Erstes Rundfunk-Interview seit Eklat: Präsident Zemans kontroverse Thesen

Miloš Zeman (Foto: Khalil Baalbaki, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Das letzte Live-Interview des Tschechischen Rundfunks mit Staatspräsident Miloš Zeman endete vor mehr als einem Jahr mit einem Eklat. Vor offenen Mikrophonen griff das Staatsoberhaupt zu Obszönitäten – danach hatten beide Seiten keine Lust mehr aufeinander. Nun hat der neue publizistische Rundfunk-Kanal „Český rozhlas Plus“ ein Live-Gespräch mit Zeman gewagt. Mehr über ein Interview mit Risikofaktor und über die kritischen Reaktionen darauf.

Miloš Zeman  (Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Miloš Zeman ist bekannt für kontroverse Meinungen. In den vergangenen Wochen hat er beispielsweise islamfeindliche Äußerungen verlautbart. Vor allem aber erinnern sich alle im Tschechischen Rundfunk noch an die Vulgarismen, die das Staatsoberhaupt im November 2014 live in den Äther streute. Dies brachte dem öffentlich-rechtlichen Medienhaus starke Kritik ein. Moderator Michael Rozsypal, der den Gesprächsfaden am Montag wieder aufgenommen hat, sagt jedoch:

„Jedes Live-Interview birgt ein gewisses Risiko. Wir hatten zwar die Erfahrung des letzten vorangegangenen Gesprächs mit Präsident Zeman im Hinterkopf, aber wir haben nicht über den normalen Rahmen hinaus mit Unvorhersehbarem gerechnet.“

Michael Rozsypal  (rechts). Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Daher gab es auch keinen Sonderplan, wie sich Michael Rozsypal bei etwa erneut vulgärer Ausdrucksweise Zemans verhalten sollte.

„Der Plan war wie bei jedem Gespräch. Wenn sich der Interviewpartner in einer Live-Übertragung vulgärer Ausdrücke bedient, dann weise ich ihn darauf hin, dass dies nicht dem Kodex des Tschechischen Rundfunks entspricht und solche Ausdrücke nicht in den Sendungen benutzt werden dürfen. Falls sich das wiederholt, dann schreibt mir der Kodex vor, dass ich als Moderator das Gespräch beende. Für mich beziehungsweise für uns war der Inhalt viel wichtiger. Ich wollte Präsident Zeman nach einigen Dingen fragen, die in Reaktion auf seine Weihnachtsansprache erklungen sind. Das ist meiner Meinung nach auch der Mehrwert, den öffentlich-rechtliche Medien liefern: notwendige Fragen zu stellen. Und der Präsident hat auf diese auch geantwortet.“

Zeman: Muslimbrüder stehen hinter der Flüchtlingswelle

Foto: ČTK
Zu unerwarteten Zwischenfällen kam es nicht bei dem Interview. Michael Rozsypal musste daher nicht auf den Kodex des Tschechischen Rundfunks hinweisen. Im Mittelpunkt standen aktuelle Themen, allen voran die Flüchtlingspolitik. Zeman vertritt die These, dass der Strom der Flüchtlinge organisiert sei. Dies hatte das Staatsoberhaupt bereits in seiner Weihnachtsansprache verlautbart, nun fügte er hinzu, dahinter stehe die Muslimbruderschaft:

„Sie kann ja nicht Europa den Krieg erklären, dazu reichen ihre Kräfte nicht. Die Muslimbrüder können aber die Flüchtlingswelle anschwellen lassen und schrittweise die Macht in Europa übernehmen, wie das bereits in einigen westeuropäischen Städten geschieht. Dort fürchten sich die Polizisten, in die sogenannten No-Go-Areas zu gehen. Aus dieser Sicht glaube ich, dass zwei Faktoren zusammenkommen: auf der einen Seite die Willkommenskultur und auf der anderen das Bemühen der Muslimbruderschaft, ihre Ziele zu erreichen.“

Illustrationsfoto: Dying Regime,  CC BY 2.0
Zeman hat bereits mehrfach Menschen verunglimpft, die in Europa Schutz suchen. Unter anderem warf er Flüchtlingen vor, sie wollten die islamische Scharia einführen anstelle tschechischen Rechts. In seiner Weihnachtsansprache sagte er: „Dieses Land ist unser Land.“

Im Interview für den Tschechischen Rundfunk versuchte das Staatsoberhaupt, seine These zu untermauern. Er sprach von der großen Masse an Schleppern.

