Von Rosenkranzperlen zu böhmischem Kristall: Glashütten-Museum Annín

Foto: Archiv von Jitka Lněničková

Am linken Ufer des Flusses Otava liegt Annín / Annathal. Die Geschichte der Böhmerwaldgemeinde ist eng mit der Glashütte verbunden, die dort Ende des 18. Jahrhunderts errichtet wurde. Mittlerweile dokumentiert dort ein Museum die Arbeit der Glasmacher, es wurde im Juni dieses Jahres eröffnet.

Kristallglasfabrik in Annathal damals...
Die Gebäude der Glashütte sind in Annín leicht zu finden, zu erkennen ist der historische Betrieb an seinem hohen Schornstein. Links vom Eingang sind einige der dortigen Produkte ausgestellt. Rechts geht es in das neue Glasmuseum. Die Dauerausstellung hat Jitka Lněničková zusammengestellt. Es habe drei Jahre lang gedauert, die Exponate zusammenzutragen, erzählt sie:

„Glas aus Annín gibt es in der ganzen Welt. Wir haben drei Jahre lang bei Auktionen, in Antiquitätenläden und auf Flohmärkten eingekauft – alles, was einst in Annín hergestellt wurde. Zwei Drittel der Exponate sind im Besitz der Firma, ein Drittel sind Leihgaben von netten Menschen, die Glas aus dem Böhmerwald sammeln. Das Museum wurde in jenem Raum eingerichtet, in dem früher die Glasprodukte poliert wurden.“

Die älteste Glashütte, die in Tschechien noch in Betrieb ist, befindet sich in Harrachov / Harrachsdorf. Offiziell die zweitälteste Fabrik ist eben jene in Annín, gegründet im Jahr 1796. Doch die Tradition der Glasbläserei in dem Böhmerwaldort ist bedeutend älter. Jitka Lněničková:

...und heute  (Foto: Archiv von Jitka Lněničková)
„Wir haben festgestellt, dass es in Annín bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg um das Jahr 1600 eine Glashütte gab. Dort wurden sogenannte ‚pateříky‘ hergestellt, das waren Perlen für die Rosenkränze. Die tschechische Bezeichnung wurde vom lateinischen Ausdruck ‚pater noster‘, also ‚Vater unser‘ abgeleitet. Wir wissen nur, dass es hier eine sogenannte ‚Paterhütte‘ gab, denn die Bezeichnung lässt sich auf alten Landkarten finden. Dies war aber nicht die einzige Tradition, an die in Annín angeknüpft wurde. Eine weitere Glashütte gab es im inzwischen verschwundenen Wunderbach, auf Tschechisch Pěkná. In den 1740er Jahren wurde dort unter anderem luxuriöses Hohl- sowie Apothekenglas produziert. Als ein gewisser Augustin Müller die Genehmigung beantragte, eine Glashütte zu errichten, berief er sich darauf, dass auf seinem Gut in Vatětice / Watetitz bereits Glas produziert wurde. Darum erhielt er damals auch die Erlaubnis.“

Der Glasbetrieb von 1796 wurde sehr großzügig gestaltet. Außer der Hütte selbst gab es auch eine Schleiferei, eine Werkstatt für die Gravur und eine weitere, in der das Glas vergoldet wurde. Der Unternehmer Augustin Müller war nicht mehr so jung, darum verkaufte er sein gesamtes Gut mit dem Betrieb an Baron Jakob Wimmer. Und der neue Eigner verpachtete die Glashütte. Einer der wichtigsten Pächter sei Paul Meyr gewesen, der aus dem östlichen Böhmerwald stammte, so die Kuratorin:

Foto: Archiv von Jitka Lněničková
„Er war damals einer der besten Glastechnologen. Von Kaiser Franz I. wurde er sogar mit einer Medaille für die Erfindung von Rubinglas für die Glastafelproduktion ausgezeichnet. Der Kaiser liebte nämlich gemalte Fenster. Paul Mayr stellte sehr schönes Glas her, das nach Polen, Russland und Sachsen exportiert wurde. Es wurde mit feiner Gravur im Stil des Klassizismus und des Empire verziert. Beispiele von Mayrs Produkten sind bei uns im Museum in der ersten Vitrine zu sehen. Wir wissen jedoch nicht, ob sie wirklich hier oder in einer Glasfabrik von Mayr hergestellt wurden.“

In der Zeit, als Paul Mayr die Glashütte pachtete, erlebte die böhmische Glasproduktion eine Krise aufgrund der Napoleonischen Kriege. Dies wirkte sich auch negativ auf Mayrs Geschäfte aus. In der Hütte wurde ab 1817 immer wieder die Produktion für einige Monate vorübergehend eingestellt. So lief es in dieser Branche damals jedoch überall in Böhmen. Mehr als 60 Prozent aller Glasfabriken wurden der Kuratorin zufolge sogar geschlossen. Das Glaswerk in Annín überstand jedoch diese schwere Zeit.

