Der Weltbankökonom Stiglitz zur tschechischen Wirtschaftsreform

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Nach der Schlacht ist jeder ein General, sagt das Sprichwort, und dies trifft zweifellos auch und besonders auf die tschechische Wirtschaftstransformation zu. Denn für die Umgestaltung der Wirtschaft von einem plan- auf ein marktwirtschaftliches System gab es zum Zeitpunkt, als in Ostmitteleuropa der Kommunismus zusammenbrach, keine Erfahrungen. Die Transformation in Ländern wie Tschechien, der Slowakei, Polen, Ungarn und anderen hatte deshalb nach dem System Versuch und Irrtum zu erfolgen. Irrtümer sind erfolgt, und wenn es auch rückblickend einfach ist, diese als solche zu erkennen, so besteht die Aufgabe jetzt darin, die entsprechenden Lehren daraus zu ziehen. Da die verschiedenen Länder unterschiedliche Wege eingeschlagen haben, sind auch Vergleiche möglich, welcher Weg besser war, und welcher im Gegenteil Probleme heraufbeschworen hat. Der amerikanische Wirtschaftsprofessor Joseph E Stiglitz, früher Vizepräsident der Weltbank und auch Berater von US-Präsident Bill Clinton, äusserte sich in einem Gespräch für die Tageszeitung Mlada Fronta dnes zu einigen Problemen der tschechischen Wirtschftstransformation. Wir bringen nachfolgend Auszüge aus dem Interview und wünschen dazu guten Empfang.

Die erste These von Professor Stiglitz im Gespräch mit der Zeitung Mlada Fronta dnes klingt provokativ, umso mehr, als das gleiche Argument ab und zu auch von den Kommunisten zu hören ist. Es lautet nämlich, dass die Wirtschaftsleistung heute, elf Jahre nach Transformationsbeginn, ungefähr gleich hoch ist wie zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Sozialismus. Und was sagt Stiglitz zum Einwand, dieser Vergleich sei unfair, weil damals die Wirtschaftsleistung aus der Produktion von nicht konkurrenzfähigen Erzeugnissen sowie Beton und Stahl auf Halde bestanden habe?

Das sind zwei Sachen. Einerseits muss unterstrichen werden, dass die Reform schwierig war. Es mussten neue Märkte gefunden werden. Aber wichtig ist auch, was mit dem Einkommen der Bevölkerung geschehen ist. Und dieses hat sich nicht verbessert. Alle postkommunistischen Länder hatten Probleme mit der Transformation. Ihr hattet dazu eine gute Ausgangsposition, aber das Einkommen ist in anderen Ländern mehr gewachsen. Es ist eine Frage, ob die Transformation hier hätte erfolgreicher und weniger schmerzhaft ablaufen können, und ich glaube, dies wäre möglich gewesen.

Als eines der Hauptprobleme der tschechischen Wirtschaftstransformation bezeichnete Stiglitz die tschechische Sondermethode der Privatisierung, die sogenannte Couponmethode. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass diese Methode zur Zeit, als sie implementiert wurde, von vielen Fachleuten als revolutionär bezeichnet wurde, wenn es auch schon damals kritische Stimmen gab. Dazu Stiglitz:

Die Couponprivatisierung kann kaum als grosser Erfolg bezeichnet werden. Das ist heute vielen Leuten klar, und ich glaube, es war auch schon 1992 vielen Leuten klar. Denn schon damals konnte niemand sagen, wie die Aufsicht über dem entstehenden Kapitalmarkt funktionieren wird. Es wurde gesagt, dass man gute Gesetze haben müsse und das übrige der Markt regeln werde. Ich behaupte, dass der Markt nicht alles löst, vor allem nicht die Tendenz der Leute zu unmoralischem Verhalten, und darauf habe ich schon 1992 hingewiesen. Das Grundprinzip besteht darin, dass die Leute stehlen, so lange es für sie einfacher ist, mit Stehlen reich zu werden statt mit ehrlicher Arbeit. Das Schlüsselproblem ist, dass es in einer Reihe von Transformationsländern zu Beginn der Reformen einfacher war, zu stehlen als zu arbeiten. Mit dem Ergebnis, dass viele Leute ihre kreative Energie darin investierten, auf unehrliche Weise reich zu werden. Ich sage damit nicht, dass alle stahlen, aber es war interessant zu beobachten, auf welche Weise die Leute reich wurden. Und oft waren es nicht einmal Wege jenseits des Gesetzes. Positiv ist aber, dass in vielen Ländern die Respektierung des Rechts gebessert hat und auch ein Bewusstsein entstanden ist, dass es wichtig ist, gute Gesetze zu haben.


