Ist man zu weit gegangen? Außenminister Zaorálek kritisiert offenen EU-Arbeitsmarkt

Foto: Europäische Kommission

Mittwoch kommender Woche will die britische Premierministerin, Theresa May, offiziell den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU starten. Mit ein Grund für das Ja der Briten zum sogenannten Brexit sollen auch die Millionen Arbeitnehmer aus dem Osten der EU gewesen sein. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber auch andere Grundsätze der EU, wurden nun vom tschechischen Außenminister Lubomír Zaorálek scharf kritisiert. Mehr von Strahinja Bucan.

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„Wenn Großbritannien auch weiterhin Zugang zum EU-Binnenmarkt haben möchte, muss das Land auch die vier Grundfreiheiten der Union respektieren. Eine davon ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das ist eine der Hauptprioritäten der Tschechischen Republik.“

So formulierte es der tschechische Premier Bohuslav Sobotka (Sozialdemokraten) noch Ende vergangenen Jahres im Zuge der Verhandlungen zum sogenannten Brexit. Und seitdem war dieses Bekenntnis zur Arbeitnehmerfreizügigkeit ein unumstößlicher Grundsatz nicht nur der tschechischen Regierung, sondern auch der Visegrád-Gruppe.

Scheinbar bis jetzt. Denn nun ließ sich der tschechische Außenminister Lubomír Zaorálek in der Tageszeitung Hospodářské noviny folgendermaßen zitieren:

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„Wir sagen, dass wir die Personenfreizügigkeit und andere Prinzipien hochhalten müssen und uns dafür sogar kreuzigen lassen würden, aber im Endeffekt droht, dass die EU wegen dieser Grundsätze auseinanderfallen könnte. Wenn zwei Millionen Menschen aus dem Osten kommen, die Arbeit und Sozialleistungen wegnehmen, dann kann man tausendmal erfolglos versuchen, die eigenen Bürger davon zu überzeugen.“

Man sei insgesamt zu weit gegangen mit der Freizügigkeit, so der Außenminister laut Hospodářské noviny.

Kritik an dieser Aussage kam prompt. Für den tschechischen Vizepräsident des Europarlaments, Pavel Telička, bleibt der offene Arbeitsmarkt unantastbar:



Pavel Telička  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Ich kann überhaupt nicht verstehen, was Außenminister Zaorálek laut dem Zeitungsbericht sagen wollte. Man sei zu weit gegangen? Was ist dann der nächste Schritt? Sollen nun Quoten eingeführt werden in der EU für Arbeitnehmer und insgesamt Menschen? Danach kommen nur noch protektionistische Tendenzen und die Beschränkung des Kapital- und Warenverkehrs.“

Man dürfe die Integrität der EU nicht anzweifeln, so Telicka. Vor allem nicht im Laufe der Verhandlungen zum Brexit. Ähnliches war fraktionsübergreifend ebenso von weiteren tschechischen Inlands- und Europapolitikern zu hören. Auch Premier Sobotka äußerte sich am Montag schriftlich gegenüber der Tageszeitung Pravo, Zitat:

„Eine Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit würde auch unsere Bürger in beispielsweise Deutschland oder Österreich betreffen. Ihr Erhalt ist im nationalen Interesse Tschechiens und der Vísegrád-Gruppe.“

Lubomír Zaorálek  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Minister Lubomír Zaoralek entschärfte seine Aussagen noch am Montagnachmittag. Die Journalisten der Hospodářské noviny hätten ihm die Worte im Mund verdreht:

„Ich war erschrocken darüber, wie die Zeitung getitelt hat. Mir ging es überhaupt nicht um eine Abschaffung der Freizügigkeit. Mir ging es um eine Politik gegen den Import von billigen Arbeitskräften und gegen zwielichtige Arbeitsagenturen. Ich bin gegen Lohndumping und soziale Probleme in den Stadtvierteln, in denen sich diese importierten billigen Arbeitskräfte konzentrieren.“

Bei allen Dementis in diese Richtung blieb Zaorálek aber einem anderen Punkt treu, den die Hospodářské noviny ebenso zitiert hatten. Und zwar der Kritik an der Arbeit von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker:

Jean-Claude Juncker  (Foto: ČTK)
„Juncker ist der oberste Vertreter der Europäischen Kommission. In der letzten Zeit ist es zu sehr unangenehmen Problemen zwischen dem Westen und dem Osten der EU gekommen. Es bestand sogar die Gefahr einer Grabenbildung. Juncker ist aber kein einziges Mal persönlich in den Osten gefahren. Stattdessen gab es zahlreiche Verlautbarungen und Deklarationen, die den Osten als anders und merkwürdig erscheinen ließen.“