„Roma-Frauen in der Politik eine Stimme verleihen“ - Eva v. d. Rakt über ein spezielles Trainingsprogramm

Foto: Zdeňka Lammelová, Archiv der Heinrich-Böll-Stiftung

Acht Studentinnen aus der Minderheit der Roma haben am vergangenen Wochenende in Prag feierlich Diplome überreicht bekommen. Es war eine Auszeichnung für die erfolgreiche Teilnahme an einem einjährigen politischen Training der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Grünen-nahe deutsche Stiftung möchte damit Roma-Frauen (Romnia) motivieren, sich politisch zu engagieren und selbst zu Entscheidungsträgern zu werden. Und damit sollen sie auch das Klischee von Roma als ungebildeten, passiven Sozialhilfeempfängern am eigenen Beispiel widerlegen. Dazu ein Gespräch mit Eva van de Rakt, Leiterin des Prager Büros der Heinrich-Böll-Stiftung.

Eva van de Rakt  (Foto: Stephan Röhl,  CC-BY-SA)
Frau van de Rakt, die Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet seit mehreren Jahren ein politisches Training für junge Roma-Studentinnen. Was ist das Ziel dieser Veranstaltungen?

„Das Ziel dieser Bildungsmaßnahmen, die wir in Zusammenarbeit mit der Menschenrechtsorganisation Slovo 21 durchführen, ist die Förderung des politischen und zivilgesellschaftlichen Engagements von Romnia, unabhängig von ihrem Alter. Seit 2006 haben wir drei Gruppen von Frauen gefördert, und 2013/14 haben wir erstmals entschieden, das Programm Studentinnen anzubieten. Wir verfolgen auch noch ein weiteres Ziel: Wir möchten das Romnia-Netzwerk Manushe von unserer Partnerorganisation Slovo 21 unterstützen, weil wir die landesweite Vernetzung von Romnia sehr wichtig finden. Und langfristig möchten wir Roma-Bürgerinnen in der Politik und Zivilgesellschaft eine Stimme verleihen und uns damit für die Gleichstellung und die politische und soziale Teilhabe der Roma-Minderheit in Tschechien und Europa engagieren.“

Politisches Training für Roma-Frauen  (Foto: Zdeňka Lammelová,  Archiv der Heinrich-Böll-Stiftung)
Wie sehen diese Trainingskurse konkret aus?

„Es handelt sich meist um ein Jahresprogramm, es gibt Wochenendkurse und im Sommer teilweise ganze Wochenkurse. Es gibt immer einen Theorie- und einen Praxisteil. Themen der Schulung sind zum Beispiel das politische System und Parteienspektrum der Tschechischen Republik sowie Beschäftigungs-, Sozial-, Gesundheitspolitik. Behandelt wird natürlich auch die Situation von Minderheiten im Bildungssystem, und es bestehen Kurse zu Rhetorik und Öffentlichkeit. Das Besondere in diesem Jahr war, dass wir ein Superwahljahr hatten. Es begann ja im Oktober 2013 mit den vorgezogenen Neuwahlen, dann im Mai die Wahlen zum Europäischen Parlament und jetzt im Oktober die Kommunal- und Senatswahlen. Das war natürlich für diesen Kurs sehr, sehr hilfreich, weil man in der Gruppe ganz konkrete Fragen diskutieren konnte, die mit diesen Wahlen zusammenhingen. Für den Praxisteil ist wichtig, dass wir auch versuchen, direkte Kontakte herzustellen. In diesem Jahr fanden viele Gespräche mit Politikerinnen statt, und die Erfahrung zeigt, dass dies Kernerlebnisse für die Romnia sind. Sie berichten immer, dass es sie unglaublich motiviert, dann auch konkret aktiv zu werden. Die Studentinnen haben zudem gemeinsam an kleinen Projekten gearbeitet, sie haben Diskussionsveranstaltungen organisiert, eine Gruppe hat einen Clip gedreht. Ich glaube, es war unheimlich wichtig, dass die Frauen festgestellt haben: ‚Wir können uns engagieren, wir haben das Zeug dazu und es braucht einfach nur konkrete Erfahrungen, diese Schritte zu gehen‘.“

Politisches Training für Roma-Frauen  (Foto: Zdeňka Lammelová,  Archiv der Heinrich-Böll-Stiftung)
Wie werden die Studentinnen ausgewählt? Sie kommen ja aus ganz Tschechien...

