Loveparade - Slawisches Epos - Koalitionskrach

Am 24. 7. bei der Loveparade in Duisburg wurden Menschen zu Tode getrampelt (Foto: ČTK)

Tschechische Kommentatoren haben sich mit der Loveparade-Katastrophe in Duisburg befasst, mit dem Hick Hack um den monumentalen Bilderzyklus „Slawisches Epos“ von Alfons Mucha. Außerdem hat es in der jungen Koalition gekracht. Und schließlich geht es ums Einkaufen in Tschechien. Das kann einen nämlich teuer zu stehen kommen.

Loveparade in Duisburg  (Foto: ČTK)
Moderatorin: Christian, fangen wir beim Wochenbeginn an. Am Samstag bei der Loveparade in Duisburg wurden Menschen zu Tode getrampelt. Mittlerweile zählt man 21 Tote und an die 500 Verletzte. Politik und Gesellschaft in Deutschland diskutieren, wie das passieren konnte und wer die Schuld hat. Wie wurde die Katastrophe in tschechischen Zeitungen bewertet?

Christian Rühmkorf: Ich habe einen Kommentar herausgesucht, der der ganzen heftigen Diskussion in Deutschland etwas entgegensteht. Zbyněk Petráček von der Tageszeitung Lidové noviny meint, Grund für die Katastrophe sei weder böser Wille noch ein Systemfehler gewesen. Er schreibt:

Am 24. 7. bei der Loveparade in Duisburg wurden Menschen zu Tode getrampelt  (Foto: ČTK)
„Es kommt bei großen Massenaufläufen immer wieder zu solchen Tragödien. Es genügt an Hunderte zertrampelter Pilger nach Mekka zu erinnern. Oder an die Tragödie in einem Stadion 1985 in Brüssel, als Auseinandersetzungen zwischen Fans von Liverpool und Juventus Turin 39 Opfer forderten. Bei einem Unglück in Le Mans 1955 tötete ein explodierendes Rennauto 83 Zuschauer. Dennoch wird weiter nach Mekka gepilgert, drückt man Fußballmannschaften die Daumen und fährt weiter Autorennen. (...) Ist es in Duisburg zu Ausbrüchen von Aggressivität, Hass und Gewalt gekommen? Nein. Es war ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände. Die Loveparade sollte den tragischen Verlust von 19 Menschenleben überleben.“

Moderatorin: Klingt etwas fatalistisch.

C. R.: Stimmt. Denn menschliches Versagen spielt hier sicher keine geringe Rolle.


Slawisches Epos in Moravský Krumlov  (Foto: ČTK)
Moderatorin: Kommen wir zum Top-Thema dieser Woche, was die Medienaufmerksamkeit betrifft. Vergangene Woche hätte der Jugendstilkünstler Alfons Mucha seinen 150. Geburtstag gefeiert. Genau zu diesem Zeitpunkt eskaliert erneut ein Streit um sein größtes Werk: das „Slawische Epos“ - 20 Monumentalgemälde über die tschechische und slawische Geschichte. Sie sind seit 1963 in Moravský Krumlov / Mährisch Kromau untergebracht. Eine Schenkungsurkunde zwischen Mucha und der Stadt Prag besagt aber: Der Zyklus soll in Prag stehen, vorausgesetzt die Stadt schafft eine angemessene Ausstellungsräumlichkeit.

Protest gegen den Bildertransport nach Prag  (Foto: ČTK)
C. R.: Genau, am Montag sollten die ersten Gemälde nach Prag transportiert werden, obwohl Prag noch keinen dauerhaften Ausstellungsort parat hat.

Zbyněk Petráček meint in der Lidové noviny, Prag habe schon so viele Attraktivitäten. Der schlichte Verstand lege nahe, Muchas Bilderzyklus in Moravký Krumlov zu lassen. Was Petráček nicht verstehen kann ist, dass der südmährische Kreishauptmann Hašek von einem moralischen Anspruch der Kleinstadt auf das Slawische Epos spricht. Der Kommentator bezieht sich auf die Geschichte:

„Als die Bilder entstanden und sogar noch als der Maler starb, da hieß die Stadt noch Mährisch Kromau. Ihre deutschen Bewohner wurden nach dem Krieg vertrieben. Wenn Mucha ein Germanisches Epos oder auch ein Sudeten-Epos gemalt hätte, dann hätte der moralische Anspruch von Moravský Krumlov eine gewisse Logik. Aber welchen Moralanspruch (Autor verwendet das deutsche Wort, Anm. d. Red.) hat das sudetische Krumlov auf ein Slawisches Epos? Wenn Hašek in seiner Logik konsequent sein will, dann müsste er auch den moralischen Anspruch der früheren sudetendeutschen Eigentümer des Karlsbader Likörs Becherovka unterstützen.“

Moderatorin: Auch eine interessante Argumentation.

