„Ich fühle mich, als würde ich nach Hause kommen“

Film „Lara“ (Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary)

Beim Internationalen Filmfestival in Karlovy Vary / Karlsbad werden an diesem Samstag feierlich die Preise verliehen. Im Hauptwettbewerb ringt unter anderem das deutsche Mutter-Sohn-Drama „Lara“ um die Kristallkugel. Der Streifen wurde vor dem tschechischen Publikum im Großen Saal des Hotels Thermal in Weltpremiere gezeigt. Radio Prag hat zu diesem Anlass den Regisseur des Films, Jan-Ole Gerster, vors Mikrophon gebeten.

Jan-Ole Gerster  (Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary)
Herr Gerster, Sie haben 2012 in Karlsbad ihren Debütfilm „Oh Boy“ vorgestellt. Mit welchen Gefühlen kommen Sie nach sieben Jahren zurück?

„Ich bin natürlich aufgeregt, aber in erster Linie freue ich mich, dass mein zweiter Film auch in Karlovy Vary läuft. Als Programmleiter Karel Och mich angerufen hat, um mir zu sagen, dass er mich in den Wettbewerb einlädt, fühlte sich das irgendwie sehr vertraut an. Ich habe in Karlovy Vary sehr gute Erfahrungen gemacht und freue mich, dass nun auch mein zweiter Film beim Festival seine Premiere feiert. Es fühlt sich an, als würde man nach Hause kommen.“

Erleben Sie das Festival anders nun als Regisseur, dessen Film im Hauptwettbewerb aufgeführt wird, anders als damals als debütierender Filmemacher?

„Ich war damals schon sehr nervös, weil ich das Festival noch gar nicht kannte. Es war also nicht nur mein erster Film, sondern auch mein erster Festivalbesuch. Ich konnte auch gar nicht im Kino sitzen bleiben, sondern war draußen vor dem Festivalgebäude und bin dort auf- und abgelaufen. Ich glaube, die Magie vom ersten Mal lässt sich aber nicht wiederhohlen. Nichtsdestotrotz bin ich gerade nicht weniger nervös. Heute Abend um 18 Uhr ist die Premiere im Großen Saal. Wir sind nun im Hauptwettbewerb. Es wäre gelogen zu behaupten, dass das jetzt entspannter für mich wäre. Ich bin wieder ganz schön nervös.“

„In Karlovy Vary 2012 war es nicht nur mein erster Film, sondern auch mein erster Festivalbesuch.“

Sie präsentieren Ihren zweiten Film. Er heißt „Lara“. Wer ist diese Lara?

„Lara ist eine Frau, die im Film ihren 60. Geburtstag hat. Das Verhältnis zu ihrem Sohn ist sehr kompliziert. Lara selbst, so viel kann ich verraten, wäre gerne Pianistin geworden. Sie hat sich aber dagegen entschieden. Wie es in solchen Fällen oft ist, musste das Kind dann das erreichen, was die Eltern nicht geschafft haben. Die schwierige Mutter-Sohn-Beziehung kulminiert ein bisschen an diesem Geburtstag. Lara muss feststellen, dass sich ihr Sohn mit einem Konzert, das er gibt, auch ein Stück weit von ihr befreit.“

Film „Lara“  (Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary)
Für ihren ersten Film „Oh Boy“ haben Sie selbst das Drehbuch geschrieben. War das bei „Lara“ auch der Fall?

