Třešť: zwischen Thora und Kafka

Synagoge in Třešť (Foto: Martina Schneibergová)
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Der Duft von Kerzen und Heu, die Heilige Familie im Stall zu Bethlehem und die drei Weisen aus dem Morgenland – dafür kennt man in Tschechien das Städtchen Třešť / Triesch in der Böhmisch-Mährischen Höhe. Denn der Ort ist im ganzen Land berühmt für seine Weihnachtskrippen. Doch nicht nur deswegen ist Třešť einen Besuch wert. Der historische Stadtkern steht unter Denkmalschutz und dort sind noch viele Spuren der ehemaligen jüdischen Bewohner zu finden.

Kirche der Heiligen Katharina  (Foto: Martina Schneibergová)
Um nach Třešť zu kommen, sollte man sich in Jihlava in den Bus setzen. Denn so kommt man schneller dorthin, als mit der Bahn. Nach etwa 20 Minuten Fahrt durch die hügelige Landschaft der Böhmisch-Mährischen Höhe, ist auf der linken Straßenseite auch bereits das Schlossgebäude von Třešť zu sehen. Die Residenz dient heute als Hotel und Kongresszentrum der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Der Bus hält im Stadtzentrum vor der Kirche der Heiligen Katharina. Sie ragt hervor zwischen den jahrhundertealten Häusern der Stadt. Das schmale stille Gässchen Kostelní – zu Deutsch Kirchgasse – schlängelt sich an ihr vorbei, nach ein paar Metern mündet sie in die viel befahrene Hauptstraße. In einem hellblauen und frisch renovierten historischen Haus sind das Infozentrum und das Museum der Stadt untergebracht. Eine Gedenktafel auf dem Gebäude erinnert daran, dass es das Geburtshaus des namhaften Ökonomen und Politikers Josef Alois Schumpeter ist. Das Haus gehörte den Schumpeters bis 1902. Nicht weit davon entfernt steht die Synagoge. Das jüdische Viertel habe im nordwestlichen Teil der Stadt gelegen, erzählt Kateřina Sommerová. Sie leitet das Informationszentrum in Třešť.

Kateřina Sommerová  (Foto: Martina Schneibergová)
„Von der Synagoge, entlang der heutigen Straße Nádražní – das war alles das jüdische Viertel. Gegenüber der Synagoge, wo das unvollendete gelbe Haus steht, geht es durch die schmale Gasse zum sogenannten ,Ziegenplatz‘. Dort wurden früher Ziegen verkauft. Dort in der Nähe stand die Zündholzfabrik, die Samuel de Mayo gegründet hat. Das einstöckige Haus gegenüber der Synagoge wurde einst für die jüdische Schule erbaut.“

Daneben befanden sich das jüdische Rathaus und das Spital. Dort, wo heute das Gebäude des Turnvereins Sokol steht, gab es der Expertin zufolge früher ein Wachtstube. Anfang des 19. Jahrhunderts lebten noch rund 600 Juden in der Stadt. Das waren damals etwa 20 Prozent der Bevölkerung.

Synagoge mit Säulengang

Synagoge in Třešť  (Foto: Martina Schneibergová)
Der Eingang in die Synagoge ist etwas versteckt unter einem Säulengang an der Stirnseite des Gebäudes. Der Hauptsaal der Synagoge ist fast leer, nur rechts unter den Fenstern ist eine Ausstellung zu sehen. Erbaut sei das Gebäude um 1672 geworden, erzählt Kateřina Sommerová:

„Leider wurde sie zweimal bei Bränden stark beschädigt. Zum ersten Mal war das 1824, das zweite Mal 1920. Nach dem ersten Brand wurde die Synagoge innerhalb von einem Jahr wieder eröffnet. Wir wissen leider nicht, wie das ursprünglich im Barockstil erbaute Gebäude ausgesehen hat, wir kennen nur die im Empire-Stil gestaltete Synagoge aus dem 19. Jahrhundert. Bei der Instandsetzung nach dem zweiten Brand wurde der Säulengang vermauert. Eröffnet wurde es wieder erst in den 1990er Jahren. Es soll die einzige Synagoge mit Säulengang in Tschechien sein.“

Synagoge in Třešť  (Foto: Martina Schneibergová)
Ihren Zwecken diente das jüdische Gotteshaus bis 1942. Damals wurden alle jüdischen Bewohner der Stadt ins KZ verschleppt. Neun davon haben überlebt, aber keiner von ihnen kehrte nach Třešť zurück. Nach Kriegsende verkam die verlassene Synagoge, sie wurde nur noch als Lagerraum genutzt. Mitte der 1950er Jahre übernahm die Tschechoslowakische Hussitische Kirche den ehemaligen jüdischen Sakralbau. Sie ist auch heute noch der Eigentümer.

