Von Prag nach New York - tschechisches Dokudrama über Holocaust feiert Erfolge

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Das Theater „Švandovo divadlo“ ist im Prager Stadtteil Smíchov beheimatet. Dort entstand ein Dokudrama über den Holocaust, das es in diesem Jahr sogar bis nach New York geschafft hat. Insgesamt 60 Aufführungen waren auf der Bühne eines Off-Broadway-Theaters zu sehen, sie erhielten viel Beifall vom Publikum und gute Kritiken in der Presse. Im Folgenden mehr zum Stück und dem Amerika-Gastspiel.

Inszenierung „Shoa“  (Foto: Archiv des Theaters „Švandovo divadlo“)
Am Anfang stand ein Zyklus von zehn Theaterproduktionen, die ab 2010 im „Švandovo divadlo“ aufgeführt wurden. Danach sollten die Zuschauer die besten drei davon auswählen. Sie entschieden sich unter anderem für die Inszenierung mit dem Titel „Shoa“. Und diese steht seitdem auf dem Programm der Prager Theaterbühne. In dem Stück wird über das Schicksal zweier Zeitgenossen erzählt: der vergessenen tschechischen Schauspielerin Hana Pravdová (1916) und des eher unbekannten Athleten Miloš Dobrý (1923).

Im realen Leben kannten sich beide nicht. Doch ohne es zu wissen, weilten sie an mehreren Orten zur gleichen Zeit. Zum Beispiel im mährischen Olomouc / Olmütz, wo die junge Hana nach ihrem Start auf den Brettern des Švandovo divadlo 1937 ein neues Engagement antrat. In Olmütz lebte auch der leidenschaftliche Sportfan Miloš Dobrý. Weil beide Juden waren, wurden sie im Zweiten Weltkrieg zunächst ins Ghetto von Theresienstadt und anschließend nach Ausschwitz deportiert. Beide hatten aber Glück. Sie überlebten den Holocaust, doch er hat vieles in ihrem Leben beeinflusst. Erst 2010 begegneten sie sich auf der Bühne als Protagonisten der Inszenierung mit dem Titel „Shoa“. Die Entstehung der Theaterdoku hat eine interessante Vorgeschichte. Daniel Hrbek ist Regisseur und Chef des „Švandovo divadlo“:

Daniel Hrbek  (Foto: Jan Sklenář,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Ich muss gestehen, dass ich bis 2003 nichts von Hana Pravdová wusste. Erst von einem Übersetzer erfuhr ich, dass in London eine gleichnamige ehemalige Schauspielerin des ´Švandovo divadlo´ lebt. Durch Recherchen erfuhr ich, dass sie in der Tat mit 16 Jahren an unser Theater gekommen war. Unterrichtet wurde sie von der renommierten Schauspielerin Olga Scheinpflugová, der Ehefrau von Karel Čapek. Nach dem Krieg kehrte sie an unser Theater zurück. Ihr erster Ehemann war im KZ Ausschwitz ums Leben gekommen. Mit ihrem zweiten Mann Jiří Pravda, der ihr Kollege im Theater war, flüchtete sie kurz vor dem kommunistischen Umsturz von 1948 nach Paris. Später ließ sich das Künstlerehepaar in London nieder, wo die Schauspielerin unter dem Namen Hana Marie Pravda auftrat. 2005 konnte ich sie besuchen und ein zweistündiges Interview mit ihr aufnehmen. Was sie aus ihrem Leben erzählte, hat mich emotional tief getroffen.“

Miloš Dobrý  (Foto: Archiv des Projekts „Paměť národa“  (Erinnerung des Volkes))
Das Interview wird in der Theaterzeitschrift „Druhý břeh“ (Das andere Ufer) veröffentlicht. Doch das ist es dann zunächst einmal. Fünf Jahre später stößt Daniel Hrbek jedoch in der jüdischen Zeitschrift „Chajejnu“, die von seinem Vater redigiert wird, auf ein Interview mit Miloš Dobrý. Und Hrbek fällt sofort ein, dass die Schicksale von Pravdová und Dobrý auf der Bühne erzähl t werden sollten. Aus den Erinnerungen der beiden entsteht das Stück „Shoa“, das im Oktober 2010 seine Premiere in Prag feiert.

Zur Prager Premiere kommt aus Großbritannien auch Isobel Pravda, Hanas Enkeltochter. In einem Gespräch mit Hrbek geht es unter anderem um eine englische Fassung des Stücks. Da Isobel von Beruf Schauspielerin ist, bietet es sich an, dass sie die Frauenrolle übernimmt. Schließlich hat sie ihre Großmutter in ihren Jugendzeiten noch gut kennen gelernt. Außerdem hat sie Erfahrungen mit Lesungen aus dem Memoirenbuch ihrer Großeltern. Und so entsteht eine englische Fassung des tschechischen Dokudramas mit dem Titel „The Good and the True“. Die Bezeichnung ist symbolisch gemeint und geht auf die Namen der Haupthelden zurück: Hana Pravda und Miloš Dobrý. Das tschechische Wort „pravda“ bedeutet auf Deutsch Wahrheit und „dobrý“ heißt gut.

Die britische Premiere des Stücks erfolgt Ende Januar 2013 in der West London Synagogue mit Isobel Pravda und Saul Reichlin in den Rollen. Es folgen noch Vorstellungen in Leeds und Brüssel.