„Die Auswahl ist hauptsächlich Aufgabe unserer Partnerorganisation Slovo 21, und konkret von der Romnia-Gruppe Manushe. Es handelt sich um ein klassisches Bewerbungsverfahren: Es gibt also eine Ausschreibung, die über unsere Netzwerke gestreut wird. Manushe spricht aber auch ganz gezielt Frauen an, die sie motivieren möchte, an diesem Kurs teilzunehmen. Die Bewerberinnen schicken dann ihren Lebenslauf und ein Motivationsschreiben, und nach persönlichen Gesprächen wird eine Auswahl getroffen.“

Politisches Training für Roma-Frauen  (Foto: Archiv Slovo 21)
Wie war das Interesse in den letzten Jahren?

„Das Interesse ist durchaus vorhanden. Seit 2006 haben drei Kurse stattgefunden, und es ist uns immer gelungen, eine Gruppe von zehn sehr engagierten und motivierten Frauen zusammenzustellen. Ich würde sagen, das ist ein ziemlicher Erfolg. Denn es handelt sich ja um ein sehr intensives Programm - und allen ist klar, dass sie ein Jahr lang relativ viel Zeit investieren müssen.“

Die Frauen, die gefördert werden, sind Ausnahmen. Sie zählen zu einer kleinen Elite. Die meisten Roma schaffen es gar nicht erst auf ein Gymnasium, geschweige denn auf die Universität. Fördern Sie also nicht diejenigen, die ohnehin schon auf einem guten Weg sind?

Foto: Archiv der Romnia-Gruppe Manushe
„Ich finde, das eine schließt das andere ja nicht aus. Natürlich stimmt es, man muss unterschiedliche Zielgruppen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen fördern. Aber auf einem guten Weg zu sein, bedeutet ja nicht, dass man auch über die Zugänge und das Wissen verfügt, wo und wie man politisch aktiv werden kann und will. Und ich denke, die Heinrich-Böll-Stiftung und Slovo 21 können diese Zugänge und das Wissen vermitteln. Slovo 21 setzt sich aber auch sehr für inklusive Bildung ein und entwickelt in diesem Bereich viele Projekte. Wir haben im vergangenen Jahr ein Projekt unterstützt, das Roma-Eltern über die Rechte ihrer Kinder im tschechischen Bildungssystem informiert und sie ermutigt hat, diese Rechte für ihre Kinder einzufordern.

Foto: Europäische Kommission
Was machen die von Ihnen geförderten Studentinnen heute – engagieren sie sich politisch?

Viele der geschulten Frauen sind heute aktiv, vor allem als Leiterinnen von NGO-Programmen. Wir sehen ein großes Engagement im zivilgesellschaftlichen Bereich. Es gab auch Frauen, die kandidiert haben – sowohl bei den Kommunalwahlen als auch bei den Parlamentswahlen. Das bewerten wir natürlich als sehr positiv. Man kann jetzt nicht sagen, dass es viele Frauen gab, die auch wirklich ein Mandat gewonnen haben. Das sehen wir als langfristige Aufgabe und haben daher ein Alumni-Netzwerk gegründet, damit die Frauen in Kontakt bleiben und sich weiter austauschen können. Und für uns wird es dadurch natürlich einfacher möglich, die Frauen weiterhin zu unterstützen und ihnen Hilfestellung zu geben, gerade wenn es um das politische Engagement geht.“

Foto: Zdeňka Lammelová,  Archiv der Heinrich-Böll-Stiftung
Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Herbst vergangenen Jahres haben so viele Roma kandidiert wie nie zuvor, viele von ihnen auf Listenplätzen der Grünen. Sehen Sie das als neuen Trend, dass Roma verstärkt in die Politik gehen?

„Ja. Wir denken auch, dass dies ein sehr positiver Trend ist. Einige der Frauen, die an unseren Bildungsmaßnahmen teilgenommen haben, haben sich für eine Kandidatur entschieden. Man sieht: Der Trend ist, in verschiedenen Parteien aktiv zu werden. Und das ist ja genau das Wichtige: dass Roma und Romnia in verschiedenen politischen Parteien vertreten sind und gehört werden.“