„Niemand hat euch eingeladen“ – Hässliche Töne in der tschechischen Flüchtlingsdebatte

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Sie kommen – und sie nehmen vermehrt den Weg über Tschechien. Auch hierzulande zeigt sich die Flüchtlingskrise der EU immer mehr. Doch von wegen Willkommenskultur, manche Politiker fangen an, verbal um sich zu schlagen. Immer mehr zeigt sich, wie hilflos die Politik hierzulande ist.

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Freiheit riefen sie – und dann gingen auch Scheiben zu Bruch. Eine Hundertschaft der tschechischen Polizei stand vor dem Stacheldrahtzaun. Letztlich nahmen die Einsatzkräfte sogar einen der Aufständischen in Gewahrsam. So geschehen am Freitag vergangener Woche in Mittelböhmen, genauer im Abschiebelager bei Bělá pod Bezdězem / Weißwasser. Es sind Menschen vor allem aus Syrien, Afghanistan, Pakistan und dem Irak. Sie sind zum Teil vor der Terrorgruppe Islamischer Staat geflohen. Sie wollten in die Freiheit, nun sitzen sie praktisch hinter Gittern.

Miloš Zeman  (Foto: ČT24)
In seinen Gemächern auf der Prager Burg reagierte der Staatspräsident empört. Miloš Zeman diktierte in die Kamera:

„Erster Satz: Niemand hat Euch hierher eingeladen. Zweiter Satz: Wenn Ihr schon hier seid, dann müsst Ihr unsere Regeln respektieren, so wie wir Eure Regeln respektieren, wenn wir in Eure Länder fahren. Und der dritte Satz: Wenn Euch das nicht gefällt, dann haut ab.“

Helena Langšádlová  (Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
So scharf hatten bisher nur die Rechtsausleger der politischen Szene formuliert. Doch wer geglaubt hatte, ein Aufschrei würde durchs Land gehen, sah sich getäuscht. Die Regierungspolitiker schwiegen, sie sind gerade im Urlaub. Einige der wenigen, die kritisch reagierten, war Helena Langšádlová, stellvertretende Vorsitzende der konservativen Oppositionspartei Top 09:

„Das sind einzelne Aufschreie populistischer Art. Und ich denke, auf die ernste Lage, wie sie in der gesamten Europäischen Union besteht, sollte Präsident Zeman angemessener reagieren.“

EU-Rekord: 81 Prozent negative Einstellung

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Miloš Zeman hat ganz klar die allgemeine Stimmungslage in Tschechien aufgegriffen. Populismus nennt man so etwas. Gerade am Montag wurde die neueste vergleichende Umfrage in Europa bekannt. Beim Eurobarometer ist diesmal auch nach der Migration gefragt worden. Das Ergebnis: 81 Prozent der tschechischen Bürger haben eine negative Meinung von Flüchtlingen von anderen Kontinenten. Das ist absoluter Rekord in der EU. Im Durchschnitt sind es in der Union rund 56 Prozent, in Deutschland liegt der Wert bei 54 Prozent Ablehnung. Doch warum ist die Stimmung in Tschechien so außerordentlich negativ? Der Journalist Pavel Šafr, ehemaliger Chefredakteur der Tageszeitung Mladá fronta Dnes und des Magazins Reflex, sagte am Montag im Tschechischen Fernsehen:

Pavel Šafr  (Foto: Alžběta Švarcová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Die Menschen haben meist nicht nur negative Gefühle, sondern direkt Angst. Selbst in Deutschland ist der Anteil noch hoch. Die tschechische Gesellschaft ist aber noch verängstigter und, wie ich sagen muss, auch unreifer. Es fehlt ein gewisses Ethos. Meiner Meinung nach tragen sowohl die Politiker hierzulande die Verantwortung als auch wir Journalisten. Bei solch einem großen Problem ist es normal, wenn in der Gesellschaft Nervosität und Angst zunehmen. Auf der anderen Seite wäre es ebenso normal, dass auch ein großer Teil der Menschen sachlicher und mit mehr Ruhe reagiert. Denn die Immigranten bedrohen weder unser Leben, noch unseren Besitz. Sie wollen nicht in unseren Betten schlafen oder mit uns am Tisch zu Mittag essen.“

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Außerdem wollen die Flüchtlinge noch nicht einmal nach Tschechien. Die meisten sind auf dem Weg nach Deutschland. Hierzulande wird für dieses Jahr eine Gesamtzahl von 3500 illegalen Migranten geschätzt sowie einige Hundert, die bleiben wollen. In Deutschland schätzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt 400.000 Erstanträge auf Asyl.