Slawisches Epos: „Die Slawen in ihrer Uhrheimat“
C. R.: Finde ich auch. Jiří Franěk von der Právo vermutet, der Aktivismus des Prager Magistrats hängt damit zusammen, dass die regierenden Bürgerdemokraten schlecht dastehen und vor den Kommunalwahlen im Herbst noch etwas für das Volk tun wollen. Und dafür brauchen sie den monumentalen Bilderzyklus. Kommentator Franěk sieht den Platz der Gemälde allerdings auch eher in Mährisch Kromau, Moravský Krumlov:

„Für Moravský Krumlov, das sich schon 60 Jahre um das Slawische Epos kümmert, ist es die einzige Attraktion. Das ist ein Argument, dass man ernst nehmen muss. Prag braucht es nicht und will es vielleicht im Grunde auch gar nicht haben. Aber vielleicht irre ich mich auch, vielleicht erklären uns die Prager Kulturpolitiker doch noch alles verständlich. Ich wette, dabei werden sie von moralischer Pflicht sprechen.“


Karel Schwarzenberg,  Petr Nečas und Radek John  (Foto: ČTK)
Moderatorin: Christian, Du hattest es schon gesagt: Es hat in dieser Woche in der jungen Koalition gekracht. Finanzminister Kalousek hatte an alle Ministerien die Anweisung herausgegeben, 2,5 Prozent im Etat einzusparen. Aufgeregt haben sich vor allem die Minister der Partei der Öffentlichen Angelegenheiten, allen voran ihr Chef Radek John.

C. R.: Richtig, Finanzminister Kalousek und Premier Nečas haben die Sache aber durchgeboxt. Die Kommentatoren stellen sich fast alle gegen John und seine Parteikollegen. Jiří Leschtina schreibt in der Hospodářské noviny:

Radek John  (Foto: ČTK)
„Diese Sparmaßnahmen sind nicht so drastisch, dass man ihretwegen die Regierungsarbeit niederlegen würde. Es ist eben nur so, dass John und seine Partei nach einem Marketing-Rausch des Erfolgs nun auf hartem Boden gelandet sind. Und die Wähler stellen fest, dass auch dieses Kabinett – wenn es ums Brotbrechen geht – kein Beispiel an staatsmännischer Verantwortung sein wird.“

Lenka Zlámalová, meint in der Lidové noviny:

Petr Nečas  (Foto: ČTK)
„Die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten hat sich durch ihre Versprechen im Wahlkampf als Spar-Tiger präsentiert. Den Wählern haben sie schon im kommenden Jahr ein Haushaltsdefizit von weniger als drei Prozent versprochen. (…) Als Radek John im April beim Runden Tisch in unserer Redaktion erklärte, wie er das anstellen will, brachte er nur hochtrabende Phrasen über die Entlassung von Staatsbediensteten und eine zentrale Logistik für alle Ämter hervor. (…) Jetzt ist die Nagelprobe gekommen und wer sich starrköpfig gegen die Sparmaßnahmen wehrt, ist nur die Partei der Öffentlichen Angelegenheiten.“


Moderatorin: Christian, Du hattest eingangs noch vom Einkaufen in Tschechien gesprochen:

C. R.: Genau, ein Thema, das vor allem die Geldbörse betrifft. Denn Tschechien ist im Vergleich zu Deutschland und anderen Ländern bei vielen Produkten teurer, obwohl die Menschen viel weniger verdienen. Das hat zu einem schwunghaften Einkaufstourismus über die Grenzen hinweg geführt. Tomáš Vocelka von der Mladá fronta Dnes regen die tschechischen Händler auf:

„Sie begründen die hohen Preise mit dem nur kleinen tschechischen Markt und hohen Kosten für Miete, Energie und Marketing. Vielleicht ist es aber viel einfacher: Sie nehmen solche Preise, welche die Käufer zu zahlen bereit sind. Sie vertrauen darauf, dass die Leute nicht zum Einkauf ins Ausland fahren und Angst haben vor Käufen in ausländischen Internet-Läden. (...) Die zunehmende Abwanderung der Käufer ist keine gute Nachricht, weder für die Händler noch für den Staat. (...) Das wird so lange gehen, bis sich die Händler entscheiden müssen, ob sie weiter verteuern, oder ob sie die Waren zu Preisen verkaufen, wie sie im Ausland üblich sind.“

Moderatorin: Der Medienspiegel war das, heute mit Christian Rühmkorf, vielen Dank!