Urlaub vom Alltag - Reportage aus einem tschechischen Kinder-Ferienlager

Für viele berufstätige Eltern in Tschechien ist der Sommer eine weitgehend kinderlose Zeit. Denn während sie selbst im Büro schwitzen, machen ihre Kinder Urlaub vom Alltag und vor allem: von der Stadt. Entsprechende Angebote bieten diverse Ferienlager, deren Bandbreite von Jahr zu Jahr größer wird. Ein solches Ferienlager haben wir uns kürzlich angesehen. Eine Reportage von Silja Schultheis.

Reporyje - ein dörflicher Stadtteil im äußersten Südwesten Prags, nur wenige Minuten von der Stadtgrenze entfernt. Eine leicht hügelige Landschaft mit grünen Wiesen, kleinen Teichen, Gutshäusern. In der Ferne, nahe der Metrostation Nove Butejovice sieht man eine der letzten Plattenbausiedlungen, die Prag - so wie jede andere tschechische Stadt auch - gürtelförmig einkreisen. Von stickiger Großstadtatmosphäre ist man in Reporyje weiter entfernt als die zehn Minuten Busfahrt von der Metro vermuten lassen würden. Eben hier, mitten im Grünen, liegt der kleine Hof "Zmrzlik" - ein beliebter Anlaufpunkt für das Prager Kinder- und Jugendhaus, das im Sommer regelmäßig Ferienlager für Kinder anbietet.

"Wir nennen diese Ferienlager "stadtnahe Ferienlager" und sie sind für Kinder gedacht, die den Sommer in Prag verbringen", sagt Marie Sypalova, Pädagogin im Kinder- und Jugendhaus in Prag 8. Eben die Kinder- und Jugendhäuser sind es, die heute in erster Linie Freizeitangebote für Kinder schaffen. Ihre Infrastruktur ist aus kommunistischen Zeiten weitgehend erhalten. Die Kinder- und Jugendhäuser können heute auf ein Netz von etwa 300 selbst verwalteten Zentren zurückgreifen, die unter der Schirmherrschaft des Schulministeriums stehen. Nach einer Phase des rückläufigen Interesses Anfang der 90er Jahre, ist die Nachfrage heute wieder groß, beobachtet Sypalova:

"Besonders Kinder mit berufstägigen Eltern und ohne Großeltern sind es, die im Sommer zu uns kommen. Ihre Eltern bringen sie morgens in unser Kinder- und Jugendhaus in der Stadt und holen sie dort nachmittags wieder ab. Und wir bereiten für sie jeden Tag unterschiedliche Ausflüge vor. Das Programm richtet sich an Kinder im Alter zwischen 6 und 10 oder 11 Jahren."

Manche Kinder kämen nur für einen Tag, so Sypalova, andere fünf Tage am Stück oder sogar mehr:

"Das hängt auch von den Eltern ab. Das Interesse an diesen Ferienlagern wird immer größer und sie sind schnell ausgebucht. Wer frühzeitig, schon im April oder Mai, reserviert, der kann sich den Termin noch aussuchen."

Er sei zum ersten Mal hier, auf dem Pferdehof Zrmzlik, sagt der sechsjährige Michal, habe aber schon Erfahrung mit verschiedenen anderen Ferienlagern. Allein für diesen Sommer ist er gemeinsam mit seinem älteren Bruder noch in zwei weiteren angemeldet - in Prachtice und in Usti nad Labem.

Eigentlich sollte sie die Ferien bei ihren Großeltern verbringen, erzählt Veronika Kosvancova, 10 Jahre. Aber dann habe ihre Mutter gesagt, da sei sie ja die ganze Zeit nur in der Wohnung eingeschlossen, und vorgeschlagen, Veronika könne doch mit ihrer Freundin gemeinsam ein Ferienlager besuchen, da würde sie dann jeden Tag einen Ausflug ins Grüne machen.

"Die Ausflüge sind Spitze und mit Abstand das Beste hier", meint ihre Freundin Kristina. Sie will nächsten Sommer auf jeden Fall wieder in ein Ferienlager.

Auch die achtjährige Elen ist ganz begeistert von dem Ferienlager. Hier erlebt man jedes Mal etwas neues, meint sie, macht Ausflüge in die Natur und alle sind nett zu einem. Sie habe hier viele Freunde. Ähnlich wie Elen scheint es vielen Kindern zu gehen.

"Die Hälfte der Kinder bleibt jedes Jahre gleich, weil sie gerne wieder in dasselbe Ferienlager zurückkehren", beobachtet die Pädagogin Marie Sypalova:

Besonders Pferdehöfe stehen immer höher im Kurs, sagt Milada Horackova, die stellvertretende Leiterin des Hofes "Zmrzlik":

"Heute will jeder Pferde haben. Es geht schon nicht mehr so sehr ums Reiten oder um Kreise für Kinder, wie wir sie anbieten, das ist nicht so verbreitet. Aber ein Pferd zu besitzen, das ist heute ein Trend, vor allem unter reichen Leuten."

Milada Horackova ist Mitte Zwanzig und arbeitet seit mehreren Jahren auf dem Hof "Zmrzlik". Bei den Kindern, die Jahr für Jahr hier reiten und den kleinen Kinderzoo besuchen, beobachtet sie eine zunehmende Entfremdung von der Natur:

"Es kommt vor, dass die Kinder noch nie eine echte Ziege oder ein Schaf gesehen haben. Ich hab das Gefühl, dass wir damals als Kinder mehr in die Natur gefahren sind. Heute ist alles mehr auf Computer und Technik ausgerichtet. Aber wenn sie hierher kommen und die Tiere anfassen dürfen, sind die Kinder unheimlich glücklich."

"Solche Ferienlager sind eine sehr gute Sache", meint Marie Sypalova vom Kinder- und Jugendhaus im achten Prager Stadtbezirk:

"Wenn es sie nicht gäbe würden die Kinder die schulfreie Zeit unbeaufsichtigt in irgendwelchen Parks verbringen und wären den negativen sozialen Einflüssen der Großstadt ausgesetzt."

Noch scheinen auch viele tschechische Jugendliche einen "behüteten" Urlaub im Ferienlager vorzuziehen. Auf dem Hof "Zmrzlik" jedenfalls konnte ich keine einzige negative Stimme ausfindig machen. Aber möglicherweise ist es auch hier lediglich eine Frage der Zeit, bis sich der Hang zur individuellen Freizeitgestaltung, wie er etwa in Deutschland zu beobachten ist, auch in Tschechien durchsetzt.