"Nur ein Geschwür beseitigt" - Christdemokratischer Bürgermeister in Vsetin greift zu umstrittener "Lösung" des Roma-Problems

Eine der betroffenen Roma-Familien aus Vsetin(Foto: CTK)

Die Lebenssituation tschechischer Roma verschlechtert sich paradoxerweise seit 1989 beständig: Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung, Ghettobildung - Phänomene, die schnell ins Auge springen, wenn man sich näher mit der Lage der Roma in Tschechien beschäftigt. Für großes Aufsehen sorgte in den letzten Wochen in Tschechien der neu gewählte christdemokratische Senator Jiri Cunek mit seiner "Lösung" des Problems.

Eine der betroffenen Roma-Familien aus Vsetin  (Foto: CTK)
Fast ganz Tschechien blickte in diesen Tagen und Wochen auf die ostmährische Stadt Vsetin. Hier ist Jiri Cunek seit acht Jahren Bürgermeister. Unmittelbar vor den diesjährigen Kommunal- und Senatswahlen Mitte Oktober ließ er in einer Nacht- und Nebelaktion über 100 Roma, die mit ihren Mietzahlungen in Rückstand waren, mit Bussen in drei kleine Gemeinden in der Region Jesenik bringen, über 200 km von Vsetin entfernt. Ein Vorgehen, das ihm seitens der betroffenen Bewohner, verschiedener Roma-Organisationen und einzelner Politiker und Intellektueller heftige Kritik einbrachte. Und insgesamt einmal mehr die Frage aufwirft, wie es um den Umgang der Tschechen mit ihrer Roma-Minderheit bestellt ist. Marie Gailova, Vorsitzende der Gesellschaft Romodrom, hat sich die Lage vor Ort angeschaut. Die neuen Unterkünfte der umgesiedelten Roma in Jesenik, so Gailova, seien in katastrophalem Zustand:

"Es gibt dort keine Heizung, kein Wasser - diese Häuser sind halb verfallen und sind in diesem Zustand überhaupt nicht bewohnbar. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Familien aus Vsetin dort den Winter überstehen sollen - ohne Heizung, ohne Geld und ohne soziale Einbindung. In einer Region, die auch so schon eine hohe Arbeitslosenrate aufweist. Roma sind gewohnt, einander zu helfen und deshalb werden sie ohne ihre früheren Nachbarn aus Vsetin große Probleme in Jesenik haben."

Jiri Cunek  (Foto: CTK)
Hintergrund der Umsiedlungsaktion waren die problematischen Verhältnisse, unter denen die Roma zuvor in Vsetin lebten. Ein dortiges Pawlatschenhaus, in dem über 300 Roma untergebracht waren, war aufgrund der Überbelastung heruntergekommen, Miete und Stromrechnungen blieben viele Bewohner schuldig. Über 90 Prozent von ihnen sind Sozialhilfeempfänger. Um den sozialen Brennpunkt aus dem Zentrum der Stadt zu verlagern, ließ Bürgermeister Jiri Cunek für umgerechnet rund 1,4 Millionen Euro am Stadtrand einen bunten Containerwohnblock aufstellen - nach anfänglicher Freude über die neuen Quartiere machte sich unter den Roma jedoch schnell Enttäuschung und Frust breit. Denn ein wichtiges Detail hatten die Bauherren nicht berücksichtigt: die unverhältnismäßig hohen Stromkosten. Marie Gailova:

"Bereits jetzt ist klar, dass die Bewohner nicht in der Lage sein werden, alles zu bezahlen - Unterhaltskosten, Nahrung und Wohnung. Und die Mietverträge sind so, dass die Mieter rausfliegen, wenn sie zwei Monate mit der Miete im Rückstand sind."

Jenseits dieser praktischen Aspekte war Cuneks Vorgehen aber auch aus moralischen Überlegungen umstritten. Cuneks Parteikollege, der christdemokratische Senator Petr Pithart ist empört:

"Das, was Jiri Cunek macht, ist ganz einfach kurzsichtig und gerade deshalb populistisch. Er löst scheinbar ein Problem, in Wirklichkeit verlagert er es aber. Und nicht nur das: Das Problem wird natürlich größer. Denn sobald wir die soziale Ausgrenzung verstärken, wachsen die Mauern innerhalb der Gesellschaft. Und vor allem die Kinder der jetzt umgesiedelten Familien werden immer geringere Chancen haben, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Das Problem wird einfach verlagert, um dann irgendwo anders zu entstehen - wenn es einen klassischen Fall von Populismus gibt, dann ist es dieser."

Petr Pithart
Insbesondere Cuneks Äußerung, er "habe nur ein Geschwür beseitigt, das machen Ärzte doch auch" sei absolut untragbar, so Pithart:

"Das sind so hanebüchene Ausdrücke, dass man eigentlich sagen müsste, Herr Cunek sollte sich völlig aus dem öffentlichen Leben zurückziehen."

Der Regisseur und Schauspieler Bretislav Rychlik hat deshalb sogar Strafanzeige gegen Cunek erstattet:

"Hier hat er alle Grenzen überschritten, die sich in meinen Augen tolerieren lassen. Solche Äußerungen gab es in Tschechien bislang noch nicht - jedenfalls nicht aus dem Mund eines hochrangigen Politikers einer demokratischen Partei."

Statt die Roma für ausstehende Mietkosten zu bestrafen, sollte sich die politische Elite Tschechiens eher an die eigene Nase fassen, so Rychlik. Denn sie trage einen Großteil der Verantwortung dafür, dass die Roma zu den Hauptverlierern der politischen Wende von 1989 zählen:

"15 Jahre lang haben sich die Politiker nicht um Lösungen für die Situation der Roma bemüht - um ein Problem also, das nicht aus heiterem Himmel zu uns gekommen ist. Es liegt ganz klar auf der Hand, dass das einfach nicht populär ist, keine Vorteile bringt. Die Wahlergebnisse von Herrn Cunek zeigen, dass man mit einem Vorgehen, wie er es gewählt hat, punkten kann. Aber ein Weg zur Lösung ist das natürlich nicht."

Die Bewohner von Vsetin hingegen stehen hinter Cunek. Bei den jüngsten Kommunal- und Senatswahlen, in deren Vorfeld die umstrittene Umsiedlung der Roma-Mieter stattfand, erhielt Cunek über 70 Prozent der Stimmen. Dennoch dürfe man Vsetin nicht als Stimmungsbarometer verstehen, meint Marie Gailova:

"Gut, die Bewohner von Vsetin sind zufrieden und klatschen dem Herrn Senator Cunek Beifall. Aber das ist nicht die ganze Tschechische Republik. In letzter Zeit ist es wiederholt vorgekommen - und darin sehe ich eine große Veränderung -, dass die Medien auf unserer Seite sind. Und nicht die gesamte Mehrheitsgesellschaft ist mit Herrn Cuneks Vorgehen in Vsetin einverstanden. Darüber bin ich sehr froh, dass die Menschen beginnen, offener zu werden und das als Problem wahrzunehmen, das eine systematische Lösung verlangt."

Dennoch sei große Vorsicht geboten, damit das Beispiel Vsetin nicht auch anderswo Schule mache, warnt Gailova:

"Ich sehe eine große Gefahr darin, dass sich weitere Bürgermeister ein Beispiel an Herrn Cunek nehmen und ein großes Umziehen und Umsiedeln von Roma beginnt."