„Allein in der Türkei gibt es bestimmten Quellen nach fast 25.000 Schlepper. Das sind mehr als alle Soldaten der tschechischen Armee. Ein solch großes Schlepper-Netzwerk zu organisieren, geht nicht per Zufall, das braucht eine sehr gründliche Planung.“

Marek Ženíšek  (Foto: Archiv Top 09)
Doch mit seiner These von einer organisierten Invasion steht Zeman ziemlich allein da in der Riege aktiver Politiker. Marek Ženíšek ist Politologe und Abgeordneter der konservativen Oppositionspartei Top 09:

„Selbst wenn das wahr wäre, stellt sich die Frage: Wie kann das organisierte Verbrechen dafür sorgen, dass die Grenzen Europas nicht kontrolliert werden und dass Bundeskanzlerin Merkel die Flüchtlinge nach Deutschland einlädt. Präsident Zeman betrachtet die Lage aus der Perspektive der Prager Burg und zeichnet einfach ein Schwarz-Weiß-Bild. Er liefert auch keine fundierte Analyse und keine Vision, was gemacht werden könnte.“

Zeman nennt zwei Quellen für seine Behauptung, die Flüchtlingswelle sei von der Muslimbruderschaft organisiert: den Kronprinzen der Vereinigten Arabischen Emirate und den Außenminister Marokkos. Mit beiden hatte er gesprochen. Robert Stojanov vom Migrationsforschungszentrum der Prager Karlsuniversität hält diese Informanten aber nicht gerade für unvoreingenommen:

Muslimbrüder  (Foto: Elagamytarek,  CC BY-SA 4.0)
„Man muss sich bewusst machen, wer die Muslimbrüder sind. Sie sind die einzige Gruppe, die die meist autoritären Regierungen in der arabischen Welt vielleicht nicht unbedingt stürzen, aber ihnen zur Konkurrenz werden kann. Und den Machthabern kommt es entgegen, alles auf die Muslimbrüder zu schieben, das ist ihr Hauptziel.“

Wenn Pepík aus der Schule kommt

Ein zweiter Kreis an Fragen drehte sich im weitesten Sinn um tschechische Politik. Zwar zeigte sich das Staatsoberhaupt sehr zufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Doch gegen Ende des Interviews gab es eine schwere Rüge für das Mitte-Links-Kabinett. Es ging um Zahlen, konkret: wie viel Geld der Europäischen Union in Tschechien ungenutzt bleibt.

Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
„Es gab einmal Angaben, dass wir 100 Milliarden Kronen nicht nutzen würden. Jetzt sind wir froh darüber, dass die Summe nur noch bei 35 Milliarden Kronen liegt. Das ist aber, wie wenn Pepík aus der Schule nach Hause kommt und sich brüstet, er hätte eine drei bekommen, wo es doch auch eine fünf hätte sein können.“

Und weiter sagte Zeman:

„Wenn jemand in diesem Land 35 Milliarden stehlen würde, dann kommt er hoffentlich vor Gericht. Wenn jemand aus eigener Laxheit, aus eigener Unfähigkeit einfach 35 Milliarden verfallen lässt, dann ist das schlecht, aber demjenigen geschieht nichts.“

Bohuslav Sobotka  (Foto: ČT24)
Eine Lösung wäre laut Zeman, in der Schublade weitere nützliche Projekte zu haben – und sie immer dann herauszuziehen, wenn eines der geplanten Vorhaben fehlschlage.

Vorgängerregierungen in der Verantwortung

Bei der Regierung zeigte man sich verwundert über Zemans Worte. Laut Premier Bohuslav Sobotka liegt die Hauptverantwortung für ungenutzte EU-Fördermittel bei den Vorgängerregierungen, schließlich habe sein Kabinett erst Anfang 2014 die Geschäfte aufgenommen. Dies sieht auch der Journalist Petr Holub so, er ist Kommentator des Tschechischen Rundfunks:

Petr Holub  (Foto: Dana Josefová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Ich denke, Präsident Zeman hat das Ziel verfehlt. Falls die ungenutzte Summe bei 35 Milliarden Kronen liegen sollte, wie jetzt behauptet wird, dann wäre das eher ein Erfolg. Denn die Regierung Sobotka hat auf den letzten Drücker noch Gelder gerettet. Es geht ja um den Förderzeitraum 2007 bis 2013. Wie da die Gelder genutzt wurden, das liegt in der Verantwortung der Vorgängerregierungen. Große Fehler hat sogar schon die Regierung des Sozialdemokraten Paroubek gemacht, weil sie viel zu viele Förderprogramme ausgelobt hat. Weitere große Fehler entstanden während der Regierung des Bürgerdemokraten Mirek Topolánek. Und zur Katastrophe kam es dann in der Amtszeit eines weiteren Bürgerdemokraten, von Petr Nečas, als die Europäische Union sogar für ein halbes Jahr jegliche Auszahlung von Geldern stoppte. Dadurch geriet Tschechien vollends in Rückstand.“

Interview mit dem Staatspräsidenten  (Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Äußerungen Zemans im Interview haben für Diskussionsstoff gesorgt, wie eigentlich jeder öffentliche Auftritt des Staatsoberhauptes. Selbst deutsche Medien haben berichtet. Das war ganz im Sinn von Moderator Michael Rozsypal. Selbst hat er das Gespräch aber noch nicht ausgewertet. Doch er sagt:

„Selbstverständlich gab es auch in diesem Interview wie in jedem anderen gewisse Momente, die meiner Meinung hätten besser sein können, wo ich zum Beispiel noch stärker hätte nachhaken können. Aber das ist das Problem eines jeden Live-Gesprächs. In dem Fall muss man berücksichtigen, dass es sich um ein Interview mit dem Staatspräsidenten gehandelt hat und dass es an seinem Amtssitz auf der Prager Burg geführt wurde und nicht bei uns im Studio. Es haben also besondere Bedingungen geherrscht.“