Korruption und Skandale: Die tschechische Polizei in der Diskussion

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Seit Anfang August hat Tschechien einen ausgewachsenen Skandal. In Brno / Brünn wurde eine Reihe von Personen festgenommen, die im Verdacht stehen, Geschäftsleute erpresst zu haben. Pikant ist: Drei sind ehemalige Polizisten, einer war ein noch aktiver Beamter. Alle stammen aus der Abteilung zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und sollen ihren Geschäften über zwölf Jahre nachgegangen sein. Nur eine Woche später hat das Innenministerium ein Papier veröffentlicht, in dem vor dem wachsenden Einfluss der organisierten Kriminalität auf die staatlichen und politischen Strukturen gewarnt wird. Ist Tschechien also bereits von der Mafia unterwandert oder handelt es sich lediglich um einen Einzelfall?

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Das Innenministerium veröffentlichte eine Studie, nach der die größte gegenwärtige Gefahr für die tschechische Republik von der organisierten Kriminalität ausgehe. Durch ihre Tätigkeit gefährden die kriminellen Organisationen die öffentliche Ordnung, destabilisieren die Wirtschaft, untergraben die demokratischen Strukturen und sorgen am Ende für einen Zerfall des Staates. Ein solches Szenario kennt man aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. In der tschechischen Republik ist es aber noch nicht so weit wie in diesen Ländern, so der Soziologe Petr Pojman von der Prager Karlsuniversität. Gefahr sieht er trotzdem:

„Im tschechischen politischen System spielen die Parteien die wichtigste Rolle und werden deshalb oft zum Ziel der Korruption. Die Politik hört auf, ein Kampf um Ideen zu sein, sondern entwickelt sich zu einem Geschäft. Ein Geschäft, bei dem die politischen Parteien einen Teil ihres Machtpotentials gegen finanzielle Unterstützung eintauschen. Dafür hat man unterschiedliche Wörter: Korruption, Klientelismus, Lobbyismus. In Wirklichkeit geht es um einen der modernsten Typen der organisierten Kriminalität, mit dem große finanzielle Gewinne verbunden sind und der dann das politische Leben deformiert und zu einem Versagen der staatlichen Organe führt.“

Polizeipräsident Petr Lessy  (rechts) und der Innenminister Jan Kubice  (links)
Um zu verstehen, wie im Einzelnen solche Verstrickungen in Tschechien aussehen können, lohnt sich ein Blick auf den jüngsten Skandal der Polizei im mährischen Brünn. Dort hatte eine Gruppe Krimineller, unter ihnen mehrere ehemalige und aktive Polizeibeamte, mehr als zwölf Jahre lang Geschäftsleute erpresst. Sie boten ihnen an, keine Anzeige in Fällen von Wirtschaftskriminalität zu erstatten, Akten verschwinden zu lassen oder Ermittlungen zu verzögern. Für diese Nachsicht nahmen sie natürlich eine kleine Gebühr in Anspruch. Petr Lessy, seines Amtes tschechischer Polizeipräsident, musste das Versagen einzelner Beamter eingestehen, die Kontrollmechanismen der Polizei nahm er jedoch in Schutz:

„Für mich als Polizeipräsident ist es, auf Basis der verfügbaren Informationen, ein schweres Versagen der tschechischen Polizei. Es ist ein sehr ernster Fall, der zeigt, dass es auch in der tschechischen Polizei zu solchen Verbrechen kommen kann. Auf der anderen Seite ist es eine sehr positive Nachricht, dass diese Machenschaften durch die inneren Mechanismen der Polizei aufgedeckt werden konnten.“

Oberster Gerichtshof  (Foto: Archiv der Polizei der Tschechischen Republik)
Auf einer Pressekonferenz in Prag waren die Staatsvertreter sehr bemüht, der anwesenden Presse und der Öffentlichkeit zu versichern, es habe sich ausschließlich um einen Einzelfall gehandelt. Die Entdeckung der kriminellen Bande wurde als Erfolg der Ermittlungsbehörden gedeutet. Eine Unterwanderung der Polizei oder des Ministeriums durch organisierte Kriminalität sei jedoch nicht zu befürchten. Petr Šereda von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Olomouc / Olmütz:

„Diesen Fall betrachten wir als außergewöhnlich schwerwiegend und widmen ihm spezielle Aufmerksamkeit. Ich möchte betonen, dass wir keine Befürchtungen haben, dass von diesem Fall auch höhere Etagen der Polizei oder der Staatsanwaltschaft betroffen sind. Ich glaube, dass diese Ermittlungen ein Signal an die Öffentlichkeit sind, dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft sowie die Justiz der Gemeinden der Tschechischen Republik durchaus in der Lage sind, solche Fälle aufzuklären. Und es ist ein Signal an die Bürger, dass sie sich mit Vertrauen und mit weiteren Hinweisen an uns wenden können.“

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Die Meinung, es habe sich nur um einen Einzelfall gehandelt und um einen Erfolg der polizeiinternen Ermittlungen teilen jedoch nicht alle. Schließlich kamen fast zeitgleich noch weitere Fälle von polizeilichem Fehlverhalten ans Licht. Eine mehrköpfige Gruppe von Polizisten hatte sich in Prag eine besondere Methode des Zuverdienstes ausgedacht: In ihrer Freizeit nutzten sie ihre Uniformen, um bei Dreharbeiten den Verkehr anzuhalten und den Filmleuten Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Besonders schlimm ist der Fall der Spezialeinheit Delta, auch aus Brünn, deren Mitglieder Gefangene brutal misshandelt haben. Der Kommentator Martin Schulz vom tschechischen Rundfunk sieht dann auch das Versagen eher in den höheren Etagen:

