Mehr Föderalismus? Ex-EU-Kommissare diskutieren über Zukunft Europas

Foto: MPD01605, CC BY-SA 2.0

Die Europäische Union schliddert in der letzten Zeit von einer Krise in die nächste. Noch nicht klar ist zum Beispiel, wie sich der Rechtsruck in Polen auf die EU auswirken wird. Die Briten wiederum überlegen, ob sie nicht ganz aussteigen sollen aus der Union. Am vergangenen Freitag diskutierten drei ehemalige tschechische EU-Kommissare sowie Außenminister Lubomír Zaorálek über die Probleme und die Zukunft der EU. Initiiert wurde die Podiumsdiskussion, die im Außenministerium stattfand, von der Stiftung „Eiserner Vorhang“ und der „Europäischen Bewegung in Tschechien“.

Lubomír Zaorálek  (Foto: ČTK)
Es war eine ausgesprochen lange Debatte, sie soll der Auftakt sein zu häufigeren Treffen der ehemaligen EU-Kommissare. Rund zweieinhalb Stunden lang harrten Vladimír Špidla und Štefan Füle auf dem Podium aus, während Pavel Telička und Außenminister Zaorálek (Sozialdemokraten) wegen anderweitiger Verpflichtungen schon früher den Saal verließen. In einem stimmten alle Diskutanten überein: Zu viele Menschen, zu viele politisch Verantwortliche hierzulande äußern sich in einer Weise, als ob Tschechien nicht ein Teil der EU wäre. Oder wie Minister Zaorálek sagte: Er sei erstaunt, wie leicht es manch einem in Tschechien fiele, von einem möglichen Zusammenbruch der EU zu sprechen:

Vladimír Špidla  (Foto: Europäische Kommission)
„Es ist interessant, wie häufig ich in Deutschland gehört habe: Wir Deutschen werden keine Chance haben, wenn die EU nicht funktioniert. Mir scheint, als ob in Tschechien entsprechende Aussagen längst nicht so häufig erklingen. Das verstehe ich nicht.“

Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei die Frage, wie handlungsfähig die EU derzeit ist. Vladimír Špidla, von 2004 bis 2010 EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Gleichberechtigung und heute Berater des tschechischen Premiers Sobotka merkte dazu an, dass die Union ein Hybrid sei zwischen einem zwischenstaatlichen Zusammenschluss und einem Bundesstaat.

„Die Erweiterung der EU hat meinem Urteil nach unter anderem den zwischenstaatlichen Aspekt verstärkt – und das hat die Handlungsfähigkeit gemindert.“

Foto: MPD01605,  CC BY-SA 2.0
Das Problem ergebe sich schon daraus, dass ein Staatenverbund mit 28 Mitgliedern schwieriger zu Entscheidungen gelange, als einer mit 15. Daraus folgert der Sozialdemokrat Špidla:

„Die Zukunft sollte dahin führen, das föderale Prinzip zu stärken. Die EU sollte viel mehr als bisher die Fähigkeit erlangen, in bestimmten Bereichen als föderaler Staat aufzutreten.“

Pavel Telička möchte den Föderalismus allerdings nicht zum allgemeinen Prinzip in der EU erhoben sehen. Der erste EU-Kommissar aus Tschechien, zuständig für Verbraucherschutz, ist heute Politiker der Partei Ano und Europaparlamentarier. Telička nannte als Beispiel die deutsche Mindestlohnregelung. Würde sie auf Europa ausgedehnt, wäre dies ein protektionistischer Schritt:

Pavel Telička  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Wir müssen wohl eine sehr differenzierte Debatte darüber führen, was zum Beispiel im sozialen Bereich föderalisiert werden sollte und was nicht.“

Dem hält Stefan Füle entgegen, nationale Lösungen seien in der Regel die schlechtere Wahl. Füle war von 2010 bis 2014 EU-Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik:

„Es ist so ein Grundinstinkt, dass Politiker angesichts einer neuen Herausforderung zunächst nationale Lösungen vorschlagen. Erst danach kommen sie zur Einsicht, dass jegliche nationale Lösung zu Lasten der anderen EU-Mitglieder geht, und sie kehren dann zu dem zurück, was uns verbindet: zu einer europäischen Lösung.“

Die ehemaligen EU-Kommissare zeigten sich zuversichtlich, dass man weiter in Europa in der Lage sein werde, zu gemeinsamen Lösungen zu gelangen.