Prioritäten kommunizieren: Botschafter Elfenkämper zur deutschen EU-Präsidentschaft

Helmut Elfenkämper

Seit Jahresbeginn hat Deutschland den Ratsvorsitz in der Europäischen Union inne. Welche Ziele hat die deutsche Präsidentschaft sich für die nächsten sechs Monate gesteckt? Welche Erwartungen gibt es von tschechischer Seite? Und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Tschechischen Republik, die in zwei Jahren selbst den Ratsvorsitz übernehmen wird? Gerald Schubert hat mit Helmut Elfenkämper gesprochen, dem deutschen Botschafter in Prag. Auszüge aus diesem Gespräch haben wir bereits in einer Sondersendung zu Neujahr gebracht, nun präsentieren wir das Interview in voller Länge.

Das erste Halbjahr 2007 ist das Halbjahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Können sie kurz umreißen, was die wichtigsten Punkte auf der Agenda der deutschen Präsidentschaft sein werden und welche davon Ihrer Meinung nach für die Tschechische Republik eine besonders große Bedeutung haben?

"Wir wollen während unserer sechsmonatigen Präsidentschaft drei Schwerpunkte setzen. Bis zum ersten regulären Gipfel Anfang März wollen wir den Akzent auf wirtschafts- und sozialpolitische Fragen legen. Dabei wird es um die weitere Effizienz der europäischen Wirtschaft gehen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext. Wir können hier an die Arbeit der finnischen Präsidentschaft anknüpfen, daneben setzen wir einen starken Akzent auf Energiepolitik. Wir hoffen, dass wir das Ziel erreichen werden, einen europäischen Aktionsplan für Energiepolitik aufzustellen. Zweitens werden wir Ende März in Berlin den fünfzigsten Jahrestag der Römischen Verträge feiern können. Aus diesem Anlass möchten wir eine Berliner Erklärung verabschieden, in der Europa sich nicht nur selbst feiert - denn die fünfzig Jahre sind natürlich eine Erfolgsgeschichte -, sondern sich auch darüber einig wird, wie es jetzt, im 21. Jahrhundert, mit Europa weitergehen soll. Als Drittes wollen wir dem Auftrag gerecht werden, den wir Ende Juni 2006 unter der österreichischen Präsidentschaft erhalten haben: nämlich einen Fahrplan vorzulegen, wie es mit dem Europäischen Verfassungsvertrag, dessen Ratifizierung ja im Moment gestoppt ist, weitergehen könnte. Alle drei Probleme und Schwerpunkte berühren natürlich Tschechien unmittelbar - sowohl die wirtschaftsbezogenen Fragen als auch die Fragen des europäischen Verfassungsvertrages. Dieser ist ja hier im Lande bisher nicht ratifiziert, und auch über die Methode der Ratifizierung ist noch nicht entschieden worden. Wir müssen hier also mit unseren tschechischen Partnern diskutieren, uns konsultieren, und genau das haben wir auch vor."

Wie sehen Sie denn vor diesem Hintergrund die EU-Begeisterung bzw. die EU-Skepsis der Tschechen? Glauben Sie, dass sich hier in Tschechien etwas bewegt? Es gibt dazu ja sogar neue Umfragen.

"Die neuesten Eurobarometer-Umfragen zeigen, dass es hier im Lande ein sehr differenziertes Meinungsbild gibt, und dass die Euro-Skeptiker, die in den vergangenen Monaten im Vordergrund des Interesses gestanden haben, sicher keine Mehrheit darstellen. Es gibt diesen Umfragen zufolge in der öffentlichen Meinung immerhin eine knappe Mehrheit für eine Ratifizierung des Europäischen Verfassungsvertrages. Insgesamt gesehen gibt es ein überwiegend positives Bild von Europa. Zwei Drittel der Leute sagen, die Mitgliedschaft in der EU hat etwas gebracht. Es gibt auch ein beeindruckendes Vertrauen in europäische Institutionen, darunter das Europäische Parlament. Das alles sind Anzeichen, die darauf hindeuten, dass man das Meinungsbild hier sehr differenziert sehen muss. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht weiter bemühen müssen, dem Bürger die Europäische Union wieder näher zu bringen. Der in ganz Europa um sich greifende Skeptizismus und eine gewisse Ermüdung haben sicherlich auch Tschechien nicht ganz unberührt gelassen. Vor diesem Hintergrund ist zum Beispiel die Entscheidung der europäischen Innenminister, die Schengenzone schon ab Ende 2007 auf die kontinentaleuropäischen neuen Mitglieder zu erweitern, eine gute Nachricht. Das ist die Art von Nachrichten, die die Leute brauchen."

