„Der bemalte Vogel“ kämpft um den Goldenen Löwen

„Der bemalte Vogel“ (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Tschechien hatte ein Vierteljahrhundert lang keinen Vertreter mehr im Hauptwettbewerb des Filmfestivals von Venedig. Das hat sich mit dem Film „Nabarvené ptáče“ (auf Deutsch: „Der bemalte Vogel“) von Václav Marhoul nun geändert. Der Regisseur hat in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks über sein neues Werk gesprochen.

„Der bemalte Vogel“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Václav Marhoul  (Foto: Tomáš Mařas,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Der Weg war qualvoll. Ich wusste aber von Anfang an, dass er so sein wird. Ich würde ihn wieder gehen. Dieses Projekt ist meine Herzensangelegenheit“, sagt Václav Marhoul.

Der bemalte Vogel ist der dritte abendfüllende Film, an dem der 59-Jährige als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent gearbeitet hat. Der Streifen konkurriert mit 20 weiteren Bewerbern um den Goldenen Löwen, den Hauptreis der Festspiele in Venedig. Dass sein neuester Streifen eben dort seine Weltpremiere feiern darf, erfuhr der Regisseur im April:

„Es war die Hölle für mich. Erst am 24. Juli wurde es offiziell verkündet. Mein Problem war, dass ich drei Monate lang davon wusste. Aber ich durfte es niemandem sagen.“

Was genau die Jury überzeugt hat, den „Bemalten Vogel“ ins Programm aufzunehmen, kann der Regisseur nur vermuten:

„Niemand hat Einblick in das Auswahlverfahren. Die meisten Filme, die jedes Jahr für Berlin, Cannes und Venedig ausgewählt werden, sind von bekannten Regisseuren. Für einen Newcomer ist es unglaublich schwierig, dort dabei zu sein. In meinem Fall ist es gelungen. Auch die Besetzung wird in Betracht gezogen – und natürlich der Film selbst. Immer bekommt auch eine heimische Produktion den Raum. Beim ‚Vogel‘ sind wahrscheinlich mehrere Dinge zusammengekommen: Der Film ist nicht banal, die Schauspieler sind hervorragend, und mein Verkaufsagent ist gut. Es ist ein Mosaik, ein Puzzle. Wenn alles zusammenpasst, dann hat man auch eine Chance.“

Holocaust-Roman von Jerzy Kosiński

Jerzy Kosiński  (Foto: Eric Koch / Anefo,  Wikimedia Commons,  CC0 1.0)
Václav Marhoul hat sich mit seinem Film um die Teilnahme an den Festivals in Cannes und in Venedig beworben. In Cannes kam er bis in die letzte Runde, wurde aber nicht ausgewählt. Für Venedig hat es geklappt:

„Ich habe die beiden Anmeldungen gleichzeitig abgeschickt. Man hat stets etwas dazuzulernen: Ich wollte mich für Venedig erst dann anmelden, wenn man mich in Cannes abgelehnt hätte. Aber ein deutscher Produzent sagte mir, das wäre ein großer Fehler. Es könnte so aussehen, als ob Venedig der Plan B sei. Später haben mir viele Kollegen dann gesagt, dass der Wettbewerb in Venedig besser sei als der in Cannes. Die südfranzösische Stadt hat zwar den größeren Glanz, aber das ist nicht das Wichtigste.“

Bei dem Streifen handelt es sich um eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jerzy Kosiński. Der polnisch-amerikanische Autor thematisiert darin den Holocaust. Nach dem Überfall der Deutschen auf Polen im Jahre 1939 wird ein zehnjähriger Junge von seinen vorausschauenden jüdischen Eltern aufs Land geschickt. Die Eltern hoffen, dass er dort überlebt. Seine ältere Pflegemutter stirbt aber bald, und der Junge ist auf sich allein gestellt. Er wandert durch das Land, von Dorf zu Dorf. Auf seiner Reise erlebt er außergewöhnliche Brutalität, die von ignoranten, abergläubischen Bauern ausgeht. Als der Krieg endet, muss er nicht mehr um das Überleben kämpfen, sondern um seine Seele, um seine Zukunft. Die mühsame Odyssee hat ihn für immer in seinem Inneren verändert. Václav Marhoul sagt, er sei von Kosińskis Buch hingerissen gewesen:

„Der bemalte Vogel“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Die Menschen denken, dass ich verrückt sei, wenn ich sage, dass das Buch von Liebe und Güte erzählt. Dabei muss ich zugeben, dass die Form unglaublich grausam und brutal ist.“

