Mit Sport gegen Ausgrenzung: Volleyballschule von Josef Farmačka

Josef Farmačka (Foto: Jana Chládková, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Seit 25 Jahre besteht in Prag eine besondere Volleyballschule. Sie ist kein Sportverein im üblichen Sinn, sondern ein Erziehungsprojekt. Die Jugendlichen, die dort Volleyball lernen, kommen aus schwierigen Familienverhältnissen, sie sollen vor Drogen und Kriminalität geschützt werden. Und was noch bemerkenswert ist: Das Projekt wurde von Josef Farmačka als Privatperson ins Leben gerufen, und es wird größtenteils von ihm auch finanziert.

Josef Farmačka  (Foto: Jana Chládková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Es ist drei Uhr nachmittags, und in einer Turnhalle in einer Prager Plattenbausiedlung spielen gerade die Jüngsten. Diese Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren trainiert Josef Farmačka am liebsten, sie seien die lebhaftesten und offensten. Kinder müssten vor allem lernen, wie sie sich in der Gruppe verhalten, sagt der große Mann mit Brille und fester Stimme.

„Bei uns ist zum Beispiel jedes Rempeln oder hartes Spiel verboten. Stärkere Kinder haben ab und zu die Tendenz, die schwächeren zu schubsen, zu zwicken oder zu schlagen. Zu Hause oder in der Schule wird dies leider oft toleriert, bei mir aber nicht. Das Gleiche gilt für Schimpfworte, Vulgarismen und Schikane jeglicher Art. Solche Erscheinungen ersticken ich und alle meinen Mitarbeiter im Keim. Sollte jemand in diese Richtung ausscheren und sich stur stellen, dann muss er gehen.“

All diese Regeln werden den Kindern und ihren Eltern schon bei der Anmeldung mitgeteilt. Darüber hinaus gilt ein strenges Verbot, wertvolle Sachen ins Training mitzubringen, einschließlich Fahrräder und Roller. Als Stifter der Schule sei er nicht bereit, für den Verlust oder Diebstahl solcher Sachen die Verantwortung zu tragen. Er wolle seine Zeit nicht bei der Polizei oder bei der zuständigen Versicherung verbringen müssen – dies schreibt Josef Farmačka auf einem Informationsblatt, das die Eltern unterzeichnen müssen.

Sportlich muss man nicht sein

Volleyballschule in Prag  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Worauf hingegen keinen Wert gelegt wird, ist das sportliche Talent der Kinder. Bis zum zwölften Lebensjahr wird hier auch nur die allgemeine Bewegungsfähigkeit entwickelt, um die Kinder nicht zu überfordern. Erst dann beginnt das systematische Volleyballtraining. Ivan Střída ist einer der acht Trainer, die sich in der Schule um die Kinder kümmern:

„An erster Stelle steht meiner Meinung, dass die Kinder sich wohl fühlen und dass ihnen der Sport wirklich Spaß macht. Das ist aber ohne Disziplin nicht möglich. Jedes Kind ist unterschiedlich, eines braucht zwei Wochen, um sich die Regeln anzueignen, ein anderes drei Monate. Der Vorteil ist, dass wir niemanden unter Druck setzen und keine sportlichen Leistungen einfordern. Wenn die Kinder spüren, dass jedes gleich und gerecht, ohne jede Bevorzugung behandelt wird, dann können sie ihre Fähigkeiten frei entwickeln. Sie verbessern sich Schritt für Schritt, denn die Freude über die Bewegung ist jedem Menschen angeboren. Für mich ist es das Schönste zu sehen, dass auch diejenigen, die in keinem normalen Sportverein eine Chance hätten, hier vollwertige Mitglieder der Gruppe werden. Vielleicht erleben sie zum ersten Mal, dass niemand sie beschimpft oder verspottet. Sie fühlen sich einfach wohl in ihrer Gruppe.“

Volleyballschule in Prag  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Viele Kinder, die die Prager Volleyballschule besuchen, waren zuvor in anderen Sportvereinen. Die meisten von ihnen sind zu Josef Farmačka gewechselt, weil sie bei den vorherigen Klubs von Trainern oder Funktionären herablassend behandelt wurden. Ein Junge war beispielsweise Mitglied eines Eishockeyklubs – nach einer Verletzung gab ihm die Vereinsführung keine Perspektive mehr, obwohl er weiter spielen konnte und wollte. Ein anderer Junge war zu seiner Überraschung nicht ins Trainingslager mitgenommen worden. Die Begründung: Er habe nicht die notwendige Körpergröße erreicht. Außerdem kostet die Mitgliedschaft in solchen Vereinen häufig viel Geld. Die Volleyballschule ist hingegen so billig, dass praktisch jede Familie sie sich leisten kann. Eine Trainingsstunde kommt umgerechnet ungefähr auf 25 Kronen, also nicht einmal ein Euro. Dabei erhält die Schule keine Zuschüsse von Staat oder Kommune. Wie geht das? Josef Farmačka:

Foto: Barbora Kmentová
„Die Summe, die wir als Beitrag von den Eltern kassieren, entspricht einem Neuntel unserer Kosten. Den Rest decken wir teilweise durch Sponsoren, was aber unglaublich schwierig ist. Ich spreche jährlich etwa 1200 potenzielle Sponsoren an, seit der Gründung der Schule waren das also insgesamt rund 35.000. Die absolute Mehrheit der Angesprochenen sagt mir, Kinder seien nicht ihre Zielgruppe, nur drei Promille haben bisher positiv reagiert. Heutzutage helfen mir zwei tschechische Millionäre als Sponsoren, sie wollen ihre Namen aber nicht genannt sehen. Vom Staat habe ich nie etwas bekommen, denn mein Projekt passt in keine Schublade. Erfolg habe ich aber darin, Sportgeräte und Serviceleistungen zu sehr günstigen Preisen zu bekommen. Vieles lässt sich auch mit Werbung entgelten. Darauf lassen sich aber vor allem ausländische Firmen ein.“

Erfolg ohne Ergebnisdruck

Foto: Tschechisches Fernsehen
Obwohl es finanziell für die Schule ab und zu knapp ist, sind die Kinder gut versorgt: erstklassige Sportkleidung, Schuhe, Bälle und Rucksäcke, regelmäßige Aufenthalte am Mittelmeer in Italien, Teilnahme an den wichtigsten Turnieren in Europa. Allerdings bedeutet das nicht, dass die Kinder verwöhnt werden – sie wissen stattdessen, dass der Name ihrer Volleyballschule verpflichtet. Und nach Turnieren im Ausland erhält Josef Farmačka häufig einen Brief, in dem das vorzügliche Verhalten seiner Schützlinge gelobt wird.

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Wir haben zum Beispiel am weltweit größten Volleyballturniere für Jugendliche teilgenommen, in Eindhoven auf Gras, mit 1000 Teams aus aller Welt. Ich habe 94 Spielerinnen und Spieler dorthin mitgenommen, sie waren auf neun Mannschaften verteilt. Jeder, der Interesse hatte, konnte mitfahren. Nachdem die Organisatoren unser diszipliniertes Auftreten gesehen hatten, haben sie mich zu einer Pressekonferenz eingeladen, bei der ich die Idee unserer Schule erläutern musste. Als Dankeschön haben wir ab dem zweiten Tag alles Essen und Trinken sowie die Fahrtkosten gratis erhalten.“

Noch dazu standen die Volleyballspieler von Josef Farmačka bei diesem Turnier auch auf dem Siegerpodest. Und das ist keine Ausnahme: In der Vitrine der Schule stehen bereits viele Pokale von unterschiedlichen Turnieren. Die Spieler gewinnen sie, obwohl die sportlichen Leistungen beim Training nicht an erster Stelle stehen. Für Farmačka ist das aber kein Widerspruch: Der Erfolg ergebe sich logischerweise aus dem langfristigen Interesse der Kinder, die keinem Stress ausgesetzt seien.

Foto: Tschechisches Fernsehen
Doch wer ist eigentlich dieser Mann, der schon seit 25 Jahren seine gesamte Energie den Kindern widmet? Josef Farmačka stammt aus einer armen Familie mit acht Geschwistern, trotzdem schloss er ein Unistudium in Pädagogik, Psychologie und Jura ab. Um sich dies leisten zu können, arbeitete er zunächst sieben Jahre lang als Bergarbeiter seiner Heimatstadt Havířov in Schlesien. Zugleich machte er eine erfolgreiche sportliche Karriere als Volleyballspieler und später Trainer, in den 1980er Jahren auch in Wien. Die Idee, Sport und Erziehung miteinander zu verbinden, habe er schon als Kind gehabt, sagt er:

Foto: Tschechisches Fernsehen
„Ich war mir sicher, dass ich studieren werde, um reich zu werden und armen Kindern, wie ich selbst eines gewesen bin, helfen zu können. Mein erstes Projekt dieser Art habe ich mir mit 18 Jahren ausgedacht, indem ich nahe Ostrau ein Volleyballteam von ‚Straßenmädchen‘ trainierte. Die jetzige Schule, vor 25 Jahren gegründet, ist der Höhepunkt meines Engagements. 90 Prozent aller Kinder bei uns kommen aus unvollständigen Familien, meist ohne Vater. Für viele bin eigentlich ich der Vater. Wenn ich alle Kinder, die ich erziehen geholfen habe, zusammenrechne, komme ich auf etwa 120.000. Davon sind 35.000 später an eine Universität gegangen.“

Mit 70 Jahren ist Josef Farmačka eigentlich bereits im Rentenalter, aber scheinbar unermüdlich setzt er sich weiter ein. Als er vor kurzem ins Krankenhaus musste wegen einer Operation beider Knie, musste er viele seiner Kinder beruhigen: Er höre noch nicht auf, jetzt fange er erst richtig an!

Autor: Jakub Šiška
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