Deutschland ist das größte Nachbarland der Tschechischen Republik. Außerdem muss sich Tschechien langsam aber sicher auf die eigene Präsidentschaft vorbereiten, die zwar erst 2009 ansteht, aber doch eine längere Vorbereitungsphase braucht. Glauben Sie, dass Tschechien auch vor diesem Hintergrund ganz genau hinsehen wird und sich vielleicht ein bisschen mehr für die deutsche Präsidentschaft interessieren wird als andere Länder?

"Ja, sicher. Es ist das erste Mal, dass Tschechien seit seinem Beitritt zur Union im Jahr 2004 die Präsidentschaft übernehmen wird. Es gibt ein großes Interesse daran zu sehen, wie wir eine solche Präsidentschaft praktisch handhaben. Wir haben eine ganze Reihe von Beamten des Außenministeriums aber auch anderer Fachministerien nach Berlin eingeladen, die bei uns hospitieren - zum Beispiel im Bereich Landwirtschaft. Ein weiterer Aspekt ist, dass das Goethe-Institut für tschechische Beamte Deutschkurse organisiert, die auf den speziellen Bedarf der Betreffenden zugeschnitten sind, damit diese ihre Fachsprache im jeweiligen Arbeitsbereich verbessern können."

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Ein wichtiger Punkt im Abwickeln der Ratspräsidentschaft ist die Kommunikation mit den Bürgern. Was kann das Land, das die Ratspräsidentschaft innehat, respektive was können die Botschaften dieses Landes in den anderen EU-Staaten beitragen zur Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern Europas?

"Wir werden versuchen die Themen, die wir uns als Prioritäten vorgenommen haben, in Zusammenarbeit mit den Medien und den politischen Instanzen dieses Landes so breit wie möglich zu kommunizieren. Wir werden auch versuchen, unsere Themen im Rahmen von Veranstaltungen näher an die Öffentlichkeit heranzubringen. Obwohl es natürlich noch keine europäische Öffentlichkeit gibt, gibt es doch eine ganze Reihe von verbindenden Themen. Dazu gehört die Frage, wie es mit dem Klima weitergeht, dazu gehört Migration, dazu gehört zum Beispiel auch die demografische Entwicklung des europäischen Kontinents. Das alles sind Themen, die die europäischen Gesellschaften miteinander verbinden, Themen, die vielleicht nicht immer gleichzeitig, aber insgesamt doch europaweit diskutiert werden. Und das werden wir fördern."

Sie sind seit anderthalb Jahren hier Botschafter. Inwiefern unterscheidet sich dieses Amt hier von den Außenposten, die sie vorher hatten? Was macht Prag für Sie persönlich zu etwas Besonderem?

"Ich bin ja sozusagen ein Bürger des alten Westdeutschland. Für jemanden meiner Generation gehörte Prag während dieser sehr langen Phase der Teilung Europas vor 1989 zu den Orten, die mental sehr weit weg waren, obwohl sie ja praktisch vor der Tür liegen. Wenn man jetzt hier in Prag lebt, wie ich das seit anderthalb Jahren tue, dann ist es faszinierend festzustellen, wie schnell diese Distanz überwunden worden ist. Nicht nur im äußeren Erscheinungsbild der Stadt, sondern, soweit ich das beurteilen kann, auch im Lebensgefühl ihrer Menschen, vor allem der jüngeren Generation, die mit uns ohne weiteres in jeder Beziehung zusammengehören, wie das ja auch früher der Fall war, vor der Teilung Europas. Das Zweite ist vielleicht, dass sich Prag, bei allem Fortschritt und bei aller positiven Dynamik in der Wirtschaft und in der jungen Generation, doch gekonnt einige Aspekte erhalten hat, die seinen ganz besonderen Charme ausmachen. Denken Sie an die alten Ecken der Stadt: Hier werden immer noch einige Straßenlaternen mit Gas betrieben, und andere sehen so aus, als würden sie mit Gas betrieben, jedenfalls hier auf der Kleinseite. Bei allem was man sagen mag über die vielleicht manchmal fragwürdige Kommerzialisierung bestimmter Aspekte der Prager Kultur und Geschichte, finde ich doch, dass noch viel übrig geblieben ist von dem alten Charme Prags, mit dem im Kopf wir ja hier herkommen - und mit dem auch die Touristen hier herkommen."