Fußballlegende Masopust: „Bei der WM 1962 haben wir es allen gezeigt“

Josef Masopust (Foto: ČTK)

In Argentinien wird Diego Maradona bis heute als Fußballgenie vergöttert, in Deutschland wird Franz Beckenbauer als Lichtgestalt gepriesen. Aber auch in Tschechien gibt es einen Fußballer, der schon zu Lebzeiten eine Legende ist: Josef Masopust. Am 9. Februar feiert der in Střimice bei Most / Brüx geborene Masopust seinen 80. Geburtstag. In seiner 50 Jahre währenden Sportkarriere (25 Jahre als Spieler und 25 Jahre als Trainer) schaffte Masopust etwas, was keinem anderen Tschechen bisher gelang: Er stand 1962 mit der Tschechoslowakei im WM-Finale, erzielte bei der 1:3-Niederlage gegen Brasilien das Ehrentor und wurde im selbem Jahr zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Wenige Tage vor seinem Lebensjubiläum führte Radio Prag mit ihm ein Exklusivinterview.

Josef Masopust  (Foto: ČTK)
Herr Masopust, wie geht es Ihnen?

„Ich muss sagen, ganz gut.“

Der Höhepunkt Ihrer Fußballer-Karriere war sicher das WM-Finale 1962 in Santiago de Chile. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

„Ich muss so anfangen: Noch kurz vor WM-Beginn waren die Fußballfans bei uns in der Tschechoslowakei gar nicht erfreut darüber, dass wir zur WM reisen. Es kursierte die Meinung, wie bräuchten unsere Koffer in Chile gar nicht erst auszupacken, weil wir keine Chance hätten und eh gleich wieder nach Hause fliegen müssten. Solche Worte hört kein Spieler gern. Deshalb sagten wir uns, wir müssen alles dafür tun, dass wir keine Schande machen. Im ersten Spiel hatten wir mit Spanien gleich einen sehr starken Gegner. Wir rechneten uns aus: Wenn wir gegen die Spanier remis spielen, dann haben wir vielleicht eine Chance auf das Weiterkommen. Aber als dann Jozef Štibrányi zur 1:0-Führung für uns traf, waren wir richtig euphorisch. Wir sagten uns: Und wenn wir auf allen Vieren kriechen, wir müssen diese Möglichkeit beim Schopfe packen und den Vorsprung über die Zeit bringen. Das ist uns gelungen. Im zweiten Spiel gegen Brasilien hat uns die Verletzung von Pelé in die Karten gespielt. Wir haben etwas mehr als eine Halbzeit in Überzahl gespielt, denn Pelé ist nach der Pause nicht mehr auf den Platz gekommen. Damals war es nicht möglich, einen verletzten Spieler auszuwechseln. Wir dachten daher: Wir sind ein Mann mehr, also verstärken wir die Defensivarbeit und versuchen das 0:0 zu halten. Auch das ist uns gelungen, und das reichte dann auch schon für das Weiterkommen.“

Die Mannschaft bezog also ihre Motivation daraus, es allen zu zeigen, weil keiner an sie glaubte…

„…genauso war es.“

Der schönste Moment für Sie bei der WM war aber dann doch der, als Sie mit dem Team im Finale standen und allen zeigen konnten, dass die Tschechoslowakei international mithalten kann, oder?

„Sehr wichtig war vor allem: In der ersten Halbzeit waren wir für Brasilien ein ebenbürtiger Gegner. Die Brasilianer hatten nicht mehr vom Spiel als wir, wir waren genauso torgefährlich wie sie. In der zweiten Halbzeit aber ist etwas passiert, das wir vorher nicht für möglich hielten. Torwart Viliam Schrojf, der einen sehr großen Anteil an unseren vorherigen Siegen hatte, patzte auf einmal. Er bekam zwei dumme Tore, über die man noch bis heute rätselt: Wie konnte er diese Bälle nicht halten?“

Herr Masupost, Sie sind 1931 geboren und sind daher noch in einer Tschechoslowakei aufgewachsen, in der Tschechen, Slowaken und Deutsche gut miteinander lebten. Dann aber kam die Zeit des so genannten Protektorats Böhmen und Mähren. War das für Sie als Fußballer eine verlorene Zeit? War es in dieser Zeit überhaupt möglich, in Ruhe Fußball zu spielen?

„Ich habe damals in Brüx im Sudetengau gewohnt, also nicht im Protektorat Böhmen. Das war natürlich ein Vorteil. In der Schule haben wir nicht allzu viel getan, und wenn wir von der Schule nach Hause kamen, hatten wir sehr viel Zeit, um Fußball zu spielen. Wir warfen die Schulranzen in die Ecke, und solange es nicht stark regnete oder schneite, schnappten wir uns einen Ball, um überall zu kicken, wo es nur möglich war. Gleich am Straßenrand oder auf einer kleinen Wiese, ganz egal, Hauptsache der Ball rollte. Das hat mir sehr geholfen, denn wir spielten oft auf engem Raum, und da kam es darauf an, den Ball gut zu führen und zu behaupten. Das habe ich geschafft.“

Ist das in der heutigen jungen Generation nicht mehr so?

