Töne für die Seele - wo therapeutische Musikinstrumente entstehen

Foto: Archiv der Werkstatt Tilia

Harfen, Kantelen, Xylophone, Metallophone oder Streichpsalter – das sind Musikinstrumente, die man selten im Radio hört. Ihr Ton ist leise, ihre Gestaltungsmöglichkeiten sind beschränkt, sie sind nichts für große Konzertsäle. Umso mehr aber wirken sie therapeutisch: sowohl bei denen, die sie spielen, als auch bei jenen, die sie mit eigenen Händen herstellen - und zwar in in einer einzigartigen Musikwerkstatt.

Foto: Archiv der Werkstatt Tilia
Die Werkstatt für Musikinstrumente heißt Tilia und befindet sich in der nordböhmischen Gemeinde Nová Ves nad Popelkou / Neudorf an der Popelka. Ihr Leiter Vlastimil Trnka überprüft gerade ein Metallophon, bevor dieses an den Kunden geliefert wird. Wie alle Instrumente von hier wurde auch dieses ausschließlich per Hand und aus Naturmaterialen wie Holz, Metall und Stein angefertigt. Jedes Stück ist also ein unverwechselbares Original.

„Gegenwärtig haben wir zehn Beschäftigte mit unterschiedlichen Behinderungen, einige von ihnen sind schon seit langem bei uns, andere erst kurze Zeit. Nicht jeder ist für unsere Werkstatt geeignet und auch nicht für jeden sind wir der richtige Arbeitgeber. Es braucht auch Mut, sich uns anzuschließen, denn alle, die hier arbeiten, haben am Anfang gesagt: ‚Ich schaffe das nicht, mit Holz habe ich nie gearbeitet.‘ Wenn sie es aber dann in die Hand nehmen, entdecken sie bald erstaunliche Fähigkeiten in sich. Mittlerweile sind unsere Beschäftigten alle geschickt und ziemlich kompetent an ihrem Arbeitsplatz.“

Foto: Archiv der Werkstatt Tilia
Vlastimil Trnka instruiert Jakub, wie er ein Stück Holz mit Schmirgelpapier abschleifen soll. Ein Pferdchen soll daraus entstehen. Solche Dinge gehören auch zum Produktionssortiment, manchmal aber werden sie nur zur eigenen Freude angefertigt. Trnka sagt die einfachen Anweisungen ganz langsam, und Jakub wiederholt sie noch einmal.

„Jakub war früher in einer Behinderteneinrichtung in Stará Paka, und ich weiß eigentlich nicht, warum er dort weg musste. Dann war er einige Zeit zu Hause. Seine Eltern erkrankten aber beide und konnten sich nicht mehr den ganzen Tag um ihn kümmern. Daher haben sie die Möglichkeit begrüßt, ihren Sohn zu uns zu schicken. Auch wir sind für Jakub dankbar, er verrichtet viel Arbeit, wenn man ihn dazu bewegt. Für ihn ist meiner Meinung nach der Aufenthalt hier auch deswegen gut, weil wir drei Männer sind, die die Werkstatt führen - und Jakub hat eine männliche Bezugsperson ziemlich gefehlt. Oft geschieht es auch, dass die Menschen sagen, jemand habe eine Behinderung, deswegen müsse man Rücksicht auf ihn nehmen und dürfe ihn nicht überfordern. Ich halte das aber für falsch. Jakub hat zum Beispiel gelernt, gut mit dem Meißel umzugehen. Als wir ihn am Anfang baten, eine Schüssel anzufertigen und in der Mitte zu meißeln, klappte das nicht. Er hatte keine Ahnung, was der Begriff ‚Mitte‘ bedeutet, er stieß den Meißel einfach überall hin. Etwa ein Jahr dauerte es, bis er verstand, wie er das Werkzeug zu bedienen hat. Heute kann er selbst Schüsseln anfertigen, wenn man ihn gut anleitet.“

Lithophon  (Foto: Archiv der Werkstatt Tilia)
Ein weiterer Betreuer, Pavel Matys, stellt derweilen ein weiteres Instrument vor: ein Lithophon, also eine Art Xylophon, aber mit Schieferplatten. Der Schiefer kommt aus Deutschland und hat eine schöne Geschichte: In der Nähe von Berlin steht eine 300 Jahre alte Mühle, und bei ihr musste vor etwa fünf Jahren das Dach ausgebessert werden. Die Eigentümer der Mühle sind mit den Leitern von Tilia befreundet, sie gaben ihnen daher Bescheid, dass der alte Dachschiefer zur Verfügung stünde. So kam die Werkstatt an den Rohstoff heran für ein sehr gefragtes Produkt, sagt Pavel Matys:

