Nobelpreisträger und Lateinamerika

Buchmesse „Svět knihy“ (Foto: Ondřej Tomšů)
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Am Donnerstag startet die Prager Buchmesse „Svět knihy“. Es ist die 25. Auflage dieses Festes der Literatur, sie dauert bis zum Sonntag.

Buchmesse „Svět knihy“  (Foto: Ondřej Tomšů)

Radovan Auer  (Foto: Markéta Kachlíková)
Fast 700 Lesungen, Debatten und weitere Veranstaltungen und 461 Aussteller aus 32 Ländern. Das ist die diesjährige Prager Buchmesse in Zahlen. „Welt des Buches“ heißt die Veranstaltung in der deutschen Übersetzung, sie findet traditionell im Industriepalast auf dem Messe-Gelände im Prager Stadtteil Holešovice statt. Die Veranstaltung hat in diesem Jahr nicht nur ein Gastland, sondern gleich eine ganze Ländergruppe. Radovan Auer ist Direktor der Buchmesse:

„Es sind die Staaten Lateinamerikas, denn wir wollten im Jubiläumsjahr einen besonderen Gast haben. Letztlich beteiligen sich sieben Länder am Gastauftritt.“

Die Idee, gleich mehrere Staaten einzuladen, hatte Adriana Krásová von den Tschechischen Zentren.

„Die Idee wurde während der ersten Teilnahme Tschechiens an der Buchmesse in Bogota geboren. Diese wurde vor drei Jahren organisiert, und seitdem fahren regelmäßig tschechische Autoren dorthin. Wir haben uns gesagt, dass es höchste Zeit ist gleichzuziehen. Denn die tschechische Hispanistik ist sehr stark, und das Interesse für Lateinamerika ist hierzulande groß. Uns hat aber nicht ausgereicht, nur ein einziges Land einzuladen, schließlich ist die Entfernung groß, und Lateinamerika bildet ein gewisses Ganzes. Daher entstand die Idee, eine Gastlandgruppe zu schaffen. Der Gedanke ist ziemlich revolutionär und vielleicht auch mutig. Schon jetzt hat sich aber gezeigt, dass er funktioniert.“

Adriana Krásová  (Foto: Markéta Kachlíková)
Inwieweit kann man eigentlich von einer lateinamerikanischen Literatur sprechen?

„Jedes Land ist natürlich einzigartig. Aber auf der Buchmesse in Bogota habe ich gesehen, dass stark kooperiert wird. Das ist auch wegen der gemeinsamen Sprache möglich. Jedes der Länder hat seine spezifischen Themen, aber trotzdem sind sie irgendwie miteinander verbunden. Jede Literatur ist anders, wie wir auf der Buchmesse in Prag sehen können, aber es gibt da einen gemeinsamen Ton.“

Wegen des Gastauftrittes sind in den vergangenen Jahren die Übersetzungen von Büchern aus Mittel- und Südamerika stärker gefördert worden.

Stromovka-Park  (Foto: Aktron,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
„Ich finde das toll, weil das Interesse daran traditionell hoch ist. In mehreren Verlagshäusern sind neue Buchtitel erschienen. Die Leser in Tschechien haben so die Möglichkeit bekommen, Bücher zu lesen, die sonst nur schwerlich erschienen wären.“

Festival des Denkens

Nicht nur im Gastlandbereich gibt es Neuerungen, sondern auch bei den Veranstaltungen. Buchmesseleiter Radovan Auer stellt einige vor:

„Wir haben eine neue Open-Air-Bühne, das sogenannte ‚Sofa im Stromovka-Park‘. Dort planen wir Veranstaltungen für ein breiteres Publikum. Das gesamte Programm dort am Samstag ist der Young-Adult-Literatur gewidmet, zudem werden dort eine Lateinamerika-Party und ein Konzert lateinamerikanischer Musik stattfinden. Diese Veranstaltungen sind für eine größere Besucherzahl geplant.“

Mario Vargas Llosa  (Footo: Manuel González Olaechea y Franco,  CC BY 3.0)
Ein neuer Veranstaltungsort ist auch das sogenannte Café Europa in der Mitte des Industriepalastes:

„Dort wollen wir uns mit Europa und der europäischen Literatur auseinandersetzen. Die Buchmesse findet zwei Wochen vor der Europa-Wahl statt. Wir wollen uns nicht politisch engagieren. Dennoch interessiert uns die europäische Idee, und wir möchten, dass darüber gesprochen wird. Allgemein lässt sich sagen, dass sich Buchmessen weltweit sozusagen zu Festivals des Denkens entwickelt haben. Wir wollen mit diesem Trend Schritt halten. Den Sinn der Buchmesse in der Zukunft sehen wird darin, dass sie sich zu einer Meinungsarena entwickelt.“

Das Hauptthema der Buchmesse nennt sich daher „Gedächtnis und Erinnerungen“, es ist ein Beitrag zu dieser Neuorientierung des Festivals. Zudem verleihen zwei Stars der Gegenwartsliteratur der 25. Prager Buchmesse einen gewissen Glanz: der Peruaner Mario Vargas Llosa und die deutsche Autorin Herta Müller. Die beiden Nobelpreisträger für Literatur sind auch für ihr starkes politisch-gesellschaftliches Engagement bekannt. Sie werden am 11. Mai im Prager Kino Lucerna über die Bedeutung der Literatur im politischen Kampf und als Stimme der Freiheit diskutieren.

