Vernetzung von Kunst und Politik: Tschechoslowakischer Schriftstellerverband im Dienst der Staatspartei

Der Zweite Weltkrieg war eine tiefe Zäsur in der Geschichte der Tschechoslowakei. Rund drei Jahre danach wurde sie zu einem der Satellitenstaaten der Sowjetunion. Ein Teil der Gesellschaft sah dies als eine logische Folge in der Entwicklung, zu der maßgeblich auch Illusionen und Hoffnungen auf eine bessere Zukunft beigetragen haben. Schon vor der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 deuteten viele Signale auf die bevorstehende Kursänderung in der tschechoslowakischen Politik. Auch viele Künstler meldeten sich dabei zu Wort, insbesondere Schriftsteller und Dichter, die sich als Träger und Vermittler politischer Ideen verstanden. Es kam zu einer Vernetzung der Kunst mit der Politik.

Im Juni 1946 fand in Prag der erste tschechoslowakische Schriftstellerkongress nach dem Krieg statt. Der Termin lag nur drei Wochen nach den ersten Parlamentswahlen der Nachkriegszeit, bei der die Kommunisten im tschechischen Teil der Republik den Wahlsieg davontrugen. Veranstalter des Kongresses war das Syndikat der tschechischen Schriftsteller, die einflussreichste Organisation der Literaturschaffenden in der Vorkriegstschechoslowakei. Im Schlussdokument riefen die Teilnehmer des Kongresses zur „politisch engagierten Arbeit und dem Aufbau einer neuen, sozialistischen Kultur“ auf. In der Filmwochenschau wurde berichtet:

„Der Schriftsteller Ivan Olbracht hat in seiner Rede über die Mission jedes Schriftstellers in der Nation drei Hauptmotive unserer Literatur definiert: das Tschechentum, das Slawentum und die Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Der Schriftstellerkongress hat sich zum neuen sozialistischen Humanismus bekannt, der für die wirkliche Freiheit jedes Menschen sowie der gesamten Menschengemeinschaft kämpft.“

Nach der kommunistischen Machtergreifung 1948 blieb aber auch die tschechoslowakische Kultur nicht von drastischen Eingriffen der Machthaber verschont. Schriftsteller und Dichter, die für das Regime zu unbequem waren, wurden aus den Verbänden ausgeschlossen, viele von ihnen wurden in Gefängnisse oder Arbeitslager gesperrt, viele gingen ins Ausland.

Hatte das tschechische Schriftstellersyndikat im Juni 1948 noch 1600 Mitglieder, so waren es im März 1950 nur noch 220. Letztlich wurde das Syndikat in den neuen Verband der tschechoslowakischen Schriftsteller integriert. Den Berufsverbänden der Künstler, die nach sowjetischem Vorbild gegründet wurden, maß das Regime in Prag eine bedeutende Rolle bei. Der Historiker Karel Kaplan:

„Die Verbände sollten als Transmissionsriemen funktionieren und zugleich den Anschein demokratischer Organisationen erwecken. In den Verbänden hatten selbstverständlich Künstler mit Parteimitgliedschaft die absolute Mehrheit und eine Zeitlang auch das Sagen. Nach 1956 begannen sie, sich in ihrer Rolle nicht mehr wohl zu fühlen, und in den 1960er Jahren wollten sie auch nicht mehr so parteihörig sein. Die Kontrolle über die Kultur entglitt der kommunistischen Partei letztlich aus den Händen.“

Doch bis es so weit war, musste noch viel geschehen.

Kurz nach seiner Gründung veranstaltete der Tschechoslowakische Schriftstellerverband Anfang März 1949 den ersten Kongress. Er fand damals ausschließlich in der Regie der kommunistischen Partei (KSČ/KPTsch) und im Beisein vieler Spitzenpolitiker statt. Als einzig erwünschter Stil wurde der sozialistische Realismus vorgeschrieben. Der Verband übernahm das Statut des Verbandes sowjetischer Schriftsteller.

