Wie Jugendliche in Ostberlin revoltierten – Ausstellung in Prag

Foto: Archiv des Museums Lichtenberg

Das internationale Festival gegen Totalitarismus „Mene Tekel“, das seit Montag in Prag stattfindet, konzentriert sich in diesem Jahr auf das Leben Jugendlicher in totalitären Regimen. Das Berliner Museum Lichtenberg zeigt dazu eine Ausstellung über die Revolten der Jugendlichen gegen das SED-Regime. Radio Prag hat mit Thomas Thiele vom Museum Lichtenberg über die Ausstellung gesprochen.

Thomas Thiele  (links) und die Ausstellung über die Revolten der Jugendlichen gegen das SED-Regime  (Foto: Archiv des Museums Lichtenberg)
Herr Thiele, wie ist die Ausstellung entstanden, die nun in Prag gezeigt wird?

„Der Beweggrund war der 25. Jahrestag der friedlichen Revolution. In Lichtenberg haben wir etliche Gruppen von Jugendlichen gehabt, die in den Jahren 1960 bis 1990 Widerstand geleistet haben – oder einfach nur ihren Interessen nachgegangen sind und dann in Konflikt mit den offiziellen Stellen der DDR geraten sind. Dazu gehörten die Beat-Gruppen, die in einem U-Bahn-Tunnel spielten. Sie sind beobachtet und geheimdienstlich erfasst worden. Die Jugendlichen wurden teilweise auch in Arbeitslager oder Erziehungsheime eingeliefert, weil sie sich den Anforderungen der Gesellschaft nicht angepasst haben.“

Foto: Archiv des Museums Lichtenberg
Was ist mit diesen jungen Menschen dann passiert?

„Das Arbeitslager war eine besondere Sache, es lag außerhalb von Berlin und musste später geschlossen werden, weil es sogar mit dem Recht der DDR nicht vereinbar war. Aber es gab natürlich auch Spezialheime für Jugendliche, in denen sie umerzogen werden sollten. Diese Gruppe hat man teilweise auch geheimdienstlich unterwandert.“

Hatten Sie die Möglichkeit, mit jemandem zu sprechen, der damals dabei war?

„Ja, wir haben mit einem von ihnen sprechen können. Er ist hier auch auf dem Titelbild zu sehen. Das ist Michael Schulz, der in diesen Prozessen sehr stark vertreten war und dann den Weg über die Grenze gewählt hat, weil er nicht mehr in der DDR leben konnte und wollte.“

Foto: Martina Schneibergová
War es überhaupt möglich für ihn, zu flüchten?

„Er ist illegal über die Grenze geflüchtet, und zwar über die mährisch-österreichische Grenze. Das Tragische daran war, dass sein Freund Hartmut Tautz an der gleichen Stelle zwei Jahre später zu Tode gekommen ist. Er konnte die Grenze nicht passieren (Hartmut Tautz wurde von den Hunden der tschechoslowakischen Grenzsoldaten zerrissen. Anm. d. Red.).“

Gab es auch weitere Protestformen, die in der Ausstellung dokumentiert werden?

„Ja, wir zeigen sie auf den weiteren Schautafeln. Unmittelbar an unserem Museum – so wie auf dem Foto sieht es heute nicht mehr aus – hat sich ein Jugendklub angesiedelt. Dort wurde zuerst Jugendarbeit gemacht und Kinder betreut. Ganz in der Nähe steht die Erlöserkirche. Sie hat Friedensarbeit geleistet und auch Widerstandsgruppen betreut. Es gab eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Klub und den christlichen Gruppen. Des Weiteren wird in der Ausstellung die damalige Punk-Szene beschrieben. Der Kurator der Ausstellung, Dirk Moldt, ist dort groß geworden. In der Erlöserkirche hat man ihnen einen Unterschlupf geboten. Es gab dort die sogenannten ‚Frühlingsfeste‘. Wir zeigen hier ein Plakat davon. Dort trafen sich Punk-Fans und Musiker und konnten im Freiraum der Kirche sozusagen in ihrer Wirklichkeit leben.“

Die Ausstellung mit dem Titel „Widerspenstig und widerständig – Jugendkultur in Lichtenberg zwischen 1960 und 1990“ ist noch bis zum 3. März im Kreuzgewölbe des Franziskanerklosters bei der Maria-Schnee-Kirche zu sehen. Geöffnet ist sie täglich von 10 bis 18 Uhr, der Eintritt ist frei.

Wie kam es dazu, dass die Ausstellung ins Tschechische übersetzt wurde und nun im Rahmen von „Mene Tekel“ gezeigt wird?

„Im vergangenen Jahr hat es eine Ausstellung vom tschechischen Verein Paměť gegeben. Miroslav Kasáček und Luděk Navara stellten die Ausstellung zusammen. Es handelte sich um die Fluchten an der tschechoslowakisch-deutschen und tschechoslowakisch-österreichischen Grenze. Vorgestellt wurde dabei der Fall von Hartmut Tautz. Im Austausch zeigen wir nun unsere Ausstellung in Prag. Miroslav Kasáček hat es organisiert, dass wir am Festival teilnehmen können.“