Münchner Kunst leuchtet in Pilsen

Foto: Markéta Kachlíková
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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich München zu einer der führenden europäischen Kunstmetropolen, in die junge Künstler aus der ganzen Welt kamen. Eine der stärksten und wichtigsten Gruppierungen bildeten Künstler aus Böhmen und Mähren. Die intensiven künstlerischen Kontakte zwischen Bayern und den böhmischen Ländern an der Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts stehen in Mittelpunkt der Ausstellung „München – leuchtende Kunstmetropole (1870-1918)“, die in dieser Woche in der Galerie Masné krámy (Fleischbänke) in Pilsen eröffnet wurde.

Ausstellung „München – leuchtende Kunstmetropole  (1870-1918)“  (Foto: Markéta Kachlíková)
„München leuchtete“. Mit diesen Worten hat Thomas Mann in seiner Novelle Gladius Dei vom Jahr 1902 die Kunststadt München beschrieben. Der Schriftsteller charakterisierte sie als eine lebendige, von Künstlern bevölkerte Metropole, in der Kunst geschaffen und verkauft wird. Als „Kunstrepublik“ beziehungsweise „Athen des Westens“ wurde München von anderen Künstlern bezeichnet, die dort wirkten. Thomas Manns Vergleich haben sich nun Kunsthistoriker für den Titel einer Ausstellung ausgeliehen, die mehr als hundert Gemälde, Zeichnungen und Graphiken von beinahe 50 Künstlern in Plzeň präsentiert. Die Werke stammen aus deutschen und tschechischen Museen und Galerien, aber auch aus Privatsammlungen aus Paris oder New York.

„Die Ausstellung zeigt Werke von Münchner Künstlern, aber auch Werke von böhmischen und mährischen Künstlern, die in München studiert und gearbeitet haben. Ihre Hauptidee ist München als einen Ort des künstlerischen Austausches vorzustellen.“

Aleš Filip  (Foto: Markéta Kachlíková)
Soweit einer der Kuratoren, der Kunsthistoriker Aleš Filip von der Masaryk-Universität in Brünn, zum Konzept der Ausstellung. Der zweite Kurator ist der Direktor der Westböhmischen Galerie in Pilsen, Roman Musil:

„Die tschechischen Künstler stehen hier in unmittelbarer Nähe ihrer großen Vorbilder, Lehrer und Kollegen. Die Ausstellung will die engen Verbindungen im Bereich der Themen und Ikonographie veranschaulichen. Damit hat sich das Künstlermilieu gegenseitig inspiriert und nach vorne geschoben. Das ist möglich geworden, weil München ein Tiegel voller neuer Ideen und Anreizen war. Dort studierten zahlreiche Künstler nicht nur aus Europa, sondern auch aus Russland und den USA und beeinflussten sich gegenseitig. Zu den bedeutendsten ausländischen Künstlergruppen zählte neben den Polen und den Ungarn auch die tschechische Gruppe.“

Roman Musil  (Foto: Archiv Centrum Bavaria Bohemia)
München war das wichtigste Kunstzentrum Mitteleuropas, bedeutender als Berlin und Wien, betonen die Kuratoren der Ausstellung. Roman Musil erläutert die historischen Zusammenhänge, dank derer sich München zu einer solchen Kunstmetropole entwickelte:

„Die Anziehungskraft Münchens lässt sich schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter der Regierung von Ludwig I. von Bayern feststellen. Unter seiner Herrschaft wurde die Kunst zu einem Bestandteil der politischen Repräsentation. Er erweiterte die Münchner Kunstsammlungen, in seiner Ära wurde viel gebaut, und er investierte sehr viele Gelder in die Kunst. In seiner Regierungszeit begann sich der soziale Stand der Künstler deutlich zu verändern. Sie standen nicht mehr am Rande der Gesellschaft, sondern waren wichtige Personen. Vielen Künstlern wurde sogar ein Adelstitel verliehen. Dagegen war Prag eine Provinzstadt. Künstler, die in Prag geblieben sind, konnten eine so hervorragende Stellung in der Gesellschaft nicht erreichen.“