Auch Pavel Šafr kennt diese Unterschiede. Aufgebracht sei er über Miloš Zeman, ließ der Journalist wissen:

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„Ich finde, dass der Herr Präsident sein Amt falsch ausgelegt hat. Seine Aufgabe ist es, die Gesellschaft zu beruhigen. Wenn die Gesellschaft nicht in ihrer Mehrheit bedroht ist, dann muss eine politische Spitzenperson wie der Staatspräsident die Öffentlichkeit zu positiven Bildern und Lösungen hinleiten. Stattdessen spült er erschütternde Hassgefühle nach oben. Keinem Tschechen, der Immigranten hasst, hilft dieses Gefühl. Diese Emotionen sind völlig ineffektiv.“

Hass löst das Problem nicht

Abschiebelager in Bělá pod Bezdězem  (Foto: ČTK)
Doch wie sieht es eigentlich aus in dem Abschiebelager in Bělá pod Bezdězem? So ganz genau lässt sich das nicht recherchieren, denn hinein kommt man nicht. Glaubt man der Fremdenpolizei, dann ist die maximale Kapazität noch nicht erreicht, obwohl immer mehr illegale Migranten aufgegriffen werden. Es handelt sich um ein Abschiebelager, keiner der Flüchtlinge dort hat also in Tschechien einen Asylantrag gestellt. Also wird geprüft, ob er in einem anderen Schengen-Staat bereits um Asyl gebeten hat. Meist ist das in Ungarn geschehen. Doch Milan Majer von der Fremdenpolizei sagt:

Milan Majer  (Foto: Archiv der tschechischen Innenministeriums)
„Da in Ungarn derzeit bereits 80.000 Flüchtlinge sind, schaffen es die Behörden dort meist nicht, die Fristen einzuhalten, die durch das Abkommen von Dublin vorgegeben sind. In Ungarn werden täglich 1500 Flüchtlinge aufgegriffen, in Österreich sind es 300.“

Die Flüchtlinge, die von den Ungarn nicht rechtzeitig zurückübernommen werden, kommen nach 40 Tagen frei. Ganze 180 Tage warten müssen aber jene, denen kein vorheriger Aufenthalt in einem anderen EU-Staat nachgewiesen werden kann und die aus einem Bürgerkriegsland kommen. Wie zum Beispiel Syrien. Und was folgt dann?

„Zu 99 Prozent verlassen diese Ausländer die Tschechische Republik wieder, und zwar in Richtung Deutschland“, so Milan Majer.

Die Flüchtlinge in Bělá pod Bezdězem kritisieren die Art der Unterbringung und dass es zu lange dauere, bis über ihre Fälle entschieden werde. Innenminister Milan Chovanec weist aber die Vorwürfe zurück:

Milan Chovanec  (Foto: ČT24)
„Ich habe mehrere solcher Einrichtungen besucht, und die Bedingungen dort sind ausreichend. Die Menschen leiden nicht, sie haben ein Dach über dem Kopf. Sie haben warmes Wasser und bekommen etwas zu essen. Wo ich war, da haben sie auch eine Tischtennisplatte und draußen Sportanlagen. Ich denke, dass die Unterbringung unserem 21. Jahrhundert angemessen ist. Die Rechtsverfahren wiederum entsprechen den europäischen Standards. Das muss auch jeder andere durchmachen, es besteht kein Raum für Verhandlungen.“

Eingesperrt anstatt in Freiheit

Magda Faltová  (Foto: ČT24)
Allerdings sind die Menschen unter Umständen bereits seit Wochen oder Monaten auf der Flucht. Manche sind vielleicht traumatisiert. Darauf weist Magda Faltová hin, Leiterin des Vereins zur Integration von Ausländern mit Sitz in Prag:

„Die Menschen in den Abschiebelagern sind in einer schwierigen Lage. Sie sind in ihrer Freiheit eingeschränkt. Sie sehen dies als Gefängnis, obwohl sie sich keine Straftat haben zu Schulden kommen lassen. Die Verletzung des Fremdengesetzes ist nur ein Ordnungsdelikt. In den Lagern befinden sich viele Menschen auf einem kleinen Raum, dadurch entstehen auch Spannungen und Konflikte. Auf der anderen Seite sind diese Menschen nicht gefährlich.“

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Hätten die Menschen im Übrigen in Tschechien um Asyl gebeten, dann befänden sie sich in Unterkünften, die sie frei verlassen könnten. Aber selbst im Vorfeld einer möglichen Abschiebung könnte anders mit ihnen umgegangen werden, sagt Magda Faltová:

„Es besteht auch die Möglichkeit, diese Menschen nicht einfach einzusperren. Das tschechische Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern kennt die Möglichkeit, dass sich diejenigen, die abgeschoben werden sollen, regelmäßig bei der Polizei melden.“

Derzeit wird jedoch geplant, eines oder mehrere weitere Abschiebelager einzurichten. Gesamtkapazität: 1200 Menschen.