichtiges geändert gegenüber den Wahlen der Zwischenkriegszeit. Damals warben teils mehr als 30 Parteien und politische Zusammenschlüsse um das Vertrauen der Wähler, nun waren nur noch vier zugelassen. Außerdem war die Konkurrenz zwischen ihnen eingeschränkt, weil sie alle zur sogenannten Nationalen Front gehören mussten. Michal Stehlík ist Historiker an der Prager Karlsuniversität.

Edvard Beneš  (Foto: ČT24)
„Die Gründe liegen in den Vereinbarungen zwischen den Exilgruppen in London und Moskau, die bereits vor dem Ende des Krieges abgeschlossen wurden. London war Sitz der tschechoslowakischen Exilregierung und des Staatspräsidenten Edvard Beneš, in Moskau saßen die Kommunisten. Beide Gruppen sahen in der Uneinigkeit der politischen Parteien eine der Ursachen für den Zerfall der tschechoslowakischen Demokratie. Der Begriff ‚Nationale Front‘ war eine Erfindung der Kommunisten – und Edvard Beneš akzeptierte ihn. Zugelassen wurden nur die Linksparteien, die dem Programm der Front zugestimmt hatten. Nicht einmal die Agrarier als bedeutendste Rechtspartei der Zwischenkriegszeit durften an den Wahlen teilnehmen. Dies bedeutete eine sehr eingeschränkte politische Konkurrenz. Eine politische Opposition im eigentlichen Sinne gab es praktisch nicht.“

Rechtsparteien nicht zugelassen

Regierungsprogramm von Košice
Die Parteien der Nationalen Front verabschiedeten ihr gemeinsames Programm bereits im April 1945 in der ostslowakischen Stadt Košice / Kaschau. Es sei ein „Programm der nationalen und demokratischen Revolution“, stand damals im Text. Zu den Forderungen gehörte, das Eigentum der sogenannten „Feinde des Volkes“ zu konfiszieren, eine weitreichende Agrarreform durchzuführen und Industrie, Banken aber auch zum Beispiel die Filmproduktion zu verstaatlichen.

Das alles sollte die neue Tschechoslowakei prägen. Und diese Politik setzten die Parteien der Nationalen Front bereits in der vorläufigen Regierung nach Ende des Krieges um. Die Kommunisten erreichten dabei laut den Historikern praktisch alles, was sie wollten. In der Nachkriegs-Tschechoslowakei war der Wunsch nach radikal linken Lösungen groß – und die Kommunisten griffen diese Strömung äußerst gekonnt auf. Im März 1946 hielten sie ihren ersten Parteitag ab, dabei präsentierten sie sich als selbstbewusste Sieger, ja sogar als Retter der Zukunft. Das Parteiblatt „Rudé Právo“ veröffentlichte bei dieser Gelegenheit auch einige Briefe, die Menschen aus dem ganzen Land an Parteiführer Klement Gottwald geschrieben haben sollten. Ein Beispiel:

Klement Gottwald  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Lieber Genosse Gottwald, jeder von uns bemüht sich, aus Dankbarkeit und Liebe dir ein Geschenk zu machen. Ich bin ein armes Weib und habe nichts – nur fünf Kinder, vier Söhne und eine Tochter. Diese gebe ich dir, lieber Genosse, zum Parteitag der KPTsch. Ich verspreche dir, sie zu guten und ehrlichen Kommunisten zu erziehen, die für das Wohl unserer sozialistischen Gesellschaft arbeiten werden. Ehre der Arbeit! Jana Koubková, Dašice

Michal Stehlík findet, dass die Strategie der Kommunisten bis in alle Details ausgearbeitet gewesen sei.

„Ab der Verabschiedung des Kaschauer Regierungsprogramms von 1945, über die Wahlen im darauffolgenden Jahr bis zur Machtübernahme im Februar 1948 war die KPTsch eine perfekt organisierte Einheit, die alle ihre Schritte gründlich überlegte. Sie setzte zum Beispiel ihre Menschen systematisch an die Schlüsselpositionen bei Polizei und Armee, aber auch im Schulwesen und in der Staatsverwaltung. Ebenso gehörte dazu, den Parteitag als Kundgebung zu inszenieren. Auf dem Parteitag wurden jene Themen in den Vordergrund gestellt, die die Öffentlichkeit hören wollte. Die Kommunisten waren sehr professionell auf den Machtkampf vorbereitet“, so der Historiker.