„Das Buch“

Tomáš Moravec  (Foto: Markéta Kachlíková)
Seit 13 Jahren spielt die deutschsprachige Literatur eine starke Rolle bei dem Festival. Sie wird im Rahmen der Sektion „Das Buch“ präsentiert. Tomáš Moravec vom Prager Goethe-Institut weiß mehr:

„Diesmal dürfen das Goethe-Institut, das Österreichische Kulturforum und die Schweizer Botschaft wirklich große Namen nach Prag bringen. Die wichtigste Autorin ist Herta Müller. Sie stellt ihr Buch ‚Der Fuchs war damals schon der Jäger‘ vor und wird sogar zweimal auftreten. Einmal in einer Debatte über dieses Buch und dann noch einmal in einer Debatte mit Mario Vargas Llosa.“

Herta Müller  (Foto: Houty,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)
Herta Müller ist aber bei Weitem nicht die einzige Repräsentantin der deutschsprachigen Literatur:

„Herta Müller soll nicht all die anderen deutschen, österreichischen und schweizerischen Autoren überschatten. Dem tschechischen Publikum ist der Österreicher Robert Menasse wohl bekannt. Er kommt nach Prag mit seinem Buch ‚Die Hauptstadt‘, einen satirischen Roman. Die Hauptstadt ist in diesem Sinne nicht Wien, sondern Brüssel. Wohl bekannt ist hierzulande auch der junge deutsche Autor Martin Becker, der viel mit Jaroslav Rudiš zusammengearbeitet hat. Und wir haben auch jüngere Autorinnen aus der Schweiz und aus Österreich eingeladen, dabei sollte man aus der Schweiz noch Peter Stamm erwähnen.“

Auch die Sektion ‚Das Buch‘ folgt dem neuen Anliegen der Buchmesse-Organisatoren, nicht nur ein Fest der Bücher, sondern auch des Denkens zu sein:

„Dem entspricht auch die Auswahl der Autoren. Es ist ja bekannt, dass Herta Müller nicht nur Schriftstellerin ist, sondern auch Aktivistin. Sie wird sich bestimmt auch zu den kommenden europäischen Wahlen äußern. Zudem wird Robert Menasse am 11. Mai um 11 Uhr einen Vortrag halten zum Thema ‚Ich habe einen europäischen Traum‘. Er profiliert sich nämlich weniger als Österreicher, sondern mehr als europäischer Schriftsteller.“

Die Nacht der Literatur

Traditionell gehört zum Programm der Buchmesse auch die sogenannte Nacht der Literatur. Dabei handelt es sich um eine Serie von Lesungen, die in der Nacht von Donnerstag auf Freitag an verschiedenen Orten Prags erfolgen. Gelesen werden Texte aus mehreren Literaturen der Welt. Organisiert wird die Nacht von den Tschechischen Zentren. Adriana Krásová:

„Die Nacht der Literatur wird dieses Mal im zweiten Prager Stadtbezirk stattfinden. Wir haben dieses Stadtviertel unter anderem gewählt, weil wir in diesem Jahr an den Studentenprotest vom 17. November 1989 erinnern. Die Veranstaltungsorte der Nacht der Literatur liegen an der Strecke des damaligen Studentenzugs, von Albertov bis zur Nationalstraße. Im derzeitigen Jahr 2019 wird an 19 Orten in der Stadt gelesen, an der Lesung nehmen 19 europäische Länder teil, deren literarische Texte von 19 hervorragenden Schauspielern vorgetragen werden.“

Die Organisatorin hebt auch einige Details dieser Lesungen hervor:

„Eine Neuigkeit ist die ukrainische Literatur, unter anderem um daran zu erinnern, dass vor zehn Jahren der Vertrag über die Ost-Partnerschaft zwischen der Ukraine und der EU unterzeichnet wurde. Aber auch deswegen, weil Ukrainer in Tschechien die zweitgrößte Gruppe an Ausländern sind und das auch auf den zweiten Prager Stadtbezirk zutrifft. Zum zweiten Mal werden Texte der Roma-Literatur gelesen, die im letzten Jahr einen großen Erfolg feierte. Eine Neuigkeit ist eine Lesung für Kinder im Botanischen Garten. Ich denke, dass die Literaturnacht eine immer größere Bedeutung erhält in Prag und in Tschechien.“