„Die Theorie über das Versagen Einzelner lässt sich wirklich nur schwer glauben. Wie konnte eine solch umfangreiche Tätigkeit fast zwölf Jahre lang der Aufmerksamkeit der Kontrollorgane entgehen? Wo sind diese bisher 17 bekannten schweren Straftaten geblieben? Hat wirklich niemand der Betroffenen jemals irgendwo etwas angezeigt? Niemand hat also die Informationsbruchstücke zusammengenommen und überprüft? Und haben sich wirklich alle diese „individuellen Fehltritte“ im schönen Südmähren abgespielt? Ist nichts dergleichen in Prag oder im tschechischen Palermo, in Ústí nad Labem, passiert?“

Die Opposition sieht das Versagen eher auf politischer Ebene. Kürzungen beim Gehalt der Polizisten, ein geplanter Stellenabbau und weitere allgemeine Sparmaßnahmen würden laut dem ehemaligen Innenminister der Sozialdemokraten, František Bublan, die Moral der Polizei untergraben:

„Der Zustand der Polizei ist schlecht. Dieser Umstand ist natürlich auch der Gesamtsituation geschuldet: Die Polizisten fühlen sich wenig geschätzt, sie haben keine Zukunftsaussichten und einige fürchten die Kündigung, weil das Budget der Polizei beschnitten wird. Dies führt dazu, dass die Leute demoralisiert sind, sie haben keine Hoffnung für die Zukunft. Also suchen sie sich andere Bestätigungen und eine Aufbesserung des Gehaltes. So kommen wir dann zu Polizisten, die illegal für Filmfirmen gearbeitet haben.“

Sind also die tschechischen Polizisten unterbezahlt und gehen einem trostlosen Dienst nach, der sie empfänglich für Bestechung und unehrenhaftes Verhalten macht? Ein tschechischer Polizist hat im Jahr 2010 durchschnittlich etwa 33.000 Kronen, umgerechnet etwa 1320 Euro brutto, verdient. Natürlich klingt das für deutsche Ohren wenig. Das Durchschnittsgehalt in Prag liegt aber bei 25.000 Kronen, etwa 1000 Euro, und im restlichen Land noch weiter darunter. Der Verdienst ist also nicht so schlecht, wie angenommen. Der renommierte Kommentator und ehemalige Direktor von Radio Prag, Karel Wichs, sucht die Erklärung woanders:

Karel Wichs
„Es handelt sich in erster Linie um einen Fehler im System. Psychologische Tests der Polizeianwärter müssen zeigen, wer unfähig ist, eine Arbeit auszuführen, die mit den Worten „pomáhat a chránit“ (helfen und schützen) charakterisiert wird. Wenn also die psychologischen Untersuchungen strenger wären, müsste man sich auf den Polizeirevieren auch keine Sorgen um seine Geldbörse machen. Es gibt Polizisten, die ihre Überlegenheit über ihre Mitmenschen durch Schikane, Schläge und Erniedrigungen ausdrücken. Dieser Typ Polizist wurde schon mehrfach in der Weltliteratur, im Film und in Fachartikeln beschrieben. Und auch, dass sie oft Verbindungen zu Staatsanwälten und sogar zu Richtern haben. Falls also die Kontrollorgane nach Jahren der Ermittlungen nichts entdecken, so ist es ein Fehler des Systems. Und das muss verändert werden. Die tschechische Polizei braucht eine Person, mindestens ein Minister, der Änderungen durchsetzt.“

Nun wird das Innenministerium bekanntlich seit April von einem neuen Mann geführt. Jan Kubice war selbst Polizist und als solcher Chef der Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Man könnte also meinen, der richtige Mann am richtigen Ort. Sind also die vermehrten Skandale in der Polizei eine Folge der forcierten Aufklärung durch den neuen Mann an der Spitze des Innenressorts? Die Bevölkerung glaubt laut einer Umfrage des tschechischen Fernsehens eher daran, dass hier kleine Fische geopfert werden, um die großen zu schützen. Martin Schulz vom tschechischen Rundfunk hat noch einen anderen Verdacht:

Innenminister Jan Kubice
„Schließt man beide Augen, könnte man noch immer glauben, die Polizei sei nicht beschädigt worden. Aber selbst diese Blindheit schützt einen Beobachter nicht davor zu erkennen, dass zwei der aufgedeckten Fälle von Polizeikriminalität aus dem Südmährischen Kreis stammen. Dessen Chef war rein zufällig bis vor kurzem noch der jetzige Polizeipräsident Petr Lessy. Das riecht schon ein bisschen danach, was die Journalisten den „Krieg der Polizisten“ nennen. Alle drei Fälle sind schnell hintereinander aufgetaucht, kurz nachdem Jan Kubice die Führung des Innenministeriums übernommen hat. Und es ist ja bekannt, dass Kubice bestens über die Verbindungen der organisierten Kriminalität in die staatliche Verwaltung und in die Politik Bescheid weiß.“

Handelt es sich also nun um das Ergebnis forcierter Ermittlungsarbeit durch die straffe Führung des neuen Ministers, um einen Krieg zwischen zwei rivalisierenden Polizisten, die persönliche Rivalitäten ausfechten, um ein Eindringen der organisierten Kriminalität in die staatlichen Strukturen oder einfach nur um ein simples Versagen der Kontrollmechanismen? Kommentator Martin Schulz glaubt nicht an eine schnelle Aufklärung. Seiner Meinung nach wird die Politik die gesamte Affäre unter den Teppich kehren:

„Es ist zu befürchten, dass später, nachdem die Nachrichtensperre schon bei den gegenwärtigen polizeilichen Ermittlungen viel zu lange andauert, irgendjemand eine parlamentarische Untersuchung einberuft und der Fall dann einfach im Nichts verpufft.“