Die Kommunisten führen die Regie

Július Ďuriš  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 183-24000-0172 / Heilig,  Walter / CC-BY-SA 3.0)
Da es bei den Parlamentswahlen 1946 keine echte Opposition gab, klangen die Parteiprogramme sehr ähnlich. Die Politiker versuchten sich daher in den Versprechen zu überbieten, die beste sozialistische Politik umzusetzen. Dabei entschieden oft auch nur Gesten. Die Kommunisten lancierten zum Beispiel die Konfiszierung und Umverteilung des Bodens. Der kommunistische Agrarminister Julius Ďuriš fuhr dann irgendwohin ins Grenzgebiet und verteilte auf dem Dorfplatz feierlich Besitzurkunden an arme Menschen. Bei den Menschen entstand der Eindruck, sie hätten ihr Grundstück direkt von den Kommunisten bekommen. Diese Taktik war sehr erfolgreich. Von den Neusiedlern in den Grenzgebieten, aus denen vorher die deutsche Bevölkerung vertrieben worden war, bekamen die Kommunisten bis zu 70 Prozent der Stimmen.

Es gibt aber noch weitere Beispiele dafür, dass die KPTsch die Regie bei den Wahlen führte. Im tschechischen Landesteil kandidierten vier andere Parteien als in der Slowakei. Die Kommunisten traten jedoch als einzige in beiden Teilen des Landes an, indem sie in der Slowakei eine scheinbar selbständige Partei gegründeten. Dies verschaffte ihr ein deutlich besseres Gesamtergebnis. Eine weitere Besonderheit der Wahlen von 1946 waren die weißen Wahlzettel – da Wahlpflicht bestand, war dies die einzige Möglichkeit, die Abstimmung zu verweigern. Michal Stehlík:

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Die Kommunisten hatten für dieses neue Element im Wahlsystem plädiert. Falls der Wähler mit den Kandidaten der Parteien nicht einverstanden war, konnte er einen weißen Wahlzettel in die Wahlurne werfen. Die anderen Parteien waren dagegen – sie fürchteten, dass es vor allem in der Slowakei zu viele weiße Zettel sein würden und damit das ganze System der Nationalen Front diskreditiert würde. Sie warfen den Kommunisten zudem vor, dadurch ihre Konkurrenten beschädigen zu wollen. Den Roten stehe eher derjenige nah, der nicht wählt, als jener, der eine andere Partei wählt, schrieb damals die nichtkommunistische Presse. Die KPTsch setzte jedoch ihre Idee durch, sie war sich des Erfolges sicher.“

Weiße Wahlzettel

Foto: Tschechisches Fernsehen
Und das Kalkül der Kommunisten ging auf: Die weißen Zettel bedeuteten nicht einmal ein Prozent aller abgegebener Stimmen. Die Bevölkerung habe die Nationale Front akzeptiert, wurde nach damaliger Logik gefolgert.

Vielen Menschen war aber das Wahlrecht aberkannt. Dazu gehörten nicht nur die Angehörigen von nationalen Minderheiten, sondern auch jene, gegen die wegen Kollaboration ermittelt wurde. Den Grund lieferten zwei sogenannte Retributionsdekrete von Staatspräsident Edvard Beneš. Das sogenannte große Dekret bestrafte die wirklichen Kriegsverbrecher, die teils am Galgen endeten. Das kleine Dekret behandelte „Verstöße gegen die nationale Ehre“, hieß es damals. Michal Stehlík:

Michal Stehlík  (Foto: Archiv der Karlsuniversität in Prag)
„Das konnte alles Mögliche sein, auch wenn jemand seinen Nachbarn denunziert hatte. Das Dekret wurde vor allem gegen die ehemaligen Agrarier angewandt, die oft zur wohlhabenden Schicht auf dem Lande gehörten. Selbst wenn der Betroffene letztlich freigesprochen wurde, war er während der Ermittlungen von der Wahl ausgeschlossen. Dieses Dekret wurde also dafür missbraucht, Menschen von der Wahl fernzuhalten, bei denen unwahrscheinlich war, dass sie die Kommunisten wählen würden.“

Und wie gingen im Detail die Wahlen aus? In den böhmischen Ländern gewannen die Kommunisten mit 40 Prozent der Stimmen. Die Volkssozialisten, die frühere Parte von Edvard Beneš, erreichten 23 Prozent, die Volkspartei 20 Prozent und die Sozialdemokraten 15 Prozent. In der Slowakei war es anders: Dort gewann die Demokratische Partei 62 Prozent aller Stimmen. Die Kommunisten bekamen nur 31 Prozent und die übrigen zwei Parteien erlitten praktisch eine Schlappe. Trotzdem war der Erfolg der Kommunisten eindeutig – im 300-köpfigen Parlament gehörten ihnen 114 Sitze. Ihr Chef Klement Gottwald wurde dann auch Ministerpräsident, und seine Genossen stellten die meisten Minister in der neuen Regierung. In der Folge wuchs die Spannung zwischen den Parteien, bis im Februar 1948 die nichtkommunistischen Minister ihre Ämter niederlegten. Ab da herrschte nur noch die KPTsch im Land – und das bis zur politischen Wende von 1989.