1949 notierte František Halas, ein von vielen respektierter Dichter, auch von politisch Andersdenkenden, in seinem Tagebuch:

„Anstelle einer facettenreichen Kultur ist etwas unglaublich Klägliches, Monotones und Primitives entstanden.“

Beschlossen wurde, die Schriftstellerkongresse alle drei Jahre abzuhalten, doch dazu kam es nicht. Das nächste Schriftstellertreffen fand erst sieben Jahre später statt. Für die lange Pause war das Geschehen in der Sowjetunion entscheidend. Zunächst wurde der 2. Kongress der sowjetischen Schriftsteller im Dezember 1954 abgewartet. In der Zwischenzeit traf die tschechoslowakische Regierung aber einen fatalen Beschluss. Karel Kaplan.

„1953 beschloss das Regierungskabinett, die Zensur einzuführen. Das war aber verfassungswidrig. Dieser Beschluss wurde geheim gehalten. Erst 1966 wurde die damalige Einrichtung der so genannten „Zentralen Publikationsverwaltung’ offiziell im Gesetz verankert.“

Der nächste Schriftstellerkongress in der Tschechoslowakei sollte im März 1953 stattfinden - nur vier Monate nach dem 19. Parteitag der KPdSU, dem letzten unter Stalins Teilnahme. Doch die Aufsetzung eines Kongressprogramms dauerte länger als erwartet, die KPTsch billigte es erst Ende 1955. Ab September desselben Jahres lief landesweit bereits eine Kampagne, bei der viele Treffen von Schriftstellern mit den Werktätigen organisiert wurden. Am 22. April 1956 wurde der Schriftstellerkongress eröffnet.

Einer der Chefideologen der Partei, Ladislav Štoll (1902 - 1981), ein marxistischer Literaturkritiker, Verfechter der Kunsttheorie sowjetischer Prägung und mehrmaliger Minister, zog folgende Bilanz:

„Im Vorfeld des Kongresses wurden über 2000 Podiumsdiskussionen mit etwa 1000 Kulturschaffenden aus verschiedenen Fachbereichen veranstaltet. Alle intellektuellen Mitarbeiter, die an diesen Treffen teilnahmen, haben danach begeistert davon berichtet, mit welchem Interesse unsere Werktätigen die Probleme der Kultur verfolgen, mit welcher Sachlichkeit und Belesenheit sie darüber sprechen, und mit welchem Willen sie sich an ihrer Lösung beteiligen wollen. Die Kulturschaffenden konnten sich davon überzeugen, dass unser Volk viel Liebe für die Kultur, Wissenschaft und Kunst sowie ihre Schöpfer empfindet.“

Die Atmosphäre beim Schriftstellertreffen war diesmal jedoch wesentlich anders als beim ersten Mal. Nach dem Tod Stalins im März 1953 hatte Chruschtschow beim 20. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 den Personenkult um seinen Vorgänger kritisiert. Erste Anzeichen eines politischen Tauwetters waren auch beim Kongress in Prag zu spüren. Ungewöhnlich scharf wurden die Eingriffe der Staats- und Parteiorgane in die Arbeit der Schriftsteller kritisiert. Selbst Aufrufe zur - wie es hieß - „Entstalinisierung“ des öffentlichen Lebens wurden geäußert. Mit höchster Dringlichkeit verlangten vor allen die Dichter František Hrubín und Jaroslav Seifert, der spätere Nobelpreisträger, die Demokratisierung der Kultur und die Freilassung inhaftierter Schriftsteller. Der damalige Kongressteilnehmer Josef Hiršal (1920 – 2003), Dichter und kongenialer Übersetzer der Poesie von Christian Morgenstern, erinnerte sich später:

„Nach Seiferts Rede applaudierte der ganze Saal. Danach aber trat Staatspräsident Zápotocký auf und übte scharfe Kritik an seinen beiden Vorrednern. Er rief sie auf, nicht ihr eigenes Süppchen auf dem Forum zu kochen - und erneut applaudierte der Saal. Das Schreckliche daran war, dass die Kluft zwischen den Standpunkten in Wirklichkeit gar nicht so groß waren.“

Das Schriftstellertreffen war geprägt von Paradoxen. Großen Applaus der Kollegen erhielt auch der zum regierungstreuen Realisten mutierte frühere Surrealist Vítězslav Nezval, als er vorschlug, den sozialistischen Realismus als verbindlichen Stil aus den Statuten des Verbandes zu streichen. Nach langen Diskussionen kam es aber nur zu kosmetischen Änderungen. Auch das Schlussdokument gab die stürmische Atmosphäre des Treffens kaum wieder. Eine große Mehrheit der Schriftsteller bekräftigte erneut die führende Rolle der kommunistischen Partei auch in der Kultur.

Im Ausland wurde der Schriftstellerkongress von vielen ins Exil verjagten tschechoslowakischen Literaten und Publizisten mit Spannung verfolgt. Unter ihnen auch der herausragende Journalist Ferdinand Peroutka, damals Redakteur beim Sender „Freies Europa“. In seinem Kommentar am 5. Mai 1956 sagte er unter anderem:

„Die Schriftsteller haben sich insbesondere mit der wichtigen und kaum zu lösenden Frage beschäftigt, wie aus dem Quadrat ein Kreis gemacht werden kann. Oder anders gesagt: Sie haben sich damit beschäftigt, wie man in einer Diktatur frei sein kann. (…) Diejenigen, die nicht wissen, was sie tun sollen, um den Eingriffen der Regierung zu entkommen, trafen zur Beratung mit jenen zusammen, die es auch nicht wissen. Sie sind wohl verunsichert auseinandergegangen.“

Peroutka brachte auch trefflich zum Ausdruck, was von der Staatsmacht zu erwarten war.

„Die Regierung selbst weiß noch nicht, wie weit sie nachgeben will, solange sie nicht erfahren hat, was in Moskau vor sich geht.“

In der Tat. In den folgenden Monaten übte sich die KPTsch in der Taktik des Abwiegelns. Die Informationen aus Moskau vom 20. Parteitag über Stalins Praktiken sollten in der Tschechoslowakei auf keinen Fall zum Gegenstand öffentlicher Diskussion werden. Am 5. Mai 1956 wurde kurzerhand auch die innerparteiliche Diskussion darüber für beendet erklärt. Der Chefideologe der Partei, Jiří Hendrych verharmloste das kontroverse Thema des Personenkults und flüchtete in Phrasen:

„In der vom Personenkult getränkten Zeit hat jeder von uns, der in der Partei tätig war, mehr oder weniger dem Kult seinen Tribut gezollt. Alle seine Überbleibsel mitsamt den Wurzeln zu vernichten bedeutet, einige Erscheinungen nicht zu übergehen, durch die sich der Kult auszeichnet. In erster Linie geht es darum, selbstkritisch und auch den anderen gegenüber kritisch zu sein. Ferner geht es darum, keine Schwächung der Bindungen zu den Werktätigen zuzulassen. Typisch für den Personenkult waren das Misstrauen gegenüber den Menschen sowie das Gefühl der Überordnung.“

Unmittelbar nach dem Schriftstellerkongress 1956 traf die tschechoslowakische Parteiführung vorsichtshalber keine repressiven Maßnahmen gegen die kritischen Schriftsteller. Der geeignete Moment, die Schrauben wieder anzuziehen, kam zu Ende des Jahres nach der blutigen Niederschlagung des Aufstands in Ungarn durch sowjetische Truppen. Nun wurde die Zensur noch fester geschnürt. Einige Zeitzeugen sprachen vom Beginn einer „kleinen Eiszeit“.