Adolf Hölzel,  Der Frühling kommt  (Foto: Archiv der Nationalgalerie in Prag)
Die tschechischen Künstler beteiligten sich intensiv am Leben der Kunstmetropole München. Dazu zählte das Vereins- und Ausstellungswesen, der Kunstmarkt, die verschiedenen Publikationsplattformen genauso wie künstlerische Konzepte und Programme. Aleš Filip:

„Einige Künstler haben dort nur studiert und München nur passiert. Das sind zum Beispiel Alfons Mucha, Josef Brožík und Joža Uprka. Sie studierten später noch in Paris und ihr Schaffen nahm eine andere Richtung. Es gibt aber auch andere Beispiele, zum Beispiel Ludvík Kuba. Er war zuerst in Paris, aber in München gefiel es ihm besser und er blieb etwa zehn Jahre lang dort. Kuba ist vor allem als Anhänger der slawischen Idee bekannt, aber er verbreitete diese slawische Idee eben in München und in Wien. In der bekannten Ažbe-Schule in München knüpfte er enge Beziehungen zu den slawischen Künstlern Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin. Und als dritte Gruppe gibt es noch die deutschsprachigen Künstler aus Böhmen und Mähren, die sich in München dauerhaft niedergelassen haben. Das sind zum Beispiel Gabriel von Max und Adolf Hölzel. Sie sind ein Teil der deutschen Kunstgeschichte, pflegten aber auch wichtige Kontakte zu ihrer alten Heimat.“

Luděk Marold
Die tschechischen Künstler hatten in der Bayern-Metropole sogar einen eigenen Verein gegründet:

„Im Jahr 1885 wurde die Künstlergruppe 'Škréta' gegründet, ihre Mitglieder waren Studenten aus Böhmen und Mähren. Der Vorsitzende war Joža Uprka, und in der Gruppe wirkten sehr bekannte Künstler wie zum Beispiel Alfons Mucha, Luděk Marold oder Viktor Oliva. Die Vereinigung Škréta war generell eine der ersten Zusammenschlüsse tschechischer Künstler. Die bekannte Künstlergruppe Mánes knüpfte dreizehn Jahre später in Prag teilweise an die Aktivitäten der Škréta-Gruppe an.“

Von einer Isolation innerhalb der Münchner Künstlergesellschaft kann man aber nicht sprechen, betont Filip:

Emanuel Krescenc Liška,  Hagar und Ismael in der Wüste  (Foto: Oto Palán,  Archiv der Westböhmischen Galerie in Pilsen)
„Es war üblich, dass die tschechischen Künstler bei Ausstellungen des Münchner Kunstvereins und bei anderen Veranstaltungen vertreten waren. Einige Bilder der tschechischen Künstler waren seinerzeit sehr erfolgreich. Wir stellen hier einige Bilder aus, die mit Preisen bei verschiedenen Ausstellungen gekrönt wurden. Wie zum Beispiel das große Bild ‚Hagar und Ismael in der Wüste‘ von Emanuel Krescens Liška, ‚Im Bad III‘ von Jan Autengruber oder das sensationelle Bild von Gabriel von Max mit dem Titel ‚Die Märtyrerin am Kreuz’.“

Es herrschte aber auch ein reger Austausch zwischen München und Prag:

Wilhelm Leibl,  Im Atelier  (Foto: Archiv der Regionalgalerie in Liberec)
„Wir haben hier einige Bilder aus dieser Zeit, die sich im Besitz der Prager Nationalgalerie oder anderer tschechischer Institutionen befinden und kaum bekannt sind. Diese Bilder wurden damals, in der Zeit um 1900, von tschechische Galerien gekauft. Später gab es nur wenige Gelegenheiten, sie auszustellen.“