„Das kann man so sehen. Ich denke, dass das Spiel mit dem Ball heute bei den Jüngsten, also den Kindern und Schülern, einfach zu kurz kommt. Sie trainieren viel, aber auch ein hohes Maß an Athletik und Ausdauer. Als kleiner Junge aber braucht man noch keine Ausdauer zu trainieren, das kommt von ganz allein, wenn man größer wird und sich vor allem fußballerisch entwickelt. Auch taktische Sachen kann man später immer noch genügend üben, dann haben die Jungs auch schon den Verstand dafür.“

Wenn Sie auf den heutigen Fußball schauen, was ärgert Sie noch?

Josef Masopust mit Uwe Seeler  (Foto: Jaroslav Plašil,  Tschechischer Rundfunk)
„Heute sehe ich beim Fußball zu wenig Spaß an der Sache. Der heutige Fußball ist für mich ziemlich brutal und unfair. Es wird so hart gegen den Mann gespielt, dass man schon froh ist, wenn man hinterher sagen kann: Gott sei Dank, es hat sich niemand verletzt. Ein Foul, wie es Stephan Hunter in der englischen Premier League am tschechischen Torwart Petr Čech verübt hat, wäre zu unserer Zeit einfach undenkbar gewesen. Das ist für mich der größte Kritikpunkt. Einige Spiele sind wirklich nur Kampf und Krampf pur, und das ist nicht gut für den Fußball.“

Und was sehen Sie dagegen positiv?

„Sehr positiv ist für mich die Spielweise des FC Barcelona. In dieser Mannschaft können alle Spieler sehr gut mit dem Ball umgehen und jeder im Team spielt mit jedem, jeder ist für den anderen da. So, wie es sein soll. Alle Spieler sind in Bewegung, keiner steht nur rum, und auch der Ball läuft gut in den eigenen Reihen. Das macht Barca wirklich sehr, sehr gut.“

Was sagen Sie zum tschechischen Fußball von heute? Vor sechs, sieben Jahren spielte die Nationalelf noch guten Fußball und kam bei der EM in Portugal bis ins Halbfinale. Danach aber ging es stetig bergab. Stimmt Sie das traurig?

„Ja, das stimmt mich traurig. Auf der anderen Seite ist es normal, dass man nicht immer ganz oben ist. Das passiert in anderen Ländern auch, dass es hoch und runter geht wie auf einer Welle. Wir hatten eine sehr starke Mannschaft, als noch Koller, Nedvěd oder Poborský spielten. Jetzt sind sie nicht mehr aktiv, und man muss sehr viel Geduld und Kraft haben, um eine neue starke Mannschaft aufzubauen. Das braucht wirklich Zeit. Doch diese Geduld sollten wir aufbringen und jeder, der für den tschechischen Fußball tätig ist, sollte seinen Beitrag dazu leisten, dass es Stück für Stück wieder aufwärts geht.“

Herr Masopust, Sie sind auch in Deutschland ziemlich populär, zumindest bei den Vertretern der älteren Generation. Man weiß auch, dass Sie sich mit einigen ehemaligen deutschen Nationalspielern sehr gut verstehen. Welche Spieler sind das und kommen einige von ihnen auch zu den Feiern zu ihrem runden Geburtstag?

„Ich war erst in jüngerer Vergangenheit in Hamburg bei Uwe Seeler. Wir haben in Hamburg etwas zusammen für einen Film gemacht, bei dieser Gelegenheit habe ich Uwe zu meinem Jubiläum eingeladen. Später habe ich jedoch erfahren, dass er sich einer Operation unterziehen musste, so dass jetzt nicht sicher ist, ob er zu meiner Geburtstagsfeier kommt oder nicht. Das hängt ganz allein von seinem Gesundheitszustand ab. Aber, und das darf ich hier mal sagen: Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Hans Tilkowski und Wolfgang Overath, alle diese hervorragenden deutschen Fußballer zähle ich zu meinen Freunden. Und bis heute stehe ich mit ihnen soweit in Verbindung, dass wir uns ab und an noch begegnen.“

Josef Masopust  (in der Mitte) mit ehemaligen Mitspielern von Dukla Prag  (Foto: ČTK)
Sind Sie stolz darauf, dass Ihnen der Fußball solche Kontakte ermöglicht hat?

„Selbstverständlich, zu 100 Prozent.“

Wenn Sie als Jubilar einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?

„Ich möchte noch einmal erleben, dass eine tschechische Mannschaft wieder einen internationalen Erfolg landet. Entweder die Nationalmannschaft bei einer EM oder WM oder eine Vereinsmannschaft in der Europa-Liga.“

Autor: Lothar Martin
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