Streit um Bekenntnis der KSČM zum „revolutionären Grundgedanken“ von 1948

El febrero de 1948 en Praga, foto: ČT24

Vergangene Woche wurde in Tschechien an die kommunistische Machtübernahme vom 25. Februar 1948 erinnert. Bei den meisten Veranstaltungen wurde gemahnt, nicht noch einmal so etwas zuzulassen. Die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens jedoch, im tschechischen Abgeordnetenhaus mit einer komfortablen Zahl an Sitzen ausgestattet, gab eine Erklärung heraus. Darin hieß es, man bekenne sich zum revolutionären Grundgedanken des Februars 1948. Das hat erneut zu Diskussionen geführt.

Februar 1948 | Foto: Tschechisches Fernsehen
Die Erklärung der heutigen kommunistischen Partei erschien am Vorabend des Gedenktages. In dem Text steht nicht nur, dass man sich zum revolutionären Grundgedanken des Februars 1948 bekenne. Die KSČM, wie die Partei heute heißt, ehre auch die aufopfernde Arbeit der sozialistischen Gründergeneration. Zugleich bedauere sie (Zitat) „die tragischen Deformationen und Unzulänglichkeiten, die im weiteren Verlauf die Ideen des Sozialismus verarmt und beschädigt haben“.

Jiří Dolejš  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Wie das zu verstehen sei, erläuterte der stellvertretende Parteivorsitzende Jiří Dolejš am folgenden Tag sowohl im Radio als auch im Fernsehen. Bei einem Streitgespräch mit dem stellvertretenden Senatsvorsitzenden Přemysl Sobotka von der konservativen Demokratischen Bürgerpartei erläuterte Dolejš in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:

„Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich nicht nur in der Tschechoslowakei, sondern auch in anderen Ländern Europas die Menschen einen grundlegenden Wandel gewünscht. Sie wählten Parteien, die sich nicht gescheut haben, über den Sozialismus zu reden und auch praktische Überlegungen anzustellen. Das zeigte sich letztlich dann im Wahlergebnis von 1946.“

Der Wahlsieg von 1946

Worauf Dolejš anspielte, sind die ersten freien Parlamentswahlen in der Tschechoslowakei nach dem Krieg. Im Mai 1946 holten die Kommunisten insgesamt rund 40 Prozent der Stimmen. Allerdings waren alle konservativen Parteien damals verboten, ihnen wurde die Kollaboration mit den Nationalsozialisten während der Besatzung vorgeworfen. So konnten die Wahlberechtigten nur für die linksgerichteten Kräfte der sogenannten Nationalen Front stimmen – oder einen weißen Wahlzettel abgeben.

Přemysl Sobotka  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Für den konservativen Politiker Sobotka ist es nach 41 Jahren kommunistischer Herrschaft eine fürchterliche Vorstellung, dass sich die KSČM nicht distanziert von der Machtübernahme ihrer Vorgängerpartei vor 68 Jahren:

„Das signalisiert doch klar, dass die Kommunisten zum einen nicht nur ihre programmatischen Visionen nicht hinter sich lassen wollen, sondern sich auch nicht von dem distanzieren, was in der 1950er Jahren hierzulande vor sich ging. Sie haben das Volk praktisch zerstört, sie haben die Menschen zur Emigration getrieben, sie haben alles verstaatlicht. Letztlich haben sie, auch nach ihren eigenen Aussagen, eine klassische Diktatur des Proletariats geschaffen. Es stimmt, dass sie 1946 die Mehrheit der Stimmen geholt haben, aber es war nicht die absolute Mehrheit. Die Kommunisten sollten nicht lügen, denn was sie 41 Jahre lang in der Tschechoslowakei begangen haben, lässt sich nicht einfach mit einer Entschuldigung abspeisen. Sie sollten sich schämen für die Toten, die Ermordeten, die Eingesperrten und die Zerstörung des Landes.“

Februar 1948  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Die damalige KSČ hatte sich kurz vor Weihnachten 1989, also etwa einen Monat nach dem Beginn der Samtenen Revolution, mit einer öffentlichen Erklärung bei den Bürgern der Tschechoslowakei entschuldigt. Das Bedauern bezog sich auch auf die Verfolgung Andersdenkender und die Folgen für deren Angehörige sowie die Repressionen gegen oppositionelle Parteimitglieder. In diesem Sinn reagierte Jiří Dolejš auf die Vorwürfe Sobotkas:

„Falls man keinen Sehfehler hat oder unter einer Lese-Rechtschreib-Schwäche leidet, dann kann man in unserer Erklärung lesen, dass wir uns vom Machtmissbrauch distanzieren. Wir verteidigen zum einen die Idee des Sozialismus und zum anderen die Begeisterung jener, die ihn aufbauen wollten. Das hat nichts zu tun mit den Verbrechen der 1950er Jahre und den weiteren Problemen, die damit 40 Jahre einhergegangen sind. Sie verwirren die Öffentlichkeit, Herr Senator, wenn sie behaupten, die Menschen seien unter der Knute Stalins für den Sozialismus gewesen. Das stimmt so nicht ganz. Die Kommunisten hatten zwar wirklich keine absolute Mehrheit, aber auch die Sozialdemokraten und die Nationalen Sozialisten haben mit dem Sozialismus geliebäugelt. Das war vielleicht eine andere Form des Sozialismus, aber ich leugne auch nicht, dass es nach der Machtübernahme vom Februar 1948 zur Monopolisierung der Idee kam, und dass diese Monopolisierung die Idee beschädigt hat.“

Februar 1948  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Přemysl Sobotka hielt dem allerdings entgegen, dass die Kommunisten schon 1946 mit dem Innenministerium eine zentrale Stelle im Staat besetzt hatten – und dies ihnen die Möglichkeit gab, Propaganda in eigener Sache zu führen. Staatspräsident Edvard Beneš habe sich zudem blenden lassen von den Kommunisten.

Belogen und betrogen

Noch etwas deutlicher wurde Sobotkas Parteikollege Miloš Vystrčil am selben Abend in einem Streitgespräch im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen. Auch dort hatte Jiří Dolejš die Erklärung der kommunistischen Partei erläutert. Senator Vystrčil:

Miloš Vystrčil  (Foto: Archiv des Senats des Parlaments der Tschechischen Republik)
„Grundsätzlich muss noch einmal eines klar gemacht werden. Ich leugne nicht, dass die Kommunisten die Wahlen im Jahr 1946 gewonnen hatten. Aber damals haben sie die Mehrheit des Landes belogen und betrogen. Sie haben Dinge versprochen, die sie später nicht gehalten haben. Die Wahrheit ist sicher auch, dass einige etwas länger gebraucht haben, bis sie das durchschaut haben. Wir Tschechen sind natürlich selbst schuld, dass wir einer Idee gefolgt sind, die uns viel Leid und manchem das Leben gekostet hat.“

In der Tschechoslowakei verlief die Machtübernahme durch die Kommunisten als einzige in Mitteleuropa nicht gewaltsam. Inwieweit sie aber verfassungskonform war, darüber streiten sich die Historiker. Senator Vystrčil äußerte in seiner Replik auf Dolejš aber auch allgemeine Zweifel an den Vorstellungen der heutigen Kommunisten in Tschechien.

„Die Kommunisten sagen in ihrer Erklärung auch, dass sie heute eine neue Form eines humanen und demokratischen Sozialismus aufbauen wollen. Damit sagen sie ja implizit, dass das, was früher aufgebaut wurde, das Gegenteil war: nämlich inhuman und undemokratisch. Aber das lag nicht an den Fehlern in der Umsetzung und lässt sich heute auch nicht besser machen. Denn der Gedanke an sich ist fehlerhaft, unbrauchbar und kann auf lange Frist nicht klappen. Das zeigt die Geschichte der Länder um uns herum genauso wie unsere eigene Historie. Heute zu versuchen, dazu zurückzukehren, ist verkehrt – oder schlimmer noch: Es ist gefährlich.“

Karl Marx
In ihrem bis heute gültigen Grundsatzprogramm von 1992 beruft sich die KSČM auf das „humanistische Erbe von Marx und Engels“. Jiří Dolejš erläuterte vergangene Woche aber nicht, inwieweit sich seine Partei eigentlich von den klassischen marxistisch-leninistischen Vorstellungen getrennt hat. Das heißt zum Beispiel auch von der Diktatur des Proletariats oder der Überwindung des Privateigentums. Denn im Parteiprogramm wird nur mit dem real existierenden Sozialismus abgerechnet. Bestimmte konstituierende Elemente des heutigen politischen Systems in Tschechien werden hingegen nicht in dem Sinne erwähnt, dass sie ausdrücklich schützenswert seien. Parteienpluralismus beispielsweise kommt dort nicht vor.