Ökologische Landschaftspflege durch Huftiere

Wildpferde im Reservat

Wildpferde, Wisente und Tauros-Rinder teilen sich seit 2015 Weidereviere bei Benátky nad Jizerou und Milovice. Diese pflanzenfressenden Huftiere sind vom Aussterben bedroht. In Mittelböhmen helfen sie, eine ökologisch wertvolle Landschaft zu bewahren. Diese liegt auf dem früheren Truppenübungsplatz Milovice-Mladá. Heute steht das einstige militärische Sperrgebiet unter Naturschutz. Seit 2015 gibt es dort ein Reservat für große Huftiere.

Wildpferde im Reservat

Steppenlandschaft bei Milovice  (Foto: Miloslav Jirků / European Wildlife / Česká krajina)
Der Truppenübungsplatz Milovice-Mladá wurde 1905 gegründet. Nacheinander nutzten ihn die österreichische und die tschechoslowakische Armee, die deutsche Wehrmacht und zuletzt sowjetische Truppen. 1991 verließ der letzte sowjetische Soldat das ausgedehnte Militärgelände zwischen Milovice und Benátky nad Jizerou. Zurück blieben eine Ruinenstadt und militärische Anlagen, die gewaltige Altlasten darstellten. Die Natur der Hunderte von Hektar großen Wald- und Steppenlandschaft aber hat von den Truppen profitiert.

„Im Jahr 2000 stellten Wissenschaftler fest, dass diese Ländereien so wertvoll sind, dass sie unter Naturschutz gestellt werden müssen. Dort kommen verschiedene seltene Pflanzen und Tiere vor, die Lebensgemeinschaften bilden. Diese Arten sind durch den Einsatz von Chemie und Landmaschinen auf den Feldern anderswo längst ausgerottet“, erklärt Karel Bendl, Direktor der Forstverwaltung von Benátky nad Jizerou.

Karel Bendl,  Bürgermeister von Benátky nad Jizerou  (Foto: František Stýblo / NATURE TV)
Seit 2018 ist Bendl zudem Bürgermeister des Städtchens an der Iser. Ein Großteil der Wälder und steppenähnlichen Gebiete des früheren militärischen Sperrgebiets gehört zur Gemarkung von Benátky. Man habe lange darüber gestritten, was mit den Ländereien geschehen solle, sagt der Forstwirt:

„Als eine der Lösungen, um diese Gebiete zu schützen, bot sich an, große Weidetiere anzusiedeln. Denn sie können die Aktivitäten der Soldaten quasi ersetzen. Mit ihren starken Hufen zerstampfen sie den Boden. Und durch das Abweiden der Büsche und groben Gräser ermöglichen sie das Wachstum von Blumen und Kräutern, die wiederum andere Pflanzen und Tiere nach sich ziehen, von Insekten über Schmetterlinge bis hin zu wirbellosen Tieren. Ähnliches hat früher das schwere Militärgerät bewirkt.“

Schutz von Pflanzen und Tieren

Auerochsenähnliches Tauros-Rind,  Weide bei Milovice  (Foto: Michal Köpping / European Wildlife / Česká krajina)
2014 stand die Entscheidung fest. Auf dem einstigen Militärgelände sollte ein Reservat für große Huftiere geschaffen werden. Dadurch würde man die schützenswerte Flora und Fauna, die sich dort nahezu ein Jahrhundert hindurch herausgebildet hatte, für künftige Generation bewahren können. Für das Reservat sprach jedoch noch ein zweiter Grund.

„Das Projekt hat mehrere Schichten. Zum einen den Landschaftsschutz als solchen, zum anderen die Rettung von Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind. Es handelt sich hierbei um das Exmoor-Pony, den europäischen Wisent und den rückgezüchteten Auerochsen. Diese drei Arten sind heute nur noch sehr wenig verbreitet. Es gibt von jeder Art nur ein paar Hundert oder Tausend Tiere. Im Reservat vermehren sie sich und wirken zugleich günstig auf die Landschaft ein. Die Erhaltung dieser Arten ist auch global von enormer Bedeutung“, so Karel Bendl.