Die Ausstellung zeigt unter anderem Werke von Wilhelm Leibl, Franz von Lenbach, Franz von Stuck, Lovis Corinth oder Thomas Theodor Heine. Außerdem sind Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky, Paul Klee und die bereits erwähnten Künstler aus den böhmischen Ländern vertreten. Die Ausstellung thematisiert sowohl das Phänomen der „Stadt der Künstler“ als auch die drei Hauptperioden der Münchner Kunst. Die erste davon ist die Münchner Schule der religiösen Malerei und der Historienmalerei. Roman Musil:



Jakub Schikaneder,  Das tote Mädchen  (Foto: Archiv der Nationalgalerie in Prag)
„Zunächst ging man vor allem nach München, um im Atelier von Carl Theodor von Pilaty zu studieren. Er war eine außerordentliche Persönlichkeit und leitete das Atelier für religiöse und historische Gemälde. Statt auf große und spektakuläre Geschichtsszenen in historischen Kostümen legte er das Augenmerk auf zwei Haupthelden, die im Mittelpunkt des Bildes stehen sollten. Ein typisches Beispiel dafür ist sein Schlüsselwerk 'Seni vor der Leiche Wallensteins'. Darauf steht die Figur des Astrologen Seni, der den Tod Waldsteins vorausgesagt hatte, über der liegenden ohnmächtigen Leiche. Diese Ikonographie einer aufgerichteten lebenden Figur und einer liegenden toten Figur finden wir später bei zahlreichen Künstlern wie Max, Schikaneder und Liška.“

Einige Motive und Themen finden sich in den Werken der Münchner Künstler immer wieder. Dazu zählen etwa die sogenannte Unglücksmalerei oder der Tod des Mädchens. Roman Musil nennt weitere Kennzeichen und Ausdrucksmittel, die für die Maler der sogenannten Münchner Schule typisch waren:

Gabriel von Max,  Marter der heiligen Ludmila  (Foto: Archiv Lawrence Steigrad Fine Arts,  New York)
„Sie arbeiteten mit dunkleren Farben, nutzten dunkle braune Töne und sehr große Lichtkontraste. Das zeigt sich sehr anschaulich bei Gabriel Max, Jakub Schikander und Liška. Das prägt den Charakter der Münchner Malerei und unterscheidet sie von der so genannten aufgehellten Palette der Pariser Kunst.“

Zwei weitere Kapitel der Ausstellung präsentieren den Jugendstil und die Vereinigung Münchner Secession sowie die avantgardistischen Tendenzen bis hin zu der Künstlergruppe ‚Der Blaue Reiter‘.

„'Der Blaue Reiter' ist heute eine legendäre Avantgarde-Gruppe ebenso wie etwa 'Die Brücke' in Berlin. Man muss aber auch erwähnen, dass die Künstler München mit der Zeit allmählich verlassen haben. Die Ära der berühmten Münchner Schule ging mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Der Krieg hat nicht nur die Karte Europas im Allgemeinen, sondern auch die Karte der europäischen Kunstzentren verändert. Dass sich das Interesse verlagert hat, beweisen unter anderem die Prager Moderne-Gruppen ‚Osma‘ und ‚Skupina výtvarných umění‘. Für sie war schon zur Zeit des Ersten Weltkriegs zum Beispiel Berlin wesentlich attraktiver als München.“

Galerie Masné krámy  (Foto: lujerista,  Panoramio)
Die Ausstellung „München – leuchtende Kunstmetropole (1870-1918)“ ist die erste von einer Reihe Veranstaltungen im Rahmen des Projektes Pilsen 2015 – Kulturhauptstadt Europas, die deutsch-tschechischen Themen gewidmet sind. Sie findet in der Galerie Masné krámy (Fleischbänke) in Pilsen bis zum 6. April statt. An ihrer Vorbereitung beteiligt haben sich die Westböhmische Galerie in Pilsen, das Münchner Lenbachhaus und das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg. Der aufwendig gestaltete zweisprachiger Ausstellungskatalog versammelt Beiträge deutscher und tschechischer Kunsthistoriker.