„Nein, ‚Lara‘ ist das Drehbuch eines slowenischen Autors namens Blaž Kutin. Blaž und ich, wir kennen uns jetzt seit einigen Jahren. Sein Drehbuch für ‚Lara‘ habe ich 2016 zum ersten Mal gelesen. Gemeinsam haben wir damals an einem anderen gemeinsamen Stoff gearbeitet, den wir auch immer noch zusammen verfolgen. ‚Lara‘ hatte er schon vor zehn Jahren geschrieben und auch bereits Drehbuchpreise damit gewonnen, aber aus irgendeinem Grund blieb es unverfilmt. Ich war dann neugierig und habe ihn gefragt, ob ich es lesen kann. Dabei stellte ich fest, dass es ein Drehbuch ist, das ich selber gerne geschrieben hätte. Ich habe mich in der Sprache und der Tonalität, dem subtilen Humor und in der Sicht auf die Figuren und das Leben sehr wiedergefunden. Also habe ich ihn gefragt, ob er es mir geben würde. Blaž war sehr glücklich und hat gleich ja gesagt. Daraufhin haben wir alle anderen Projekte stehen und liegen gelassen und uns voll auf die Umsetzung von ‚Lara‘ konzentriert.“

Delegation zum Film Lara  (Foto: Markéta Kachlíková)
Was hat Sie an dem Stoff angesprochen? Mit welchen Fragen und Themen wollten Sie sich im Film auseinandersetzen?

„Zunächst habe ich das Drehbuch ganz unbefangen gelesen. Ich war dann selbst überrascht, warum mich diese Frau so berührt. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen, fand sie aber auch geheimnisvoll. Im Gegensatz zu ‚Oh Boy‘, der autobiografisch gefärbt ist, war das eine Figur, die erstmal ganz weit weg von mir war. Zumindest an der Oberfläche – im Kern gab es schon Dinge, die mich mit ihr verbunden haben. Mal abgesehen davon, dass sie ein sehr leidenschaftlicher Mensch ist, hat Lara, glaube ich, eine zu große Ehrfurcht vor dem, was sie liebt. Das geht einher mit Zweifeln und Ängsten, die ich ja auch kenne. Diese Zweifel hätten auch in meinem Leben einmal fast dazu geführt, dass ich mich vielleicht gar nicht getraut hätte, einen Film zu machen. Sie hat sich nicht wirklich getraut, Klavier zu spielen. Ich finde, darin liegt wirklich eine ganz große Tragik: wenn man eine so stark ausgeprägte Leidenschaft hat, die einen aber auch gleichermaßen so einschüchtert, dass man vor ihr zurückschreckt und ein ganz anderes Leben jenseits dieser Leidenschaft lebt. In diesem Aspekt hat mich diese Figur auch sehr berührt, und das wollte ich erzählen. Lara ist für mich eine Kämpferin, die um die Wahrheit und um ihre Sicht auf die Dinge ringt, aber vielleicht auch einsehen muss, dass es nicht richtig war, sich von ihrem Traum abzuwenden.“

„Ich war selbst überrascht, warum mich Lara so berührt. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen, fand sie aber auch geheimnisvoll.“

War es für Sie anders, an einem Film zu arbeiten, für den Sie ein Drehbuch bekommen haben, als bei „Oh Boy“, bei dem sie ihr eigenes Drehbuch verfilmt haben?

„Naja, bei ‚Oh Boy‘ könnte man den Prozess als ein Arbeiten von innen nach außen beschreiben. Ich wusste wirklich alles über die Figur, sie war ja ein bisschen autobiografisch eingefärbt. Bei ‚Lara‘ verlief der Prozess von außen nach innen. Ich hatte also dieses Drehbuch und wollte tiefer darin vordringen. Das hat die Arbeit anders gemacht. Es war aber nicht weniger interessant als bei meinem ersten Film. Beim Filmemachen interessiert mich eigentlich mehr das Fragen als das Antworten. Ich möchte mich lieber mit den Dingen beschäftigen, die ich nicht so gut kenne, als mit den Dingen, die ich sehr gut kenne. Ich habe es sehr genossen, diese Figur zu ergründen, mit der ich erst einmal nicht viel gemeinsam habe.“

Corinna Harfouch  (Foto: Martin Kraft,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
Die deutsche Schauspielerin Corinna Harfouch verkörpert die Figur der Lara. War es schwierig, sie für die Rolle zu gewinnen?

