„Bis hierhin ist mein Traum gelangt“ – Johannes Kepler und Benátky nad Jizerou

Tychonisches Planetensystem (Foto: Autorin)

Die drei Keplerschen Gesetze der Planetenbewegungen waren ein Meilenstein in der Geschichte der Astronomie. Wichtige Grundlagen für seine Gesetze fand Kepler in Benátky nad Jizerou / Benatek an der Iser nordöstlich von Prag.

Schloss Benátky nad Jizerou  (Foto: H. Raab,  CC BY 3.0 Unported)
Das Felsmassiv, auf dem das historische Zentrum von Benátky liegt, erhebt sich hoch über den Ufern der Iser. An klaren Tagen hat man vom Park des Schlosses eine Aussicht bis zum vierzig Kilometer entfernten Prag. Vielleicht war es gerade dieser weite Blick auf die Landschaft ringsum, der einst den Ausschlag dafür gab, dass Rudolf II. um 1600 Benátky nad Jizerou als Standort für ein Observatorium wählte.

Rudolf II. hatte den dänischen Astronomen Tycho Brahe eingeladen, an den Kaiserhof nach Prag zu kommen. Brahe war durch Beobachtungen der Himmelskörper berühmt geworden, die er auf der dänischen Insel Hven durchgeführt hatte. Er sollte, wie es in der damaligen Zeit üblich war, für den Kaiser Horoskope erstellen. Der begeisterte Förderer der Künste und Wissenschaften Rudolf II. versprach Tycho Brahe, ihn bei der Errichtung eines Observatoriums zu unterstützen. Er stellte Brahe dafür das Schloss von Benátky zur Verfügung.

„Tycho Brahe kam im Frühjahr 1599 nach Böhmen. Da er in Prag weder die nötige Zeit noch Ruhe für seine Beobachtungen hatte, entschloss er sich, das Schloss in Benátky zu benutzen. Er zog mit seiner Familie hier ein und führte seine astronomischen Messungen im zweiten Stock durch, der am höchsten lag“, berichtet Jana Vernerová.

Jana Vernerová leitet das Museum, das in dem prachtvollen Renaissanceschloss der 7000-Einwohner-Stadt untergebracht ist. Die astronomische Abteilung des Museums ist besucherfreundlich gestaltet: Sie enthält Objekte zum Anfassen und Ausprobieren. In einem der Räume des Museums ist der Meridian von Benátky zu sehen, den Tycho Brahe vermessen hatte und auf dem Fußboden einzeichnete. Benátky war die erste böhmische Stadt, deren geographische Länge und Breite exakt bestimmt wurde.

„Bei der Renovierung des Schlosses wurde der Meridian von Benátky entdeckt und für die Besucher des Museums mit einem Stahldraht in dem Zimmer markiert, das Brahe bei seinen Beobachtungen am meisten benutzte“, so Vernerová.

Tychonisches Planetensystem  (Foto: Autorin)
Tycho Brahe beschäftigte in Benátky mehrere Assistenten. Die Assistenten erstellten Tabellen über die Positionen der Himmelskörper und trugen immer neue, exaktere Messergebnisse zusammen. Brahe und seine Gehilfen beobachteten das Firmament ohne optische Vergrößerung. Sie benutzten geometrische Messinstrumente wie Quadranten und Sextanten. Die Messgeräte hatte Brahe teilweise selbst konstruiert. Das Teleskop wurde erst 1609 – also vor vierhundert Jahren – durch Galileo Galilei eingeführt. Mit Astronomie beschäftigten sich zu dieser Zeit mehrere Gelehrte, unter anderem auch der noch junge Johannes Kepler. Sein Name war Tycho Brahe nicht unbekannt, und er bot Kepler in seinem Observatorium in Benátky eine Assistentenstelle an.

Der württembergische Mathematiker, Astrologe und Astronom Johannes Kepler wirkte damals als Mathematikprofessor im steirischen Graz. Er hatte am Tübinger Stift studiert und war dann an die Grazer evangelische Stiftsschule berufen worden. Weil religiöse Spannungen in Österreich wieder aufflammten, war Keplers Stellung in Graz bedroht. Brahes Angebot kam ihm daher gerade recht. Zu Beginn des Jahres 1600 reiste Johannes Kepler nach Benátky nad Jizerou. Er war 28 Jahre alt. Anfang Februar trafen die beiden Astronomen im Schloss Benátky zusammen. Die Zusammenarbeit gestaltete sich allerdings schwierig. Jana Vernerová:

Astronomische Abteilung  (Foto: Autorin)
„Gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit gab es Probleme, weil Tycho Brahe aus Kepler einen Gehilfen machen wollte, während sich Kepler als gleichwertiger Partner fühlte.“

Kepler wusste, dass Tycho Brahe eine große Menge zuverlässiger Daten über die Stellungen der Planeten besaß. Diese exakten Messergebnisse wollte Kepler zur Überprüfung und Untermauerung seiner Berechnungen über das Planetensystem nutzen. Brahe setzte in Kepler seinerseits die Hoffnung, dass der begabte junge Astronom mithilfe der Datensätze den Beweis für das von ihm entworfene tychonische Modell des Planetensystems erbringen würde.