Foto: Archiv von Jitka Lněničková
„1837 pachtet mit Johann Lötz ein neuer Glasunternehmer die Fabrik. Typisch für die Firma Lötz wird beschichtetes, schön bemaltes Alabasterglas im Stil des Zweiten Rokoko. Die Firma wird bei der Wiener Industrieausstellung sogar für ihre Produkte ausgezeichnet. Nach dem Tod von Johann Lötz im Jahre 1844 führt seine Witwe Susanne die Glashütte weiter. Ihr Pachtvertrag wird aber nach fünf Jahren beendet, und Susanne Lötz geht danach zuerst nach Deffernick und dann nach Klostermühle. Das hiesige Glaswerk wird aber nicht geschlossen, es wird an die Brüder Bloch verpachtet, deren Firma Spiegelglas herstellt. 1863 erwirbt der bedeutende Böhmerwälder Glasunternehmer Josef Schmid die Hütte. Für jeden seiner Söhne kauft er eine Glasfabrik: für einen die Fabrik in Stachau, für den zweiten die Glashütte in Vogelsang, und der dritte Sohn Josef Eduard Schmid bekommt Annín.“

Josef Eduard Schmid war ein junger ambitionierter Unternehmer. Er heiratete Anna Kralik, die Tochter von Wilhelm Kralik, dem die Glashütten in Lenora / Eleonorenhain und in Adolfov / Adolf bei Vimperk / Winterberg sowie weitere Fabriken gehörten. Kralik war die größte Glasfirma nicht nur in Böhmerwald, sondern in ganz Böhmen. Schmid stellte dort auch weiterhin Glasgegenstände im Stil des Zweiten Rokoko her. Zudem fing er an, Silberglas zu produzieren. Aber nicht nur das, erzählt die Kuratorin:

Foto: Archiv von Jitka Lněničková
„Des Weiteren wurde hier Glas hergestellt, für das eine Technik im Stil Venedigs genutzt wurde. Diese Produkte wurden viel nach England exportiert. Heute werden sie dort als ‚Glas aus Venedig‘ verkauft, und niemand ahnt, dass es aus Annín stammt.“

Die Firma Schmid wurde bei den Weltausstellungen in Wien (1873), Philadelphia (1876) und Paris (1878) mit Medaillen für ihre Glasprodukte ausgezeichnet.

Josef Eduard Schmid hatte keinen Sohn. Nach seinem Tod übernahm daher sein Schwiegersohn František Novotný die Firma. Er führte die Kristallglasproduktion ein. Viele Menschen bezeichnen heute eben dieses Glas als typisch für die Glashütte in Annín. Aber es wurde dort erst ab dem 20. Jahrhundert erzeugt. Jitka Lněničková:

Foto: Archiv von Jitka Lněničková
„Im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts wird die Produktion um ein typisches Erzeugnis erweitert: Likörgläser verschiedener Art, geblasen oder geschliffen, die entweder einzeln oder als Garnitur verkauft werden. 1912 beginnt man in Annín zudem mit der Bleikristallproduktion. Das ist damals eine große Neuheit. 1934 übernimmt Novotnýs Schwiegersohn Karl Schell die Führung der Firma. Er ist ein hervorragender Technologe. Dank ihm erhält Annín den zweiten elektrischen Glasschmelzofen in der Tschechoslowakei. Das Glas aus dem elektrischen Schmelzofen ist sehr speziell. Nach dem Krieg 1945 wird die Firma verstaatlicht. Karl Schell darf sie als Deutscher nicht mehr leiten. František Novotný ist damals schon im fortgeschrittenen Alter. Er weiß, dass das Ende der Glasfabrik gekommen ist. Deswegen bringt er seine Glassammlungen und Glasmuster ins Museum in Kašperské Hory / Bergreichenstein, das heutige Böhmerwaldmuseum. Irgendwann in den Jahren 1947 oder 1948, so genau wissen wir das nicht, wird der Betrieb der Glashütte eingestellt. Ab da besteht in Annín nur noch die Glasschleiferei.“

Die Schleiferei wurde seit den 1950er Jahren verschiedenen Staatsbetrieben angeschlossen. Doch weiter bearbeitete man dort sehr anspruchsvolle Aufträge, denn die Handwerker hatten 50 Jahre Erfahrung mit geschliffenem Glas. Gabriel Hájek leitete früher die Glasschleiferei.

„Ich habe hier von 1960 bis in die 1990er Jahre gearbeitet. Ich hatte verschiedene Posten – vom Lehrling bis zum Chef. Wir konnten damals keine Muster nach unserer eigenen Phantasie schleifen, sondern die Dekors wurden vorgeschrieben. Es war alles aber eine sehr präzise Handarbeit. Aus Bleikristall wurden damals kleine Likörgläser, Aschenbecher sowie große Vasen hergestellt. Die größten Vasen, die ich geschliffen habe, waren etwa ein Meter hoch. Das war aber schon nach der Wende, als ich eine kleine Privatfirma gegründet hatte. Ich habe aber auch weiterhin mit der Glasfabrik in Annín zusammengearbeitet. Jetzt konzentriere ich mich mehr auf das Gravieren oder kombiniere die Gravur mit dem Schleifen. Das war hier einst nicht möglich. Ich glaube, die Arbeit mit Glas lässt mich nicht los.“

Bis heute ist in Annín eine Glasschleiferei in Betrieb, auch wenn in beschränktem Umfang. Seit 2012 hat das Glaswerk einen neuen Besitzer: Petr Švrčula. Der junge Unternehmer möchte die frühere Glastradition von Annín wiederbeleben. Auf seine Idee geht auch das Museum zurück. Kommendes Jahr soll die Dauerausstellung noch erweitert werden.

Das neue Glasmuseum in Annín ist täglich geöffnet. Montag bis Freitag sind die Zeiten von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis 17 Uhr. Am Samstag und Sonntag ist das Museum von 9 bis 13 Uhr zugänglich.

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