Liegt Böhmen doch am Meer?

Hamburger Hafen

Böhmen oder Tschechien liegt entgegen der Aussage Shakespeares natürlich nicht am Meer. Aber es hat einen ziemlich direkten Zugang zu den Weltmeeren. Dieser führt über Hamburg und hat eine lange Tradition und auch eine eigene Geschichte. So ist es kein Wunder, daß der Hamburger Hafen in Prag eine Repräsentanz hat. Über die Arbeit dieses Büros und über die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Hamburg und Prag werden wir Sie in der heutigen Ausgabe des Wirtschaftsmagazines informieren. Aus Prag begrüßt Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, am Mikrofon Jürgen Siebeck.

"Der Hamburger Hafen war für die Tschechen immer das Tor zur Welt gewesen."

So stellt, Dipl.-Ing. Bohumil Prusa, der Leiter der Repräsentanz des Hamburger Hafens in Prag mit Freude fest. Im Rahmen des Versailler Vertrages am Ende des Ersten Weltkrieges wurde der neugegründeten Tschechoslowakischen Republik ein Teil des Hamburger Hafens - insgesamt etwa 30 000 qm - zugesprochen. Dieser freie Zugang zum Meer über die Elbe bekam für die Exporte und Importe dieses aufstrebenden Industriestaates eine wichtige Bedeutung. Seit 1929 nutzte die im vorigen Jahr in Konkurs gegangene Elbe-Schiffahrtsgesellschaft CSPL diesen auf 99 Jahre gepachteten Hafenteil um den Saalehafen. Er wurde als Liegeplatz für die tschechischen Binnenschiffe und vor allem für die Zwischenlagerung von Massengütern, besonders Kohle, genutzt. Aber dort findet man auch Werkstätten, Lagerhallen, Speditionen und sogar ein Wohngebäude für tschechische Arbeitskräfte. Über die weitere Zukunft dieses spezifischen Hafengebietes entwickelt sich zur Zeit ein Rechtsstreit, auf den hier nicht weiter eingegangen werden soll.

Herr Prusa ist sich zwar der traditionellen Bindungen zwischen Tschechien und dem Hamburger Hafen bewußt. Im heutigen harten, wirtschaftlichen Wettbewerb der Hafenstandorte spielen historische Beziehungen jedoch nur noch eine sehr untergeordnete Rolle. "Aber jetzt, nach den neuen Trends, spielt dieses Gebiet überhaupt keine Rolle, weil die meisten Trends laufen in Containerverkehre. Das heißt also, die Großumschlagsfirmen, die in Hamburg sind, HHLA oder Eurogate, spielen jetzt die wichtigste Rolle für die tschechischen Partner, was den Umschlag betrifft."

Der Anteil des Containerverkehres im Stückgutumschlag liegt in Hamburg bei etwa 95% und das Containergeschäft weist deutlich höhere Wachstumsraten auf als die Massengüter.

"Wichtig für unsere Kunden hier in der Tschechische Republik ist, wie schnell kann man den Container Richtung Hafen befördern und selbstverständlich, wieviel das kostet."

Nach Herrn Prusa habe Hamburg hier einen großen Vorteil, weil es näher zu den Kunden liege und zudem beste Verbindungen per Schiene mit dem Hinterland anbieten könne.

"Die Containerzüge, die regelmäßigen Blockzüge, laufen, ich würde sagen, 10 mal, 8 mal pro Woche. Und die sind voll in Richtung Hamburg und sind umgekehrt zwischen Hamburg-Prag auch richtig ausgelastet. Regelmäßige Verbindungen, diese Containerzüge, spielen eine riesige Rolle in diesem Konkurrenzkampf. "

Die wichtigsten Häfen mit denen Hamburg im Wettbewerb liegt, sind aus tschechischer Sicht Rotterdam, Bremen, die polnischen Häfen und die Häfen an der Adria. Die Bedeutung vom Rostocker Hafen ist nach der Wende zurückgegangen.

"Hamburg ist der tschechischen Overseas-Hafen. Er spielt die wichtigste Rolle. Ich schätze, daß ungefähr die Hälfte vom tschechischen Überseegeschäft, ich meine hier Export und Import, über Hamburg läuft. Der tschechische Export/Import pro Jahr über Hamburg ist ungefähr eineinhalb Millionen Tonnen." Dabei handelt es sich nach Herrn Prusa im Import nach Tschechien vor allem um Konsumgüter aus dem Fernen Osten und im Export um Maschinenteile aus Tschechien für den überseeischen Markt. Mit der viel besungenen Hafenromantik hat das moderne Cargo-Geschäft kaum noch etwas zu tun. Es geht um einen schnellen Umschlag der Ladung, denn das Schiff verdient nur Geld, wenn es fährt. Ein Schiff mit bis zu 8000 Containern wird in Hamburg im neuen Container Terminal Altenwerder in wenigen Stunden ent- und neu beladen. Das geht nur mit Automatisierung, Fernsteuerung und modernster Technik.

