„Karlsbad ist eine Filmschule für mich“

Anna Roller (Foto: Markéta Kachlíková)

Zehn Nachwuchsregisseure haben beim Filmfestival in Karlovy Vary / Karlsbad ihre Debütfilme präsentieren können. Dafür war die Sektion „First Service“ bestimmt. Zugleich haben die jungen Filmemacher beim Festival viel Neues gelernt. Anna Roller ist Studentin an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Im Folgenden ein Interview mit der jungen Regisseurin.

Anna Roller  (Foto: Markéta Kachlíková)
Anna Roller, in der Sektion „First Service“ wird Ihr Film „Die letzten Kinder im Paradies“ gezeigt. Wovon erzählt Ihr Debüt?

„Er erzählt die Geschichte des kleinen Mädchens Leah, das mit seiner Großmutter sehr abgeschieden auf dem Land lebt. Die Großmutter stirbt unerwartet, und auf einmal ist Leah ganz auf sich alleine gestellt. Das geschieht genau in dem Moment, in dem bei dem Mädchen die Pubertät beginnt. Leah bemerkt, dass ihr Körper sich verändert. Sie verweigert sich diesem Prozess jedoch. Sie sagt auch niemandem, dass ihre Großmutter verstorben ist. Man könnte sagen, der Film beschreibt auf eine magische Weise den Prozess des Erwachsenwerdens.“

Sie haben das Drehbuch selbst geschrieben. Basiert es auf persönlichen Erlebnissen?

„Der Ursprung ist tatsächlich sehr persönlich. Nachdem meine Großeltern gestorben sind, waren sie drei Tage bei uns auf gebart. Für mich war diese Zeit, mit den toten Körpern im Haus, als Teenager sehr wichtig. Dieses Abschiednehmen hat mich damals sehr geprägt, auch wenn das vielleicht absurd klingt. Zu dieser Zeit war auch ich ungefähr 15 Jahre alt. Diese Veränderungen, dass ein Körper verwest, während gleichzeitig der eigene Körper erblüht, sind der Ursprung der Geschichte. Sie wurde natürlich noch fiktionalisiert. Ich habe nicht mit meiner Oma im Wald gewohnt. Doch aus dieser Erfahrung entstand das Bedürfnis, darüber einen Film zu machen.“

War das für Sie ein Weg, sich persönlich mit diesem Erlebnis auseinanderzusetzen, es vielleicht auch irgendwie zu bewältigen?

„Der Film war keine Trauerbewältigung für mich. Mich hat dieses Erlebnis jedoch geprägt, und ich habe oft Menschen davon erzählt. Es ist wichtig für mich. Deshalb wollte ich etwas darüber erzählen. Es war im Gegenteil eher ein sehr schönes Erlebnis.“

'Die letzten Kinder im Paradies'  (Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary)
Wie haben Sie die Hauptdarsteller gefunden? Das 15-jährige Mädchen Lea zeigt eine beeindruckende Leistung in dem Film…

„Sie hatte tatsächlich eine Agentur, aber noch keine Schauspielerfahrung. Dass ich sie gefunden habe, war Zufall. Ich habe ihr Bild gesehen und gleich ihre Agentin angerufen. Daraufhin habe ich ihren Eltern eine Mail geschrieben und sie gefragt, ob ich ihre Tochter kennenlernen darf. Ich bin also zu der Familie gefahren. Dort habe ich dann einen Tag mit ihr zusammen verbracht. Wir haben über das Projekt gesprochen, ich habe Fotos von ihr gemacht und sie gefilmt. Ich war wirklich wahnsinnig begeistert von ihr. Sie hat eine ‚alte Seele‘, ist sehr tiefsinnig. Ich konnte sehr psychologisch mit ihr arbeiten und über den Stoff sprechen. Deshalb wollte ich sie unbedingt haben. Also habe ich gemeinsam mit ihr den Jungen gesucht. Wir haben da mehrere ausprobiert. Dabei war vor allem wichtig, dass ein Geschwistergefühl hergestellt werden kann. Gerade, weil die Darsteller noch so jung waren, ist der Altersunterschied schwierig. Sie war 15 und die Jungen um die 10 Jahre alt. Ich hatte ein paar Jungen im Casting, die sich gar nicht getraut haben, sie anzufassen. Das sind ja aber Geschwister, die im selben Bett schlafen und sich in und auswendig kennen. Ich habe mich dann für jenen Jungen entschieden, bei dem ich am ehesten das Gefühl hatte, dass die Kinder nahe zusammen kommen. Ob sich die beiden ähnlich sehen, war mir dann gar nicht so wichtig. Ich wollte, dass da eine Verbindung besteht.“

Sie sagen, dass Sie sehr psychologisch mit den Kindern gearbeitet haben: Wie sah das dann aus?

„Ich habe mir mit Lea drei Tage zum Proben genommen. Sie hat in diesen Tagen einfach Zeit mit mir verbracht. Das Motiv hatten wir da noch nicht, das heißt, dass wir die Geschichte eher innerlich durchlaufen haben. Wir sind alle psychologischen Schritte des Mädchens durchgegangen. Da kam viel von ihr. Ich habe damals Lea auch noch gar nicht das ganze Drehbuch gegeben, sondern sie gefragt, wie sie in einem solchen Moment reagieren würde. Ich habe auch mit ihr darüber gesprochen, wie es ihrer Rolle Leah, leider heißen sie und ihre Rolle gleich, in dem Moment geht. Es waren also Arbeiten wie mit erwachsenen Schauspielern, kein Kinderdreh.“

Wie lief der Dreh dann ab?

