Gedenken an 1969 und Protest gegen Regierung

Foto: Martina Schneibergová

Ein Jahr nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968 gingen die Menschen in der Tschechoslowakei erneut auf die Straße, um gegen die Okkupation zu protestieren. Die Kommunisten griffen damals brutal durch. Dabei wurden Demonstrierende nicht von den Besatzern, sondern von Tschechoslowaken erschossen. Genau daran wurde am Mittwoch in Prag erinnert. Mehrere Tausend Menschen nahmen an einem Umzug durch die Stadt teil, bei dem auch gegen Präsident Zeman und den populistischen Premier Babiš protestiert wurde.

Foto: Martina Schneibergová

Mikuláš Minář  (Foto: Martina Schneibergová)
Aus den Lautsprechern am Wenzelsdenkmal erklangen zuerst die Rundfunknachrichten vom 21. August 1968. Es folgte das Lied mit dem Titel „Taiga-Blues 69“. Die Sängerin und Bürgerrechtlerin Marta Kubišová habe den Song vor 50 Jahren sieben mutigen Russen gewidmet, die auf dem Roten Platz in Moskau gegen die Okkupation der Tschechoslowakei protestiert hatten, erläuterte Mikuláš Minář. Der Theologiestudent ist Begründer des Vereins „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“. Der Verein hat die Kundgebung initiiert.

„Vor genau 50 Jahren fanden an diesem Ort Bürgerproteste statt. Damals griffen tschechoslowakische Sicherheitskräfte durch. Heute sind hier unter uns viele Zeitzeugen. Es ist keine tote Vergangenheit, die Ereignisse betreffen uns immer noch. Wir sind sehr dankbar, dass wir auch dank den Opfern und Bemühungen unserer Vorfahren freie Wahlen haben. Dabei spüren wir jedoch vermutlich alle eine bestimmte Verlegenheit darüber, dass der jetzige Premier ein ehemaliger Stasi-Agent ist, gegen den ermittelt wird und der zudem in einem Interessenskonflikt steht. Unser Staatspräsident verletzt grob die Verfassung. Anstelle der Opfer von 1968 zu gedenken, schweigt er und trifft sich an diesem Tag mit dem Parteichef der Kommunisten. Obwohl die heutige Kundgebung vor allem eine Gedenkveranstaltung ist, kann man nicht so tun, als ob in der Gegenwart nichts Wichtiges passieren würde. Die vergangenen Ereignisse sind immer noch aktuell.“

Foto: Martina Schneibergová
Einige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen schilderten anschließend ihre Erlebnisse von 1969. Unter ihnen war eine Ärztin, die damals in einer Prager Klinik Totenscheine für zwei junge Männer ausfüllen musste. Diese waren von den Volksmilizen erschossen worden. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt und untersucht worden.

Zu den Versammelten sprach auch die ehemalige Fernsehmoderatorin Kamila Moučková. Sie hatte 1968 in den Fernsehnachrichten über den Einmarsch der Okkupanten informiert. Bald danach wurde sie entlassen und erhielt ein Berufsverbot für Medien. Moučková war dann eine der Ersten, die die Charta 77 unterzeichneten und sich der gleichnamigen Bürgerrechtsbewegung anschlossen. Heutzutage lebe man hierzulande viel besser als anderswo in der Welt, sagte die 91-jährige frühere Moderatorin.

Kamila Moučková  (Foto: Martina Schneibergová)
„Aber wie steht es um die Moral, die Gerechtigkeit, die Verantwortung? Wer wird sich darum kümmern? Die Menschen, die wir gewählt haben, sollten sich kümmern, aber sie tun dies nicht. Wir haben einen Staatspräsidenten, der 30 Jahre nach der Samtenen Revolution und 51 Jahre nach 1968 Richtung Moskau und das kommunistische China schaut. Ich habe ernsthafte Befürchtungen, dass sich unser demokratisches System allmählich in eine Diktatur der Professionellen verwandelt, also derjenigen, die Macht haben. Es ist kaum zu glauben, dass die Kommunisten heute sogar die Regierung beraten und überall in hohen Posten vertreten sind. Dies finde ich gefährlich. Lassen wir uns das nicht gefallen!“

Symbolischer Sarg mit den Namen der Opfer von 1969  (Foto: Martina Schneibergová)
Die Teilnehmer der Kundgebung zogen vom Wenzelsplatz zum Sitz der kommunistischen Partei. Vor dem Gebäude stellten sie einen symbolischen Sarg mit den Namen und den Fotos der Opfer von 1969 ab, es folgte eine Schweigeminute. Viele Teilnehmer der Kundgebung zeichneten zudem mit Kreide die Umrisse ihrer Schuhe auf die Straße, um – wie es hieß – „Spuren zu hinterlassen“. Einige schrieben dazu auf dem Gehsteig Bemerkungen wie „Zieht nach Russland auch mit Zeman!“ oder „Ich vermisse Václav Havel sehr!“. Über den Altstädter Ring und die Karlsbrücke ging es dann zur Prager Burg. Am Masaryk-Denkmal auf dem Hradschiner Platz wurde die Kundgebung mit dem Gesang der Nationalhymne beendet.