Personenerfassung in der frühen Neuzeit: Die Geschichte der Matrikeln

Matriken (Foto: David Hertl, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Am Anfang waren sogenannte Kirchenbücher. Später gab es gesondert geführte Geburts-, Heirats- und Sterbebücher, die im Lauf der Zeit einen Wandel erlebten. Heutzutage gelten sie als unentbehrliche Quellen für die Geschichtswissenschaft, aber auch für die private Ahnenforschung, die weltweit boomt. Im Folgenden mehr zur Geschichte dieser Archivalien.

Matriken  (Foto: David Hertl,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Wurzeln liegen weit zurück in der Geschichte, als sich die lateinische „matricula“ in der Amtssprache einbürgerte. Gebraucht wurde der Begriff ursprünglich im Sinn eines Abstammungsverzeichnisses. Daraus wurde eingedeutschte die „Matrik“ beziehungsweise „Matrikel“. Bis heute werden in Österreich so die Personenstandsregister genannt – und in Tschechien die „matrika“.

Die Entstehung der Matriken ist auf das Bedürfnis der Kirchen zurückzuführen, die Gläubigen und ihre Konfession zu erfassen. Der entsprechende Beschluss wurde 1563 auf dem Konzil von Trient getroffen. Die Umsetzung in die Praxis verlief im böhmisch-mährischen Teil der Habsburger Monarchie jedoch ziemlich schleppend. Vladimíra Hradecká vom Staatlichen Bezirksarchiv Mittelböhmen (Státní oblastní archiv):

Matriken  (Foto: Adriana Krobová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Die Böhmischen Länder, insbesondere aber Böhmen, waren damals stark protestantisch geprägt. Die päpstliche Verordnung wurde daher nicht sonderlich ernst genommen. Dass auf der anderen Seite aber erste Matriken entstanden, zeugt von der Notwendigkeit, persönliche Daten und Angaben unabhängig von der Konfession festzuhalten. Die zwei ältesten Matriken beziehungsweise Kirchenbücher, die sich in unserem Archiv befinden, stammen aus dem Dom der heiligen Barbara und der Kirche St. Jakob in Kutná Hora. Sie sind 1573 entstanden.“

Insgesamt beherbergt das mittelböhmische Archiv rund 10.500 Registerbände, die kontinuierliche statistische Daten ab 1650 bieten.

Älteste Personenstandsbücher von 1573

Prager Synode  (Foto: Archiv der Prager Stadtbibliothek)
Die Prager Synode entschied 1605, dass die Pfarreien in Böhmen eigene Personenstandsbücher führen müssen. Im überwiegend katholischen Mähren wurde der Beschluss schon früher gefasst, zwar 1591 von der Synode in Olomouc / Olmütz. Aber auch weiter gab es zunächst kein einheitliches System. Die Verwendung des Tschechischen oder des Deutschen hing beispielsweise vom Pfarrer ab beziehungsweise von der Zugehörigkeit des Pfarramtes zum jeweiligen Sprachgebiet.

Hradecká zufolge kam es erst nach dem Dreißigjährigen Krieg zur systematischen Datenaufzeichnung in jeder Pfarrei. Nicht selten war dabei ein Pfarrer für mehrere Gemeinden zuständig, und oft ließ er sich dann durch jemanden vertreten – zum Beispiel durch einen Mönch.

Die Eintragungen waren damals nicht strikt auf Geburts-, Tauf- und Sterbedaten beschränkt. Mancher Pfarrer fügte im 17. Jahrhundert nicht selten auch einen aus heutiger Sicht kuriosen Kurzbericht hinzu. Dabei habe dieser im Personenregister nichts zu suchen gehabt, so die Archivarin. Im 18. Jahrhundert setzten die Reformen von Kaiser Josef II. dem ein Ende. Die Führung von Geburts-, Trauungs- und Sterberegister sollte nicht mehr lediglich der Kirche vorbehalten sein.

Josef II.
„Aus der Sicht der Rechts- und Verwaltungsgeschichte war Josefs Dekret vom 1. Mai 1784 sehr wichtig. Die Matriken erhielten den Status öffentlich-rechtlicher Amtsbücher und sollten auch der staatlichen Verwaltung zur Verfügung stehen. Einer besseren Übersicht wegen sollten die Geburts-, Trauungs- und Todesdaten nicht mehr in einem Registerband, sondern in separaten Amtsbüchern verzeichnet werden. Diese zu führen, wurde jeder Gemeinde als Pflicht auferlegt. Außerdem wurden mit dem sogenannten Toleranzpatent des Kaisers zwei weitere Konfessionen genehmigt: die evangelisch-lutherische und die kalvinistische. Dies führte letztlich dazu, dass der evangelische Priester alle Daten dem zuständigen katholischen Pfarrer melden musste. Also jede Taufe, jede Heirat und vieles Weitere. 1850 wurden die protestantischen Kirchen offiziell gleichgestellt. Erst danach wurden ihre Angehörigen nicht mehr in katholische Kirchenbücher eingetragen“, so Vladimíra Hradecká