„In Deutschland sind die Regeln für das Drehen mit Kindern besonders streng.“

„Lea hat während des Drehs auch noch bei mir gewohnt, und wir haben abends immer den nächsten Tag durchgesprochen. In Deutschland sind die Regeln für das Drehen mit Kindern besonders streng. Das heißt, dass wir sehr wenig Zeit hatten, und deshalb alles vorher passieren musste. Es war auch am Set so, dass wir nur wenige Takes hatten. Bei dem Jungen, der noch jünger ist, war es mehr ein Reagieren. Das heißt, dass Lea ihm irgendetwas gegeben hat, worauf er reagieren konnte. Da war es nicht so psychologisch, weil ich ihn auch ein wenig vor dem schweren Thema schützen wollte. Mit den Eltern habe ich dann abgesprochen, wie viel ich ihm zumuten darf. Aber wir haben vor allem darauf geachtet, wie sich der Moment anfühlt.“

Der Film heißt „Die letzten Kinder im Paradies“. Was ist dieses Paradies?

„Daran habe ich sehr viel mit meinem Kameramann gearbeitet. Wir wollten ein Oma-Paradies kreieren. Ich meine damit diese etwas zu idyllische Kinderwelt, bei der die Großmutter im Haus, alles ein bisschen zu altmodisch, zu süßlich ist. Dieses Paradies bleibt ja bestehen, obwohl die Großmutter tot daliegt. Ich wollte eben, dass es so langsam morbide wird. Dass man das Gefühl hat, dieses süße Haus ist noch da, aber langsam verschimmelt das Brot, langsam lässt es sich nicht mehr aufrechterhalten. Für mich ist das ein wenig wie meine Kindheitserinnerung, die im Nachhinein sehr überromantisiert worden ist. Es war gar nicht alles so schön. Aber für dieses Mädchen ist genau dieser Abschiedsmoment, dieses Kindseindürfen, noch nicht Verantwortung übernehmen zu müssen, das Paradies.“

'Die letzten Kinder im Paradies'  (Foto: Film Servis Festival Karlovy Vary)
Der Film ist Ihr erster nach dem Studienabschluss. Sie haben aber zuvor schon Filme gedreht. War das dann an der Hochschule?

„Nein, der Film, „Die letzten Kinder im Paradies“ ist auch noch an der Filmhochschule entstanden. Davor habe ich an der Filmhochschule in München bereits zwei Kurzfilme gemacht. Gerade schreibe ich mein erstes Langfilmprojekt. Die Dreißigminüter sind bei uns an der Filmhochschule der Übergang. Man beginnt mit ungefähr zehn bis 20 Minuten, dann folgen Dreißigminüter und nun der Langfilm.“

Wie bereits erwähnt, wurde der Film für die „First Service“-Sektion ausgewählt. Was muss man tun, um zu einem Festival eingeladen zu werden?

„Der Normalfall ist, dass man seine Filme bei den Festivals einreichen muss. Hier ist es jedoch so, dass aus Ländern, die für die Sektion in Frage kommen, Filme vorgeschlagen werden. Das bedeutet in meinem Fall, dass mein Werk von ‚German Films‘ vorgeschlagen wurde. Das Unternehmen steht in sehr engem Kontakt mit der Hochschule und weiß, welche Filme gerade fertiggestellt worden sind. Das heißt, dass ‚German Films‘ durch unser Festivalbüro an der Hochschule von dem Film erfahren und ihn dann vorgeschlagen hat. Ihnen verdanke ich, dass ich hier sein darf.“

Was bedeutet es für Sie, hier zu sein und Ihren Film zeigen zu können?

„Man wird in der Hochschule nur wenig auf das echte Leben in der Filmindustrie vorbereitet.“

„Wir haben erst gestern darüber gesprochen, wie wenig wir in der Hochschule auf das echte Leben in der Filmindustrie vorbereitet worden sind. Man könnte also sagen, dass ich das erst hier lerne. Beispielweise hatten wir gerade eine Masterclass mit Syllas Tzoumerkas (griechischer Regisseur, Anm. d. Red.). Er hat uns erzählt, wie seine Schritte nach den Kurzfilmen waren und was er aus negativen Erfahrungen gelernt hat. Alles, was wir hier lernen, ist sehr wichtig für den nächsten Schritt, die Produktion des Langfilms. Ich bin sehr froh, dass ich teilnehmen kann und auch Kontakt zu anderen Filmemachern habe, mit denen ich darüber sprechen kann, womit sie Schwierigkeiten hatten und was ihre Erfahrungen waren. Es ist wie eine kleine Filmschule hier.“

Also erhält die Gruppe der Nachwuchsregisseure ein Sonderprogramm mit kleinen Seminaren?

„Genau! Es geht wirklich hauptsächlich darum, uns zu zeigen, wie die Filmwelt funktioniert, und uns zu promoten. Es gibt also tatsächlich sehr viele neue Dinge wie etwa dieses Interview, das wir gerade führen. Wir haben auch einige Pressetermine. Uns soll das hier alles weiterbringen und helfen. Es wird alles sehr liebevoll gestaltet, was wirklich wahnsinnig toll ist.“