Wildpferde im Reservat Milovice  (Foto: František Stýblo / NATURE TV)
Das Reservat für große Huftiere ist ein Gemeinschaftswerk mehrerer Stellen. Neben dem Naturschutzverein „Tschechische Landschaft“ (Teil des Verbandes European Wildlife, Anm. d. Red.) sind die Tschechische Akademie der Wissenschaften und mehrere Universitäten, die staatliche Agentur für Natur und Landschaftsschutz sowie die Städte Benátky nad Jizerou und Milovice eingebunden. Im Januar 2015 trafen die ersten Wildpferde aus dem englischen Exmoor ein. Sie wurden in ein 40 Hektar großes, steppenähnliches Weiderevier bei Milovice gebracht. Bendl:

„Die Exmoor-Ponys sind Nachkommen der letzten Vertreter des sogenannten ‚keltischen Ponys‘. Sie sind sehr nahe mit dem polnischen Konik verwandt. Das sind Pferde, die ohne jegliche Unterstützung durch den Menschen überlebensfähig sind. Sie brauchen nicht beschlagen zu werden, sie kommen ohne Hilfe zur Welt, versorgen sich selbst und sind sehr anspruchslos.“

Wisente,  Traviny bei Benátky nad Jizerou  (Foto: František Stýblo / NATURE TV)
Das Exmoor-Pony hat viele Merkmale des ursprünglichen europäischen Wildpferdes, das ausgestorben ist. Höhlenmalereien urzeitlicher Jäger wie auch genetische Forschungen belegen die Ähnlichkeiten in Körperbau, Fell und Verhalten. Im Herbst 2015 wurde eine weitere Herde Exmoor-Ponys nach Mittelböhmen geholt. Sie bevölkert nun das zweite Weiderevier des Reservats, den Standort Traviny bei Benátky nad Jizerou. Dort bekamen die Wildpferde bald Gesellschaft. Eine Herde Wisente aus Polen sei zu ihnen gezogen, erzählt der Direktor der Forstverwaltung:

„Die Pferde mögen das trockene, lange Gras, das sie vom englischen Weideland gewöhnt sind. Sonst brauchen sie nichts zum Leben. Unsere Wisente hingegen lebten zuvor im Białowieża-Urwald, wo sie ein reiches Ökosystem vorfanden. Sie weiden Büsche, Sträucher und Gestrüpp ab. Diesen niedrigen Bewuchs dämmen die Wisente ein. Beide Tierarten zusammen bewirken, dass unterschiedliche Kräuter gedeihen und die Biotope nicht verarmen.“

Wildpferde,  Traviny bei Benátky nad Jizerou  (Foto: František Stýblo / NATURE TV)

Exmoor-Ponys und Wisente

Wisentkalb,  Traviny bei Benátky nad Jizerou  (Foto: František Stýblo / NATURE TV)
Der Wisent ist das größte zu Lande lebende Wirbeltier Europas. Wisente gab es einst von Frankreich bis in den Kaukasus, sie passten sich an unterschiedlichste Landschaften an, von Halbwüsten über Waldsteppen bis hin zu Laub- und Nadelwäldern. Durch die Jagd und die Einengung ihres Lebensraumes wurden die wildlebenden Wisente immer weniger. Doch sie konnten in Reservaten vor dem Aussterben gerettet werden. Das gelang beim europäischen Auerochsen nicht. Der letzte Auerochse wurde im frühen 17. Jahrhundert in Polen abgeschossen. Seit gut einem Jahrzehnt arbeitet nun die niederländische Taurus Foundation daran, ein dem Auerochsen ähnliches Rind hervorzubringen.

„Die Wissenschaftler bemühen sich, durch Kreuzungen und eine geeignete genetische Kombination ein Tier zu züchten, das möglichst viele Züge mit dem ursprünglichen Auerochsen gemeinsam hat, der einst in West- und Mitteleuropa heimisch war“, erläutert Bendl.

Auerochsenähnliche Tauros-Rinder  (Foto: Michal Köpping / European Wildlife / Česká krajina)
Solche dem Auerochsen ähnlichen Tauros-Rinder wurden aus Holland in das Weiderevier bei Milovice gebracht. Die Herde bestand zunächst aus einem Stier und fünf Färsen. Ein typisches Merkmal der Tauros-Rinder sind die hellen Hörner mit den schwarzen Spitzen. In den beiden Weiderevieren des Reservats leben nun jeweils Wildpferde mit einer zweiten Art pflanzenfressender Huftiere zusammen: am Standort Traviny bei Benátky mit Wisenten und auf dem Weideland bei Milovice mit Tauros-Rindern. Den Tieren behagt das offenbar:

„Die beiden Wildpferdherden, die nacheinander aus Exmoor bei uns eingetroffen sind, bestanden jeweils aus 14 Stuten und einem Hengst. Pferde können zu jeder Jahreszeit trächtig werden. Es werden also fortlaufend Ponys geboren. Jede der Zuchtstuten, die zu uns kamen, hatte mindestens schon ein Pony, manche auch zwei oder drei. Und so bevölkern nun rund 70 Wildpferde unsere Weidereviere, obwohl wir schon viele Jungtiere an andere Standorte abgegeben haben.“

