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2) Božena Němcová: „Die Großmutter“

Illustration von Vladimír Tesař (Reprofoto: Božena Němcová, 'Babička', 1984 / Slunovrat)

„Die Großmutter“, auf Tschechisch „Babička“, wurde 1855 zum ersten Mal herausgeben und gilt heute als Klassiker der tschechischen Literatur. Das Buch ist das Hauptwerk der Schriftstellerin und Nationalheldin Božena Němcová. Sie beschreibt darin ein idyllisches und idealisiertes Bild ihrer Kindheit.

Božena Němcová  (Foto: Archiv des Božena-Němcová-Museums)

„Lang, lang ist´s her, dass ich zum letzten Mal in dieses liebe, friedliche Antlitz geblickt, die bleichen, runzligen Wangen geküsst und in die blauen Augen geschaut habe, aus denen soviel Güte und Liebe strahlte; lang ist´s her, dass mich ihre alten Hände zum letzten Male segneten.“

Foto: Ondřej Tomšů
Falls es ein Buch gibt, das wirklich jeder in Tschechien kennt, dann ist es „Die Großmutter“ von Božena Němcová. Das Prosa-Werk trägt den Untertitel „Bilder aus dem ländlichen Leben“. Im Mittelpunkt der 18 Bilder steht die Großmutter.

Bilder aus dem ländlichen Leben

Mit der Ankunft der Großmutter bei der Familie, die im Roman den Namen Prosek trägt, beginnt die Erzählung. In den ersten Kapiteln wird ihr Alltag beschrieben, der mit Hausarbeiten gefüllt ist. Die Großmutter ist umgeben von vier Enkeln: Bärbel, Johann, Willy und Adelchen. Sie erzählt ihnen ihre Erinnerungen und bringt ihnen ihre Weisheit und Frömmigkeit bei. In weiteren Kapiteln wird der Spielraum erweitert: Die Großmutter trifft die Nachbarn, besucht mit den Kindern die Mühle, das Forsthaus oder das Schloss. Das Buch ist als eine Folge von Szenen und Episoden aus dem dörflichen Leben gestaltet. Die Beschreibung von Volksbräuchen und zyklischen Jahresfesten zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung. Die Erzählung endet mit dem Tod der Großmutter.

Illustration von Vladimír Tesař  (Reprofoto: Božena Němcová,  'Babička',  1984 / Slunovrat)
Der Literaturhistoriker Dalibor Dobiáš von der tschechischen Akademie der Wissenschaften beschreibt das Genre des Buches:

„Darüber werden Diskussionen geführt. Němcová selbt hat im Untertitel das Werk als ‚Bilder aus dem ländlichen Leben‘ bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich um mehrere solche Bilder, in denen auch Traditionen beschrieben werden. Dazu kommen aber viele Geschichten, die aus der Perspektive von Barunka, der Erzählerin, geschildert werden und durch die Person der Großmutter miteinander verbunden sind. Es ist also ein idyllisches Prosawerk, eine Dorfnovelle.“

Das Leben im Dorf im Laufe eines Jahres bildet den Rahmen. Darin eingliedert sind einige Geschichten: über die Jugendjahre der Großmutter und ihres Mannes Jiří. Über die wahnsinnige Viktorka, die einst einem schwarzen Soldaten verfallen war und zur Kindermörderin wurde. Über Christel und Jakob, deren Liebe Jakobs Dienst beim Militär im Wege steht.

Idyllische Welt von damals

Martina Zálišová,  foto: Ondřej Tomšů
Das Werk trägt stark autobiographische Züge. Božena Němcová, ursprünglich hieß sie Barbara Pankel, wurde am 4. Februar 1820 in Wien geboren. Kurz nach ihrer Geburt zog die Familie nach Ratibořice bei Česká Skalice / Böhmisch Skalitz, umgeben von der schönen Landschaft im Osten Böhmens. Barbaras Vater, Johann Pankel, war dort nämlich bei der Herzogin als Kutscher angestellt. Als Barbara etwa fünf Jahre alt war, zog ihre Großmutter Magdalena Novotná bei ihnen ein, eine Weberin aus Ostböhmen. Sie beeinflusste im Laufe von vier Jahren ihre Enkelin stark und wurde 20 Jahre später im Roman „Die Großmutter“ wieder zum Leben erweckt. Martina Zálišová arbeitet im Němcová-Museum in Česká Skalice:

„Es ist ein idealisiertes Bild. Alle, die das Buch gelesen haben oder das Leben von Božena Němcová kennen, wissen das. Grund war wohl, dass sie die schönsten Erinnerungen aus den Jugendjahren behalten wollte. Dass die Großmutter eine in Wirklichkeit energische Frau war, die mit ihrer Tochter nicht auskam und die Familie verlassen musste, findet sich im Buch natürlich nicht wieder. Sie war für Božena Němcová eine wichtige Person, das wusste die Autorin selbst am besten.“

Erste große tschechische weibliche Autorin

Foto: Verlag Albatros
Die Rückkehr in die Welt von damals bot der Autorin Trost nach dem frühen Tod ihres Sohns Hynek. Das Werk erschien erstmals 1855, und zwar in vier Heften.

