In Prag wurde der Shoah-Opfer gedacht und vor Antisemitismus gewarnt

Marsch des guten Willens (Foto: Martina Schneibergová)

Gegen Antisemitismus und für mehr Toleranz: Dafür sind Hunderte Menschen am Sonntag in Prag auf die Straße gegangen. Der sogenannte „Marsch des guten Willens“ findet jedes Jahr anlässlich des Yom ha-Shoah – des jüdischen Tags der Shoah und des Heldentums – statt.

Marsch des guten Willens  (Foto: Martina Schneibergová)
Als Kantor Michal Foršt zu singen beginnt, schließen sich auch die übrigen allmählich an. Mit Gesang begaben sich die Teilnehmer des Marsches des guten Willens vom Altstädter Ring durch die Josefstadt in Richtung Kleinseite. Vor dem Rudolfinum blieben sie stehen. Eine Gruppe von Schülern des Konservatoriums führte eine Performance auf, die durch das Buch „Die Mädchen von Zimmer 28“ inspiriert wurde. Es schildert das Schicksal von Mädchen, deren Wege im Zimmer 28 in Theresienstadt zusammenfanden. Von 60 Mädchen haben nur 15 überlebt.

Vom Rudolfinum begab sich der Umzug schließlich in den Waldstein-Garten auf der Kleinseite. An der dortigen Versammlung nahmen auch die Holocaust-Überlebenden Judith Rosenzweig und Evelina Merová teil. Sie waren damals beide im Zimmer 28 in Theresienstadt. Judith Rosenzweig lebt heute in Haifa in Israel.

Judith Rosenzweig  (Foto: Martina Schneibergová)
„Das Zimmer 28 war ein besonderer Raum. Es waren dort immer 30 Mädchen, Jahrgang 1930. Wir haben nie gestritten, wir hatten sehr gute Beziehungen zueinander. Unsere Erzieherin war bemüht, uns möglichst viel beizubringen. Auch wenn wir keine Lehrbücher und keine Hefte hatten, haben wir gelernt. Dies was aber verboten. Immer musste jemand vor der Tür aufpassen und uns rechtzeitig warnen. Es gab dort damals sehr begabte Mädchen, die singen konnten oder kleine Theaterstücke geschrieben haben. Viele von ihnen haben nicht überlebt. Immer wurden einige von uns weggeschickt, Wohin, das haben wir damals nicht gewusst. Dann sind immer wieder neue Mädchen gekommen. Wir haben uns erst in den 1990er wieder gesehen. 15 Frauen nahmen an diesem Treffen teil. Wir waren glücklich über das Wiedersehen.“

An der Versammlung nahmen auch Politiker und Diplomaten teil. Der israelische Botschafter in Tschechien, Daniel Meron, erinnerte in seiner Rede daran, dass der Antisemitismus keine Sache der Vergangenheit ist.

„Er hat nur verschiedene Formen. Im vergangenen Jahr erlebten wir einen dramatischen Anstieg antisemitischer Angriffe und Ausschreitungen in Europa und Nordamerika. Es war das schlimmste Jahr seit der Nazi-Ära.“

Daniel Herman  (Foto: Martina Schneibergová)
Kulturminister Daniel Herman gehört zu den regelmäßigen Teilnehmern der Versammlung.

„Das Treffen findet unter dem Motto ,Mit der Kultur gegen Antisemitismus´ statt. Kultur ist etwas, was uns kultiviert, und Antisemitismus ist etwas Unkultiviertes. Kultur und Toleranz gehören zusammen. Die antisemitischen Ausschreitungen, über die wir in der heutigen Welt oft hören, sind sehr gefährlich. Darum bin ich sehr stolz darauf, dass in Prag eine Plattform für diese Begegnungen geschaffen wurde.“

Die Kundgebung gegen Antisemitismus wurde bereits zum 14. Mal von der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem (ICEJ) in Zusammenarbeit mit weiteren christlichen und jüdischen Organisationen veranstaltet. Mojmír Kallus gehört zu den Initiatoren:

Mojmír Kallus und Daniel Meron  (Foto: Martina Schneibergová)
„Als wir vor 13 Jahren mit den Veranstaltungen begonnen haben, stellten viele die Frage, warum der Antisemitismus im Mittelpunkt steht. Und ob er auch heutzutage wirklich ein Problem in Europa ist. Nach Jahren müssen wir leider feststellen, dass er sogar ein noch größeres Problem geworden ist. Die Tatsache, dass der Antisemitismus in Tschechien nicht so stark ausgeprägt ist wie anderswo, ist vermutlich auf den ersten tschechoslowakischen Präsident T.G. Masaryk zurückzuführen. Er war ein großer Freund der Juden und hat den Antisemitismus an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Es liegt wahrscheinlich nicht in unseren Kräften, den Antisemitismus vollständig zu besiegen. Aber wir wollen erreichen, dass antisemitische und hasserfüllte Äußerungen nicht salonfähig sind.“