Liebe und Güte in brutaler Form

„Der bemalte Vogel“ wurde schwarz-weiß gedreht. Er bearbeitet ein schweres Thema und dauert fast drei Stunden. Marhoul hält die hohen Ansprüche aber nicht für ein Handicap:

„Mein Film wird bestimmt nicht jeden Zuschauer ansprechen. Sicher ist er nichts für Menschen, die nicht nachdenken wollen. Er ist sehr schwer und ernsthaft. Aber er hat einen guten Rhythmus und ein gutes Tempo. Er ist wie ein Fluss, der mal reißend, mal faul fließt, manchmal stehen bleibt und dann zu einem Wasserfall wird. Wenn dieser Rhythmus gelingt, hat man auch die Aufmerksamkeit des Zuschauers für sich.“

„Der bemalte Vogel“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Gedreht wurde an 104 Tagen zwischen dem Frühjahr 2018 und 2019, und zwar in der Ukraine, in Prag, in Polen und in der Slowakei. Vor allem der Aufenthalt in der Ukraine hat den Regisseur stark beeindruckt, wie er gegenüber dem Tschechischen Rundfunk schilderte:

„Wir haben im Sumpfgebiet des Flusses Prypjat gedreht. Ehrlich gesagt, war es dort fast depressiv. Das Land ist sehr traurig, und vor allem die Menschen dort sind sehr traurig. Menschen ohne Hoffnung, ohne Trost, ohne Zukunft, sehr arme Menschen. Die meisten sind im Rentenalter, weil die Jungen längst in größere Städte weggezogen sind. Sie haben zum Beispiel Milch nur deswegen, weil sie eine Kuh besitzen. Ihre Rente liegt bei 600 Kronen monatlich. Die Männer saufen meist, und die Frauen schuften wie die Pferde. Das war sehr traurig.“

„Der bemalte Vogel“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Besonders begeistert spricht Marhoul von der Arbeit seines Kameramanns Vladimír Smutný. Er würde sich freuen, wenn die Jury diese zu schätzen wüsste.

„Vladimír Smutný ist einer der besten Kameraleute nicht nur in Tschechien, sondern weltweit. Er hat ein großes Herz und eine große Seele. Seine Kamera dient immer der Story. Er ist nicht ein Typ, der nur Bilder komponieren und die Szene beleuchten kann. Das sollte jeder gute Kameramann beherrschen. Smutný ist so gut und einzigartig, weil er mit seiner Kamera die Filmgeschichte begleitet und dieser dient.“

Schwarzweiß

Mit den Kosten von 174 Millionen Kronen (6,8 Millionen Euro) gehört „Der bemalte Vogel“ zu den teuersten tschechischen Filmen überhaupt. Die Arbeiten dauerten insgesamt elf Jahre lang. Im Mai 2010 gab Václav Marhoul bekannt, dass er die Rechte für die Verfilmung des Romans erworben hat. Damit war er der Erste. 2013 bekam er beim Filmfestival in Cannes eine Sonderauszeichnung von der Jury des Krzysztof-Kieslowski-Preises für das beste Drehbuch. Marhoul schrieb insgesamt 17 Versionen des Drehbuchs. Er arbeitete dabei mit fünf Dramaturgen zusammen. Zwei davon waren Amerikaner, deswegen musste er auch eine englische Fassung machen. Im Film wird aber kein Englisch gesprochen. Stattdessen hört man eine künstliche slawische Sprache:

„Das war eine meiner wahnsinnigen Bedingungen. Der Film spielt im Zweiten Weltkrieg, in einer sehr grausamen Welt. Dieser östliche Teil Europas ist eine Welt für sich mit eigenen Regeln, er unterscheidet sich kulturell sehr vom Westen. Würde im Film Englisch gesprochen, könnte das den Streifen zerstören. Der Film muss nicht wahr sein, aber wahrhaftig. Das ist eine der grundlegenden Bedingungen.“

Ebenso würde der Film an Wahrhaftigkeit verlieren, hätte man ihn in Farbe gedreht, sagt Marhoul. Schwarzweiß war daher für den Regisseur eine weitere Bedingung.

Václav Marhoul empfiehlt seinen Film für Zuschauer ab dem 18. Lebensjahr. Der Hauptdarsteller, Petr Kotlár, ein Junge, den Marhoul in Český Krumlov / Krumau entdeckt hat, reist zwar mit nach Venedig. Da er aber elf Jahre alt ist, soll er den Streifen selbst nicht sehen.