„Brahe behauptete, dass die Erde statisch sei, dass die Sonne und der Mond um die Erde und die übrigen Planeten um die Sonne kreisen würden. Nikolaus Kopernikus hatte behauptet, dass die Sonne den Mittelpunkt bilde, um den die übrigen Planeten einschließlich der Erde kreisen würden, und dieser Ansicht schloss sich auch Johannes Kepler an.“

Brahe hielt also an dem seit der Antike verbreiteten geozentrischen Weltbild fest. Kepler sprach sich hingegen bereits in seinem Erstlingswerk „Mysterium cosmographicum“ für das kopernikanische, heliozentrische Weltbild aus. Kepler und Brahe gingen als Wissenschafter getrennte Wege.

Keplers Augen waren für Sternenbeobachtungen zu schwach. Tycho Brahe trug daher seinem neuen Assistenten zunächst eine theoretische Aufgabe auf: Kepler sollte das Rätsel der Umlaufbahn des Mars lösen. Schon nach wenigen Monaten gipfelten allerdings die fachlichen und persönlichen Unstimmigkeiten zwischen den beiden Astronomen. Empört und voller Enttäuschung verließ Kepler Benátky nad Jizerou.

Meridian von Benátky  (Foto: Jana Vernerová)
„Tycho Brahe wurde im Juli 1600 vom Kaiser nach Prag abberufen, da er Rudolf II. regelmäßig die Zukunft voraussagen sollte und die Entfernung von Prag nach Benátky für den Kaiser zu groß war“, erzählt Jana Vernerová.

Wo und wann es später zu erneuten Begegnungen zwischen Brahe und Kepler kam, ist nicht eindeutig belegt. Im Herbst des Jahres 1600 holte Kepler seine Familie von Graz nach Prag. Die Keplers bewohnten eine Zeitlang eine Wohnung in der Prager Altstadt unweit der Karlsbrücke. Im Innenhof dieses Wohnhauses ist an einem Brunnen eine Gedenktafel angebracht:

„Bis hierhin ist mein Traum gelangt“, wird Kepler darauf zitiert.

Im Oktober 1601 verstarb Brahe. Er vermachte Rudolf II. seine Gerätschaften sowie die Nutzungsrechte an seinen Beobachtungsdaten – und das für eine beträchtliche Geldsumme, die Brahes Erben jedoch nie voll ausbezahlt bekamen. Rudolf II. ernannte Kepler zum Nachfolger Brahes als Kaiserlicher Mathematiker. Bis 1612, dem Todesjahr Rudolfs II., blieb Kepler am Prager Kaiserhof. Jana Vernerová:

Sextant  (Foto: Jana Vernerová)
„Nach Tycho Brahes Abreise stand das Schloss eine Weile leer, später kauften es neue Besitzer. Das Observatorium und die Labors, die hier errichtet worden waren, wurden dann aufgelöst.“

In der Volkssternwarte von Benátky nad Jizerou klingt die bedeutende lokale Geschichte der Beobachtung der Himmelserscheinungen jedoch bis heute nach:

„Die Sternwarte von Benátky wurde 1980 gegründet. Sie ist mit einem Teleskop der Firma Carl Zeiss aus Jena ausgestattet. An Besuchern kommen zu uns Familien, ganze Schulklassen, Pfadfindergruppen und Vereine. Das Spektrum ist also recht breit“, erklärt der Leiter der Volkssternwarte, Radovan Kováč.

Kepler führte nach Brahes Tod seine Forschungen über die Umlaufbahn des Mars weiter. Er gelangte dabei zu Erkenntnissen, die weit über dieses Thema hinausgingen. Diese Erkenntnisse beschrieb er in der „Astronomia nova“, seinem bekanntesten Werk. Die „Astronomia nova“ enthält die Entwürfe der ersten beiden Keplerschen Gesetze. Veröffentlichen konnte Kepler seine neue Astronomie erst drei Jahre nach der Fertigstellung. Es fehlte an den nötigen Finanzmitteln für den teuren Druck. Außerdem machten Brahes Erben Rechte an dem Werk geltend, da Brahe Kepler wertvolle Messwerte zur Verfügung gestellt hatte. 1609, also vor genau vierhundert Jahren, wurde das Werk schließlich in Heidelberg verlegt.

Sextant  (Foto: Jana Vernerová)
Das dritte Gesetz der Planetenbewegungen entdeckte Kepler erst 1618, während er als Mathematiker von Oberösterreich in Linz wirkte. Brahes empirische Messergebnisse gaben Kepler auch bei der Formulierung des dritten Gesetzes wichtige Impulse. Ohne Brahes akribische Aufzeichnungen über die Stellungen der Himmelskörper wären die drei Keplerschen Gesetze kaum denkbar.

Man kann also mit gutem Grund behaupten, dass Benátky nad Jizerou durch Tycho Brahes Observatorium und die dortige persönliche Begegnung der beiden bedeutenden Astronomen an der Wiege der Keplerschen Gesetze stand.


Dieser Beitrag wurde am 25. Januar 2009 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.