Foto: Archiv der Werkstatt Tilia
„Diese Lithophone verkaufen wir über unsere Partner im Ausland, konkret in Deutschland, in der Schweiz, in den Niederlanden und in Schweden. Am meisten Aufträge haben wir gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit. Auch ein paar Bands aus Mähren haben Lithophone bestellt, darunter sogar eines über zwei Oktaven. Der Schiefer klingt so schön, weil er so lange auf dem Dach lag und durch Sonne, Schnee und Wind bearbeitet wurde. Mir scheint, als ob ihn das besänftigt hat, wo er doch so schöne Töne hergibt.“

Die künstlerische Werkstatt Tilia ist dem internationalen Verband Choroi angeschlossen. Dieser verbindet Werkstätten, in denen Instrumente vor allem für die anthroposophische Musiktherapie hergestellt werden. Die Anthroposophen suchen in den Instrumenten Töne, die positiv auf die menschliche Seele wirken und bestimmte Organe im menschlichen Körper stärken. So ist zum Beispiel die Bronze von großer Bedeutung, erläutert Vlastimil Trnka.

Foto: Archiv der Werkstatt Tilia
„Die Bronze steht mit ihren Klang dem Gold sehr nahe. Schon bei den uralten chinesischen oder indischen Heilmethoden war das Gold mit dem Herzen verbunden, einem unserer wichtigsten Organe. Wenn also dieses Organ verstimmt ist, kann man ihm mit dem Ton von Gold helfen. Würden Sie den Klang von Gold hören, würden Sie sofort diese Resonanz in ihren Herzen spüren. Ich hatte diese Möglichkeit und muss sagen, das ist phantastisch. Mit Bronze lässt sich das aber relativ gut ersetzen.“

Auch Pavlína ist in Tilia beschäftigt. Sie hat die Leiter der Werkstatt schon vor Jahren kennengelernt, damals war sie bei einem Sommerlager und anderen Veranstaltungen, die von diesen betreut wurden. Als die Werkstatt entstand, wurde sie eine der ersten Mitarbeiter. Pavlína ist sehbehindert, sie muss also ihre Augen durch andere Sinne ersetzen. Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem das Stimmen der Instrumente.

Foto: Archiv der Werkstatt Tilia
„Das weckt ein sonderbares Gefühl in mir, ich entdecke dadurch eine neue Dimension der Musik. Mann muss sich konzentrieren und auch mit der Stille arbeiten, um die besten Töne zu finden. Es lässt sich schwer mit Worten auszudrücken, wie diese Instrumente auf den Menschen wirken. Ich persönlich habe das Xylophon und die Leier an liebsten. Eine Leier muss man mehrmals stimmen, denn die angespannten Saiten „arbeiten“ noch, bis sich ihre Spannung stabilisiert. Ich habe eine Leier hier, sie ist aber noch nicht ganz fertiggestimmt.“

Foto: Archiv der Werkstatt Tilia
Roman gehört ebenfalls seit den Anfängen zur Werkstatt, dreimal in der Woche bringt ihn seine Mutter für den Nachmittag dorthin. Anderswo hätte er schwerlich eine Betätigung gefunden, in Tilia zählt er jedoch zu den beliebtesten Schützlingen. Er sei sehr beharrlich, wenn er sich ins Zeug lege, verrät Vlastimil Trnka. Daher schaffe Roman es beispielsweise, Holz ganz glatt zu schleifen. Auch das Musizieren fesselt ihn.

Das Wichtigste ist für Roman jedoch, überhaupt in die Werkstatt zu kommen. So bleibt er nicht zu Hause sitzen und wird animiert, aktiv zu sein. Aber auch für andere Leute in Tilia ist Roman eine Bereicherung. Sie haben sich mittlerweile an sein Verhalten gewöhnt und sind auch in der Lage, mit ihm zu kommunizieren. Vlastimil Trnka betont, dass die Beschäftigung mit Roman für ihn eine wichtige Bereicherung sei:

Foto: Archiv der Werkstatt Tilia
„Wenn ich eine ziemlich persönliche Sache verraten darf: Als ein Problem in meinem Leben sehe ich den Stolz. Jeden Tag ringe ich mit ihm. Man könnte leicht zur Überzeugung kommen, dass er nutzbringend sei, wenn er zugleich wohltätig ist - unterbewusst erwartet mein Stolz aber die Anerkennung durch andere. Das ist ein täglicher Angriff auf meine Seele. Die Betroffenen geben mir das aber glücklicherweise sofort zurück. Sie zeigen mir gegenüber keine Dankbarkeit oder Bewunderung, sie nehmen mich einfach als gleichwertigen Partner an. Ich muss natürlich das Beste aus meinen Fähigkeiten machen, aber ich darf kein Lob dafür erwarten. Und das ist schwierig.“


Dieser Beitrag wurde am 12. Dezember 2013 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.