„Zum Glück nicht so schwierig, wie ich dachte. Schon lange bevor ich ‚Lara‘ gelesen habe, hatte ich eine Erleuchtung mit Corinna Harfouch. Ich saß im Deutschen Theater, und sie spielte in Tschechows ‚Möwe‘. Es war eines der Erlebnisse, die man nur im Theater hat, wenn man völlig verzaubert ist von dem, was vorne passiert. Damit war Corinna in mein Bewusstsein gerückt und der Wunsch geboren, irgendwann mit ihr zu arbeiten. Als ich dann ‚Lara‘ las, kamen diese Dinge zusammen. Ich habe mir Lara von der ersten Seite an mit Corinna vorgestellt. Ich habe sie dann über die üblichen Wege wie Agenturen gefragt, ob sie das Drehbuch lesen und mich treffen würde. Zum Glück hat sie relativ schnell einem Treffen zugestimmt. Kurz darauf war schon klar, dass sie diesen Film mit mir drehen möchte.“

Vor 31 Jahren wurde Corinna Harfouch beim Filmfestival in Karlsbad für ihr Schauspiel ausgezeichnet. Wie war die Arbeit mit ihr?

„Ich hatte das große Glück, dass ich nicht nur Corinna Harfouch für den Film gewinnen konnte, sondern auch dass die Arbeit mit ihr sehr schön war.“

„Ich hatte Respekt, weil sie nun wirklich seit 40 Jahren mit großen Regisseuren und Theaterregisseuren, national und international, zusammenarbeitet. Meine Erfahrung als Filmemacher ist im Vergleich dazu erbärmlich. Doch Corinna hat mir schon relativ früh ihr komplettes Vertrauen entgegengebracht. Die Arbeit war dann wirklich getragen von konstruktiven und kreativen Prozessen. Darüber bin ich auch sehr froh, weil das nicht selbstverständlich ist. Corinna ist, wie ich finde, vielleicht die beste Schauspielerin Deutschlands. Ich hatte das große Glück, sie nicht nur für den Film zu gewinnen, sondern dass die Arbeit mit ihr auch noch sehr schön war. Sie ist, auch über die Arbeit am Film hinaus, ein Mensch, den man um sich haben möchte, wenn man arbeitet. Sie kommt morgens mit einem Lächeln, und selbst wenn der Tag 13 oder 14 Stunden lang dauert, geht sie abends wieder mit einem Lächeln nach Hause. Ich kann gar nicht genug begeistert über die Arbeit mit ihr sprechen. Das ist auch wirklich kein Klischee. Es war für mich wirklich eine wundervolle Erfahrung.“

Im Hauptwettbewerb des Festivals von Karlsbad hat in den vergangenen zwei Jahren ein deutscher Film gefehlt. Nun hat sich mit „Lara“ wieder einer in den Hauptwettbewerb durchkämpfen können. Woran liegt das ihrer Meinung nach?

„Das weiß ich nicht. Da müssen wir Programmleiter Karel Och fragen, was er an dem Film mochte. Mir war das auch gar nicht so klar. Wenn es keine deutschen Filme im Wettbewerb gab, dann nehme ich es als Kompliment, dass wir dieses Jahr dabei sein dürfen. Karel hat wirklich schöne Komplimente gemacht, es waren auch keine Sätze, die eine oberflächliche Höflichkeit waren. Er konnte wirklich sehr genau benennen, was er an dem Film mag und was seine Qualität ist. Ich musste ohnehin nicht lange überredet werden. Als Karel anrief und fragte, ob ich in den Wettbewerb möchte, war ohnehin klar, dass ich komme.“


Soweit der Regisseur Jan-Ole Gerster. Was bringt der Beruf einer Filmproduzentin mit sich? Worin beruht der größte Unterschied zwischen einem Dokumentar- und einem Spielfilm? Wie erlebt eine debütierende Filmregisseurin die Tage in Karlsbad? Das alles erfahren Sie in der kommenden Woche in einer kleinen Serie von Gesprächen, die Radio Prag auf dem Festival geführt hat.