"Die Linienverkehre, die laufen schon wie die Straßenbahn. Die Schiffe kommen fast punktgenau auf die Minute in den Hamburger Hafen. Also das ist wirklich wie ein Schweizer Uhrwerk. Wenn ich jetzt zum Beispiel den Transport von Yokohama bis Prag nehme: die Schiffe schaffen den Hafen Hamburg sogar in 12 Tagen und der Container ist von Hamburg nach Prag mit den regelmäßigen Containerzügen binnen zwölf Stunden hier. Meistens sind die Probleme hier von Prag zu dem Empfänger, wenn hier die Staus zum Beispiel auf den Autobahnen sind innerhalb der Tschechischen Republik."

In Prag, Mähren und der Slowakei stehen Containerterminals zum Weitertransport der Waren im Lande bereit. Herr Prusa gibt auch einen Überblick über die Aufteilung aller Transporte über den Hafen Hamburg nach den einzelnen Transportmitteln.

"Rundum kann man sagen, daß die Elbeschiffahrt von und nach Hamburg ungefähr zwischen 10- 20 % der gesamten Menge transportiert. Der größte Teil wird auf der Schiene transportiert, das heißt also über die Schiene haben wir ungefähr 50-60 %."

Der Rest komme über die Straße. Beim Transport über die Elbe handele es sich vorwiegend um Massengüter, vor allem Getreide und Futtermittel, deren Transportmenge mit den Ernteerträgen und Preisen auf den Weltmärkten schwanke. Die Elbe kann wegen wechselnder Wasserstände oder wegen Eisganges nur an etwa 200 Tagen im Jahr zum Transport genutzt werden. Da man aber die Elbe als wichtigen und vor allem ökologischsten Transportweg ansehe, setze sich Hamburg auch politisch für einen raschen, weiteren Ausbau der Elbe ein. Dies führt nach Aussage von Herrn Prusa manchmal jedoch zu Konflikten mit den unterschiedlichen Interessen bei Umweltschützern.

Doch zurück zu den Aufgaben der Repräsentanz des Hamburger Hafens in Prag: Es war das erste Verbindungsbüro eines westeuropäischen Hafens in der tschechischen Hauptstadt. Bei den Gründen, die zur Eröffnung des Büros geführt haben, spielten sicherlich die anfangs erwähnten, besonderen traditionellen Beziehungen eine Rolle. Das Hauptziel heute ist, ideale Rahmenbedingungen zu schaffen, so daß möglichst viel Volumen des Seetransportes aus Tschechien über den Hafen Hamburg läuft. Dazu zählen natürlich auch die Analyse der Märkte, die Beobachtung des Wettbewerbes, der Trends der wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Politik und Wirtschaft.

"Wir sind hier schon seit über zwölf Jahren. Und am Anfang haben wir bestimmte Missionararbeit geleistet. Wir unternehmen Workshopseminare für die tschechischen Kunden. Wir machen kleine Präsentationen in verschiedenen Orten in der Tschechische Republik oder wir nehmen unsere wichtigen Kunden nach Hamburg."

Heute sind mit den großen europäischen Häfen alle wichtigen Mitbewerber um die Transportströme auch hier in Prag vertreten. Die hiesigen Niederlassungen der bedeutenden internationalen Reedereien und Speditionen sowie die tschechischen Transportunternehmen sind wichtige Ansprech- und Kooperationspartner für die Repräsentanz des Hamburger Hafens. Es gehe nicht mehr nur um Quantität, sondern vielmehr um die Qualität in der Betreuung der Kunden - auch angesichts der erwarteten Intensivierung der wirtschaftlichen Kooperation und des Warenaustausches durch den EU-Beitritt Tschechiens.

Die Repräsentanz des Hamburger Hafens versteht sich zwar vornehmlich als Vertretung der Interessen der Hafenwirtschaft in Tschechien und auch der Slowakei. Seit 1990 existiert aber darüber hinaus auch eine Partnerschaft zwischen den Städten Prag und Hamburg. Durch die zusätzliche Städtepartnerschaft Hamburgs mit Dresden bietet sich für Prag, die Elbregion und die Elbschiffahrt eine weitere, interessante Möglichkeit der Zusammenarbeit. Nach dem Einzug in die neuen Räumlichkeiten im Prager Stadtteil Karlín sei nach Herrn Prusa das Hafenbüro ein Kristallisationspunkt für das Hanse-Trade-Center geworden, in dem sich nicht nur Hamburger Firmen präsentierten oder ihre Niederlassung nähmen. Es werde sich so auch ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der Begegnung zwischen Prag und Hamburg entwickeln.

"Unsere Aufgabe oder unser Wunsch ist, daß sich die Kontakte zwischen Hamburg und Prag auf immer besserem Niveau weiterentwickeln."

Mit diesem Wunsch von Herr Prusa beenden wir unser heutiges Wirtschaftsmagazin. Aus Prag verabschiedet sich mit einem hanseatisch-tschechischen "Ahoi" Jürgen Siebeck.

Autor: Jürgen Siebeck
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