Daniel Hrbek leugnet nicht, auch eine persönliche Beziehung zum Thema „Holocaust“ zu haben. Von seinen Vorfahren hat nur die Großmutter den Zweiten Weltkrieg überlebt. Andere jüdische Familienangehörige kamen in Auschwitz um. Als Co-Autor und Regisseur beider Sprachversionen von „Shoa“ stellte er sich am Anfang eine wichtige Frage:

„Die konkreten Lebensgeschichten bedeuten mehr als ein bloßes Thema für eine Theatervorstellung. Im Raum steht die Frage, wie man heutzutage erreichen kann, dass Theaterdarstellungen nicht an den Kriegsgräueln parasitieren. Deswegen haben wir uns für den Weg eines Dokudramas entschieden, das wir nur und allein aus authentischen Aussagen von Hana Pravda und Miloš Dobrý zusammengestellt haben. Die elementare Anweisung für die Schauspieler lautete: ‚Spielt kein Theater.‘ Es handelt sich um zwei von vielen Millionen Stimmen. Wichtiger als das Theaterspielen ist es, diese Stimmen zu hören. Und das ist in beiden Sprachversionen gut gelungen.“

DR2 Theatre  (Foto: Google Street View)
Im Januar dieses Jahres wurde das „Švandovo divadlo“ nach New York eingeladen, um einen Ausschnitt aus „The Good and the True“ aufzuführen. Dies geschah bei der Theatermesse APAP (Association of Performing Arts Presenters). An dieser Veranstaltung nehmen in der Regel um die 3500 Performer und Ensembles teil, die sich um Gastauftritte in den USA bewerben. Daniel Hrbek:

„Wir hatten Glück. Unserer 20-minütigen Präsentation wohnte auch der Chefmanager des New Yorker ‚DR2 Theatre‘ bei, er machte in der Folge die bekannte Produzentin Daryl Roth auf uns aufmerksam, und diese lud uns zu Gastauftritten in ihr Theater ein. Neben ihrem Engagement an ihrem eigenen berühmten Theater am Broadway leitet die Tony-Award-Trägerin auch zwei sogenannte Off-Broadway-Bühnen.“

Isobel Pravda  (Foto: Archiv des Theaters „Švandovo divadlo“)
Eine davon ist das „Daryl Roth 2 Theatre“ in der New Yorker „Union Square“. Von 3. August bis 14. September dieses Jahres stand dort „The Good and the True“ auf dem Programm. Es wurde jeden Tag außer montags gespielt, insgesamt acht Vorstellungen pro Woche.

„The Good und the True“ sei aber keinesfalls eine bloße Übersetzung der tschechischen Vorlage, wie man vielleicht glauben möchte, erläutert Hrbek:

„Die tschechische und die englische Version unterscheiden sich in wesentlichen Elementen voneinander. In der englischen Fassung liegt der Schwerpunkt der Handlung mehr auf Hanas Lebensgeschichte. Von Isobel Pravda haben wir viel Neues über ihre Großmutter erfahren. Ihrer dank ist praktisch ein neues Skript für die englische Fassung entstanden. Außerdem mussten wir eine Reihe von Fakten in den englischen Text integrieren, um dem ausländischen Publikum bestimmte Zusammenhänge in der tschechischen Geschichte verständlicher zu machen.“

Hana Pravdová  (Foto: Archiv von Isobel Pravda)
Die Haupthelden des Stücks hatten übrigens keine Möglichkeit mehr, eine der Aufführungen zu sehen. Hana Pravdová starb 2008 im Alter von 92 Jahren. Zwei Jahre später schied auch Miloš Dobrý mit 89 Jahren aus dem Leben. Doch diese Kriegsschicksale seien in gewisser Weise immer noch aktuell:

„Dass sie wichtig sind, hat sich erst neulich gezeigt - zum Beispiel im Zusammenhang mit der Krise in der Ukraine, dem Gaza-Krieg oder der jüngsten antisemitischen Welle in Europa. Kriegsbiographien sind weiter aktuell, so wurde dies auch während unserer Präsentationen in New York reflektiert. Praktisch alle Presserezensionen haben sich mit den Schicksalen von Hana und Miloš in Bezug auf die Lage in Europa beschäftigt. Ich habe begriffen, dass sich die tragischen Ereignisse aus der Vergangenheit oder aus unserer heutigen Welt jederzeit auch in Zukunft wiederholen können.“

Isobel Pravda und Daniel Hrbek  (Foto: Archiv des Theaters „Švandovo divadlo“)
Kaum aus Übersee zurückgekehrt, sieht der Chef des „Švandovo divadlo“ neuen Gastauftritten in den USA entgegen. Nach dem diesjährigen Erfolg hat das Theater eine weitere Einladung erhalten. So soll „The Good and the True” im Juni 2015 beim weltweit größten Festival des jüdischen Theaters in New York vorgestellt werden. Vorgesehen sind auch Aufführungen in Universitätstheatern der USA sowie eine Tournee durch Großbritannien. Zuvor aber möchte Hrbek schon im Januar 2015 mit einer neuen Inszenierung erneut zur New Yorker APAP aufbrechen. Diesmal mit Franz Kafkas „Verwandlung“.