Konservierte Heimat: Auf der Spur der deutschen Dialekte in Tschechien

Eveline Res (Foto: Archiv der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien)

Knapp 19.000 Menschen in Tschechien zählen zur deutschen Minderheit. Gerade die älteren versuchen, das Deutsche und insbesondere ihre Mundart zu bewahren. Die Vielzahl der Dialekte zwischen Böhmerwald und Altvatergebirge interessiert nicht nur Sprachwissenschaftler. Simon Römer vom Verband der deutschen Minderheit besucht seit einigen Jahren die letzten Dialektsprecher und zeichnet ihre Erinnerungen auf. Die Portraits, die dabei entstehen, bilden ein Spracharchiv und zugleich ein berührendes biographisches Konvolut.

Fluignschwammer  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
„Wann der Fluignschwammer na so schreit, is der Dowanigl nimmer weit. Jo, verstehen Sie das? Des is… wann der Fluignschwammer, das ist der Pilz mit die roten Kopf – wann der so schreit, wann man viel sieht, ja, dann ist der echte Pilz – der Dowanigl ham mir daham gesagt – gesogt – jo, also ist der nicht mehr weit.“

Am leichtesten kommt ihm sein bairischer Dialekt über die Lippen, wenn er sich an Sprüche aus der Kindheit erinnert – zum Beispiel, wann die ersten Steinpilze aus dem Boden schießen könnten.

„Also mein Name ist Beyer Adolf. I bin geboren im Böhmerwald, und zwar am Zweiten Zweiten in 39. Mein Vater ist in Tusset als Fahrdienstleiter, des wor bei der Bahn. No, und im Jahr 1945 ham’s den Vater eingesperrt, und mir mit der Mutter sind kommen in die Wagon rein, wos sie zugemacht haben, und ham’s und ausgeladet hier in Krummau, wo das Aussiedlungslager war für die Deutschen.“

In Krummau, in Český Krumlov, lebt Adolf Beyer bis heute. Er wurde nicht ausgesiedelt, sondern gehört zu den sogenannten „Heimatverbliebenen“. Adolf Beyer besuchte eine tschechische Schule, wurde Zimmerer und heiratete eine Tschechin.

Adolf Beyer  (Foto: Archiv der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen,  Mähren und Schlesien)
„I hob nie ein Problem gehabt, dass i ein Deutscher bin oder meine Frau a Tschechin. Wenn i hätt‘ in der kommunistischen Zeit gesagt, ich bin der Adolf, i bin a Deutscher, selbstverständlich hätt‘ i Probleme gehabt, jo? Man hat mussen immer wissen, mit wem ma sprecht und was ma sprecht. Des ist die Hauptsach‘.“

Nun als Rentner engagiert sich Adolf Beyer beim Adalbert-Stifter-Zentrum und für die deutsche Minderheit. Die Lebensgeschichten von bislang 18 Frauen und Männern zwischen 76 und 90 Jahren hat die Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien erfasst – im Dialekt. Kulturmanager Simon Römer hat die Interviews geführt:

Martin Dzingel  (Foto: Archiv der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen,  Mähren und Schlesien)
„Für die Angehörigen der Minderheit war es sehr wichtig. Sie haben immer gesagt, sie hätten unheimliche Angst, dass mit ihnen auch ihr Dialekt verschwinden wird. Das ist auch ganz logisch. Wenn Dialekt nicht gesprochen wird, verschwindet er halt.“

Wie groß die Bedeutung der Mundarten ist, war auch für Martin Dzingel, den Präsidenten der Vereinigung mit Sitz in Prag, schon lange offensichtlich. Verkehrssprache bei den Versammlungen der Minderheit ist Hochdeutsch…

„Aber dann untereinander! Denn wir haben zum Beispiel fünf Delegierte aus dem Egerland, fünf Delegierte aus dem Erzgebirge, zwei Delegierte aus dem Böhmerwald – und die sitzen natürlich zusammen. In den Pausen kann man das schön beobachten: Wenn eine Pause ist, dann sprechen alle untereinander in der Mundart, in der sie gewöhnlich sprechen.“

Fünf deutsche Dialektgruppen unterscheiden Sprachwissenschaftler in Tschechien – von Ostmitteldeutsch über Ostfränkisch, Mittel- und Nordbairisch bis zum Schönhengster Ostfränkisch. Nachzulesen ist das im „Atlas der deutschen Mundarten in Tschechien“, der an der Universität Regensburg entsteht. Für die Sprachforscher ist es ein Glücksfall, weil sich der Dialekt frei von Einflüssen der Hochsprache teilweise besser erhalten hat als in Deutschland. Eveline Res gehört zu den Befragten, sie kommt aus Römerstadt / Rýmařov im Altvatergebirge:

Eveline Res  (Foto: Archiv der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen,  Mähren und Schlesien)
„Von klein auf, freilich, do hom ma immer mitm Dialekt geredt. Weil da worn jo die Deutschen no, und die han ja auch so geredet. Noch der Schrift, do du mer ni sehr redn. Weil do is jo niemand. Wie noch die Deutschen do worn, do hom mer ja normal geredt, wie jetz, geh. Ober die Hochschrift – du mer ni sehr redn, gor nie.“

Simon Römer ist für seine Interviews in entlegene Winkel von Tschechien gereist – in den Schluckenauer Zipfel, ins tschechische Erzgebirge oder ins Isergebirge. Am Anfang waren es Audioaufnahmen mit Fotodokumentationen. Die Clips kamen so gut an, dass es schließlich mehr Zuschüsse für die Dialekterfassung gab. Gemeinsam mit Kameramann Sebastian Löffler dreht Simon Römer nun Filme.

Simon Römer  (Foto: Archiv der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen,  Mähren und Schlesien)
„Ein großer Vorteil ist, dass Sebastian und ich im Alter der Enkel sind. Dadurch öffnen sie sich schon sehr schnell, fangen ans uns zu bemuttern, haben für uns gekocht. Sie sind ja froh, wenn jemand kommt, der sich für sie interessiert und zuhört.“

Die Biographie und die Sprache, beides interessiert Simon Römer, wenn er mit den alten Leuten spricht. Ihren Dialekt haben sie über Jahrzehnte hinweg nur in den eigenen vier Wänden gepflegt. Wie also hat es Simon Römer geschafft, dass sie auch zu ihm, einem Fremden, in ihrer Mundart sprechen?

„Ich glaube, das ist ganz einfach - und doch wieder nicht. Man kann die Leute zum Sprechen bringen, jeder kann seine Biographie erzählen, wenn man danach fragt. Aber mir ging es darum, dass sie das im Dialekt machen. Der Trick dabei ist, dass ich einfach mit den Leuten in meinem Dialekt gesprochen habe. Ich hab‘ sie einfach so lange mit meinem erzgebirgischen Dialekt belästigt,bis sie angefangen haben, in ihrem Dialekt zu reden.“

Quelle: Atlas der deutschen Mundarten in Tschechien
„Aber wonn ma wirklich im Original sprechen duad, da versteht wenig wer. Weil wonn I sag, wej ma dahoam gred hom, des is a ganz andere Sproch, als wia wann ma redn duad noch der Schrift, ned. Und ich hab nix anders howe ned glernt, als wia wos I daham gherd hob, ned.“

Viele der Befragten haben im Laufe der Zeit eine Art eigenen Dialekt entwickelt – stark beeinflusst durch das Tschechische. Fast immer haben sie einen tschechischen Partner geheiratet, für die Kinder und Enkel ist das deutsche Erbe oft ganz weit weg, sagt Martin Dzingel:

Foto: Francke Verlag
„Ein Dialekt ist eine Muttersprache, eine sehr intime Bindung an die Identität. Die kann man nur dann entwickeln, wenn dieses familiäre und soziale Umfeld da ist. Das ist heute nicht mehr der Fall.“

Der Dialekt soll weiter erfasst werden – als Nächstes steht das Egerland im Westböhmen auf dem Programm, eine Gegend, in der sich der Dialekt besonders stark erhalten hat. Mit dem MundArt-Projekt will die Landesversammlung dem Nachwuchs weiter vermitteln, mit welchem Zungenschlag die Alten aufgewachsen sind. Denn einfach zu begreifen ist sie heute nicht mehr, die Geschichte der „Heimatverbliebenen“. Adolf Beyer merkt das in seiner Familie:

„I hab' heut an Enkel. Und ich sag‘ zu ihm: Du bist ein Viertel Deutscher. Er kann das nicht begreifen. Er sogt: I bin a Tschech. Jo, I bin hier geboren. Jo, selbstverständlich, wann er älter wird, wird er’s schon begreifen. Aber der Enkel sagt immer: Opa, du bist ein echter Deutscher, des sagt er zu mir immer. Und I bin ein Tschech.“


Die Audio- und Videoportraits der letzten deutschen Dialektsprecher in Tschechien finden sich im Internet unter http://mundart.landesversammlung.cz