Konfessionslose erhielten eigene Matriken

Gebäude des Bezirksarchivs Plzeň  (Foto: Bezirksarchiv Plzeň)
Und kurz danach stand ein weiteres Novum an: Ungefähr ab 1870 konnte man sich auch als konfessionslos in einem Kirchenbuch eintragen lassen. Zehn Jahre früher war bereits damit begonnen worden, zivile Eheschließungen zu registrieren. Doch die Gesellschaft wandelte sich weiter in rasendem Tempo. Ludmila Novotná vom Bezirksarchiv Plzeň / Pilsen:

„Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nimmt die Säkularisierung der Gesellschaft deutlich zu. Innerhalb der Bevölkerung formiert sich eine immer größer werdende Gruppe von Menschen, die eine kirchliche Trauung ablehnt. Das führte dazu, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tschechoslowakei dreierlei Personenregister gab. Die der katholischen Kirche, andere, die von mehreren evangelischen Kirchen geführt wurden, und schließlich auch Matrikenbände der Konfessionslosen. Durch eine Gesetzesreform von 1949 wurde dann ein einheitliches System herbeigeführt.“

Matrikenf  (Foto: ČT24)
Ziel der Reform war, die Matrikenführung praktisch zu verstaatlichen. Die sogenannten Nationalausschüsse übernahmen als kommunale Verwaltungsorgane alle Kompetenzen. In ihrer Regie wurden ab da landesweit die Personenstandsregister erstellt. 1952 wurde zudem damit begonnen, alle Bestände der Pfarreien in neu eingerichtete staatliche Matrikenämter zu überführen. Alte Matriken aus der Zeit bis 1870 wurden in Regionalarchiven untergebracht. Dies war einer der vielen Schritte, mit denen das kommunistische Regime die Rechte und damit auch den Einfluss der Kirchen umfassend beschnitt. Wie sehen heute tschechische Archivare die damalige Reform der Matrikenregelung? Vladimíra Hradecká:

Kirchenbücher  (Foto: ČT Brünn)
„In der ersten Hälfte der 1950er Jahre wurde eine große Zahl von Pfarreien geschlossen. Mancherorts blieben die Kirchenbücher dann eine Zeitlang unbeaufsichtigt. Mancher unserer älteren Kollegen, die jene Zeit miterlebt haben, erinnert sich, alte Matriken auch als Stützen unter Schrankbeine gefunden zu haben. Ihrer Meinung nach gelang es mit der Reform, viele Archivbestände für Forschungszwecke zu bewahren.“

Diese Meinung ist heutzutage in den Fachkreisen mehrheitlich verbreitet. Lenka Matušíková vom Nationalen Staatsarchiv in Prag:

Lenka Matušíková  (Foto: ČT24)
„Aufgrund meiner Erfahrungen aus der bisherigen Arbeit mit jüdischen Matriken glaube ich, dass damals die richtige Entscheidung getroffen wurde. Für diejenigen, denen die Matriken weggenommen wurden, war es natürlich schmerzlich. Nachdem in den letzten 20 Jahren die Zahl der Personenregister enorm angewachsen ist, möchte sich meiner Meinung nach heute wahrscheinlich keine der Glaubensgemeinschaften mehr damit beschäftigen. Und wir sind mittlerweile auch in der Lage, entsprechenden Interessenten umfassende Informationen aufgrund unserer Archivbestände zu gewähren. Sie wären ohne die Konzentration in den staatlichen Regionalarchiven vielleicht nicht in dem Umfang erhalten geblieben.“

Digitalisierung – um alte Matriken zu retten

Marek Poloncarz  (Foto: Staatsarchiv in Breslau)
Davon profitieren auch jene Menschen, die sich auf die Spuren ihrer Vorfahren begeben. Ein Großteil der Regionalarchive hat vor einiger Zeit damit begonnen, seine Fonds zu digitalisieren. Eines der ersten war das Archiv in Litoměřice / Leitmeritz. Marek Polonczar leitet dieses Archiv:

„Damals schlug uns die Archivverwaltung des tschechischen Innenministeriums vor, an einem Projekt der US-amerikanischen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage teilzunehmen. Alle in unserem Archiv befindlichen Matrikenbände, rund 11.800 an der Zahl, sind bereits digitalisiert, bearbeitet und auf unseren Webseiten zu finden. Es war unser Ziel, die Archivalien vor dem Verfall zu schützen und sie auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Den Stammbaum der eigenen Familie bis ins 16. Jahrhundert zu erstellen ist allerdings sehr schwer. Viele der ältesten Archivalien wurden in den Böhmischen Ländern während des Dreißigjährigen Krieges vernichtet. Doch auch so werden unsere Internetseiten nicht nur von tschechischen Forschern, sondern auch von Interessenten aus allen Teilen der Welt besucht. Am stärksten vertreten sind Deutsche, gefolgt von US-Amerikanern.“

Landesarchiv in Opava  (Foto: Jan Polák,  CC BY-SA 3.0)
Außer staatlichen Regionalarchiven bestehen noch das Nationale Staatsarchiv in Prag, das Prager Stadtarchiv sowie zwei historische Landesarchive. Das eine der Landesarchive befindet sich im südmährischen Brno / Brünn, das andere im mährisch-schlesischen Opava / Troppau. Alle bieten sie eine Menge demografischer, statistischer und ortsgeschichtlicher Informationen für die historische Forschung.