„Die Synagoge dient heute eher der Kultur. Hier werden Konzerte, Vorträge und Ausstellungen veranstaltet. Seit vier Jahren ist hier eine Ausstellung mit dem Titel ,Auf den Spuren der verschwundenen Nachbarn in Třešť‘ zu sehen. Zusammengestellt wurde sie von Schülern aus unserer Stadt und wird seitdem durchgehend ergänzt. Die Jugendlichen führten Gespräche mit Zeitzeugen und forschten in den Archiven. Sie haben eine Menge Informationen über die jüdischen Familien zusammengetragen, die einst in Třešť lebten.“

Schüler auf Suche nach verschwundenen Nachbarn

Foto: Martina Schneibergová
Die Schüler haben inzwischen zwei Bücher über die verschwundenen jüdischen Nachbarn herausgegeben. Sie knüpften zudem Kontakte zu einigen Nachkommen der jüdischen Bewohner der Stadt.

„Dank der Schüler kommen immer wieder Besucher aus den USA, Australien oder Großbritannien, deren Vorfahren aus Třešť stammten. Man kann sagen, dass die Ausstellung die jüdische Geschichte der Stadt wieder in den Fokus gerückt hat und dass sich auch die Bewohner begonnen haben zu interessieren.“

Ein Teil der Originalgegenstände aus der Synagoge befindet sich heute in den Sammlungen der jüdischen Museen in Prag und Brünn. Einige Exponate sind auch im Stadtmuseum in Třešť zu sehen. In der Synagoge selbst können sie wegen der hohen Feuchtigkeit nicht mehr ausgestellt werden. Gegenwärtig werden in der Synagoge archäologische Forschungen durchgeführt. Kateřina Sommerová:

Foto: Martina Schneibergová
„Die Experten denken daran, das Gebäude umzugestalten. Es soll wieder so aussehen, wie nach dem ersten Brand. Inwieweit diese Idee umsetzbar ist, kann ich nicht beurteilen. Das Problem besteht darin, dass die Synagoge nicht der Stadt gehört. Die Stadtvertreter verhandeln mit der Hussitischen Kirche über einen eventuellen Kauf.“

Kafkas Onkel – Arzt und Pionier der Motorradfahrt

Eine enge Beziehung zu Třešť hatte der Schriftsteller Franz Kafka. Als Student verbrachte er oft seine Ferien bei seinem Onkel Siegfried Löwy, der Arzt in Třešť war. Im ersten Stock der Synagoge ist eine kleine Ausstellung über Franz Kafka und seinen Onkel zu sehen. Kateřina Sommerová:

Siegfried Löwy mit seinem Motorrad  (Foto: Martina Schneibergová)
„Es ist beispielsweise interessant, dass Kafkas Onkel als erster Bewohner von Třešť ein Motorrad besaß. Er war ein Pionier der Motorradfahrt. Kafka besuchte ihn in den Jahren 1900 bis 1907. Die Aufenthalte in Třešť haben ihn angeblich zur Erzählung ,Der Landarzt‘ inspiriert.“

In der Ausstellung sind Ansichtskarten sowie Fotografien von Siegfried Löwy und Franz Kafka zu sehen. Auf einem Foto helfen einige Damen Löwy gerade dabei, sein Motorrad in Bewegung zu setzen. Siegfried Löwy soll ein entgegenkommender Arzt gewesen sein. Er war bereit, seinen Patienten auch über seine Pflichten hinaus zu helfen. Löwy habe seinem Neffen Franz Kafka sehr nahe gestanden, heißt es in der Ausstellung.

Foto: Martina Schneibergová
An Kafkas Besuche in Třešť erinnert zudem die Büste des Schriftstellers, die 2001 an dem Haus enthüllt wurde, in dem Doktor Löwy gewohnt hat. Das Haus steht auf der anderen Seite der Roosevelt-Straße, gegenüber dem Schumpeter-Haus. Siegfried Löwy überlebte seinen Neffen sowie dessen Eltern. 1932 verließ er schon als Rentner Třešť und zog nach Prag. Er erlebte die Verfolgung der Juden durch die NS-Besatzer. Kafkas Onkel beging Selbstmord, einen Tag bevor er ins KZ verschleppt werden sollte.


Eine Führung durch die Synagoge in Třešť ist nur mit einem Mitarbeiter vom Infozentrum der Stadt möglich. Dieses ist das ganze Jahr über montags bis freitags geöffnet, und zwar von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis 17 Uhr. Von Juni bis August und im Januar ist das Infozentrum zusätzlich an den Wochenenden besetzt, die Zeiten sind dann von 9.30 bis 12 Uhr und von 13 bis 16.30 Uhr.