Nachwuchs und Klimawandel

Auerochsenähnliche Tauros-Rinder  (Foto: Michal Köpping / European Wildlife / Česká krajina)
An Nachwuchs herrscht auch bei den Wisenten und Tauros-Rindern kein Mangel. Die Wisentherde zählt inzwischen 22 Tiere, und statt der ursprünglich sechs Tauros-Rinder tummeln sich nun 15 Stück auf der Weide. So erfreulich die Zuwächse sind, so anspruchsvoll ist es, sie zu managen. Vier Hektar Weide benötigt ein großes Huftier, um genug Nahrung zu finden. Durch die extremen Wetterlagen der letzten Sommer wächst zudem weniger Gras. Daher mussten die Weidereviere stark vergrößert werden. Sie erstrecken sich nun über 240 Hektar Land. Und über eine erneute Ausweitung werde bereits verhandelt, sagt Karel Bendl:

„Die Landschaft des Reservats verkraftet den Klimawandel im Grunde viel besser als die Felder nebenan. Wir ernten also schon den Lohn unserer Bemühungen, das Ökosystem bunt und artenreich zu halten. Doch die Abnahme des Grund- und Oberflächenwassers macht uns natürlich zu schaffen. Wir mussten in beiden Weiderevieren einen Tiefbrunnen bohren. Dort pumpen wir Wasser für die Tränken hoch. Sie dürfen nicht vergessen: Im Reservat leben Dutzende große Tiere, und sie verbrauchen täglich Tausende Liter Wasser.“

Karel Bendl im Weiderevier Traviny  (Foto: František Stýblo / NATURE TV)
Gewartet wird das Reservat von Mitarbeitern der Forstverwaltung Benátky nad Jizerou. Ihre Aufgaben reichen von Zaunreparaturen bis zur tierärztlichen Aufsicht. Sorgen bereitet auch: Wohin mit den vielen Jungtieren? Bisher wurden schon einige Dutzend an andere tschechische Naturschützer abgegeben. In Zukunft wird man sich auch im Ausland nach Abnehmern umsehen müssen. Weniger spektakulär als das Wachstum der Herden, doch ebenso beachtlich seien die Veränderungen der Flora und Fauna, meint der Forstwirt:

„Viel wichtiger ist aus unserer Sicht das, was nicht sofort ins Auge sticht, nämlich die Struktur des Ökosystems. Dieses wird dank der großen Huftiere bewahrt, aber auch ständig umgestaltet. Neue Gras- und Kräutergesellschaften entstehen, gefolgt von Insekten, die auf sie angewiesen sind. Das ist für uns noch ein viel größerer Erfolg, denn das finden Sie sonst nirgends in Europa.“

Kreuz-Enzian  (Foto: Miloslav Jirků / European Wildlife / Česká krajina)
So zum Beispiel hat sich der Kreuz-Enzian auf den Weiden ausgebreitet. Er gilt als gefährdete Pflanzenart. Ihm folgte auf dem Fuß ein Schmetterling – der Ameisenbläuling. Dieser lebt ausschließlich vom Kreuz-Enzian. Aber auch zahlreiche Heilkräuter, wie Salbei oder Johanniskraut, haben die Weideflächen überschwemmt. Und viele gefährdete wirbellose Tierarten gedeihen dort. Solche ökologischen Highlights sollen auch den Besuchern des Reservats vermittelt werden. An kommerziellen Tourismus ist jedoch nicht gedacht.

„Uns interessieren Ökotouristen, die mit dem Rucksack zu Fuß durch das Reservat wandern und ohne Erfrischungsstände auskommen. Die Touristen, die wir uns vorstellen, kommen, um etwas Neues kennenzulernen, um sich weiterzubilden und manchmal vielleicht sogar, um selbst zu forschen“, erläutert der Leiter der Forstverwaltung.

In Planung ist bereits eine Beobachtungsstation am Standort Traviny. Dieser Turm erhält ein Periskop und zwei Aussichtsplattformen. Markierte Rad- und Wanderwege zu den Weiderevieren sind teilweise schon vorhanden, sie sollen mit Infotafeln ausgestattet werden. All das kommt. Unterdessen verrichten die Wildpferde, Wisente und Tauros-Rinder ungestört ihren Job.

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