„Es ist das größte, bekannteste und meistübersetzte Werk von Božena Němcová. ‚Die Großmutter‘ knüpft an ihre älteren Werke an. Sie schrieb schon in den 1840er Jahren Reisebilder beziehungsweise Bilder aus dem Leben auf dem Land. Die Handlung einiger Erzählungen wiederholt sich teilweise in der ‚Großmutter‘. Es ist eine große Synthese, die in den 1850er Jahren auf dieser Basis entstanden ist. Bemerkenswert ist, dass gerade in dieser Zeit große Werke nicht nur der tschechischen, sondern auch der österreichischen Literatur entstanden sind, wie zum Beispiel ‚Der Nachsommer‘ von Adalbert Stifter.“

„Die Großmutter“ war ein Erfolg für die Autorin. Das Werk stieß frühzeitig sowohl in der tschechischen Gesellschaft als auch im deutschsprachigen Raum auf großes Interesse.

„Die Reaktion war positiv. Das lässt sich auch daran sehen, dass das Werk bald schon erneut herausgegeben und noch zu Lebzeiten Božena Němcovás ins Deutsche übersetzt wurde. Kurz nach ihrem Tod folgten auch weitere Sprachen. Man muss die Verhältnisse der 1850er Jahre in Betracht ziehen, damals gab es eine begrenzte Anzahl von Zeitungen und Zeitschriften. In diesem Sinn war die Reaktion positiv.“

Übersetzung ins Deutsche

Josef Němec  (Foto: Public Domain)
Als die Autorin an der „Großmutter“ arbeitete, befand sie sich in einer schwierigen Lage. Wegen ihrer patriotischen Aktivitäten wurden Němcová und ihr Mann, der Finanzbeamte Josef Němec, von der Polizei verfolgt. Ab 1851 lebte Němcová allein mit ihren Kindern in großer Armut und war auf geringe Literaturhonorare sowie die Unterstützung von Freunden angewiesen. Eine schwere Krankheit belastete Božena Němcová dann in ihren letzten Lebensjahren.

Die letzten Tage aus Němcovás Leben sind 2005 in einem deutschen Film aufgegriffen worden, der Streifen heißt „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“. Regisseurin Dagmar Knöpfler hielt sich darin an die Briefe, die Němcová geschrieben hat.

Božena Němcová starb im Alter von knapp 42 Jahren. Ihr Begräbnis im Januar 1862 wurde zu einem Großereignis, das von tschechischen Patrioten organisiert wurde. Nach dem Tod wurde der Schriftstellerin großer Ruhm zuteil, und sie wurde zu einer Symbolfigur der tschechischen Geschichte. Der Literaturhistoriker Dalibor Dobiáš:

Dalibor Dobiáš | Foto: Archiv der tschechischen Akademie der Wissenschaften
„Sie hat eine wichtige Stellung in der Entwicklung der modernen tschechischen Literatur. Němcová war die erste große weibliche Autorin, eine Frau, die auf Tschechisch geschrieben hat. In ihrem Werk vereinigt sie mehrere Tendenzen. Sie führt ein programmatisches Gespräch mit einem breiten Leserkreis. In ihren Werken findet man viele Strömungen der europäischen und tschechischen Literatur jener Zeit: Einerseits beschreibt sie das Leben auf dem Land durchaus realistisch, andererseits beschäftigt sie sich auch mit romantischen Geschichten, mit der Figur der Zerrissenen in der tragischen Figur der Viktorka. Es handelt sich um eine große Synthese, die für die Zeit des Biedermeiers typisch war.“

Breiter Leserkreis

Die Großmutter wurde schnell eines der bekanntesten und beliebtesten tschechischen Bücher. Über 300 Ausgaben in der Originalsprache sind bis heute erschienen, und es gibt Übersetzungen in fast 30 Sprachen.

Der Stoff des Buches ist auch dank mehrerer Verfilmungen bekannt. „Die Großmutter“ ist insofern ein Teil der tschechischen Kulturtradition, dass ihre Handlung in eine reale Landschaft versetzt werden kann. Viele Touristen besuchen jährlich das malerische Holzhaus der Alten Bleiche im Tal des Úpa-Flusses, das Němcová zum Handlungsort ihres Buches machte. Das Tal ist heute ein Kulturdenkmal und trägt den Namen Großmutter-Tal.

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