Ein weiterer Kritikpunkt des amerikanischen Ökonomen Stiglitz an der Couponprivatisierung lautet, dass sie nicht das so dringend benötigte Kapital und Knowhow in die Wirtschaft respektive die einzelnen Unternehmen gebracht habe. Den Einwand, dass aus politischer Rücksicht vom Ausverkauf des industriellen Familiensilbers abgesehen worden sei, will Stiglitz nicht gelten lassen und führt dazu das Paradebeispiel einer gelungenen Unternehmensprivatisierung in Tschechien an - den Fall Skoda Auto. Stiglitz weiter:

Über den Erfolg dieser Privatisierung bestehen keine Zweifel. Und dieses Beispiel hätte viel mehr Nachahmung finden sollen. Die Politiker hätten es in der Hand gehabt, eine Atmosphäre mitzugestalten, die ausländische Investitionen begünstigt hätten. In Ungarn sagten die Politiker - wir sind etwa gleich gross wie Belgien, dort sind die meisten Unternehmen unter ausländischer Kontrolle und nichts deutet darauf hin, dass Belgien kein souveränes Land wäre. Im Gegenteil, die Souveränität wächst mit der Wirtschaftskraft. Die hiesigen Politiker hätten sagen müssen - wir verstehen die Bedenken, doch wir haben keine andere Wahl. Hier hat niemand Geld genug, um die Unternehmen zu kaufen. Kaufen können sie nur diejenigen, die Bankkredite bekommen. Und die Banken sind staatlich und verstehen es nicht, richtig zu entscheiden, wem Geld geliehen werden soll und wem nicht. Also leiht der Staat Geld den mit ihm verbandelten Leuten, und das führt zur Korruption. In Polen, Ungarn und Slowenien haben sie einen anderen Weg eingeschlagen und damit bessere Ergebnisse erzielt.

Von der Vergangenheit in die Zukunft. Die ersten Transformationserfolge erzielte Tschechien - wie viele andere ostmitteleuropäische Länder auch - als Produktionsstandort mit tiefen Lohnkosten im Vergleich zu Westeuropa. Allerdings sind Länder in Südostasien und Asien daran, den Ostmitteleuropäern hier den Rang abzulaufen. Als Billiglohnland sind etwa China und Vietnam für die Produktion westlicher Konsumgüter attraktiv geworden. Und laut dem amerikanischen Ökonomen Stiglitz wäre es sogar sehr schade, wenn sich Tschechien mit seinem guten Ausbildungssystem und seiner qualifizierten Arbeitskraft als Billig-Produktionsland auf dem Weltmarkt quasi unter Preis verkaufen würde. Er meint:

Das Beispiel Irland zeigt, dass ein gutes Schulsystem und der Beitritt zur Europäischen Union grosse Fortschritte gebracht haben. Auch die Tschechische Republik hat eine sehr gut ausgebildete Arbeitskraft, und hoffen wir, dass das Land ebenfalls auf die Europäische Union zusteuert. Das heisst, das Potenzial ist riesig. Aber es gibt Statistiken, die sagen, dass gebildete Leute in Tschechien sehr schlecht bezahlt sind, sowohl Wissenschaftler wie auch Facharbeiter. Es macht für Tschechien aber wenig Sinn, sich in der Welt als Billiglohnland durchsetzen zu wollen und etwa China zu konkurrenzieren. In Europa hat Tschechien die Chance, mit seiner ausgebildeten Arbeitskraft konkurrenzfähig zu sein. Die Integration in die High-Tech-Welt geht aber nicht ohne Integration in die globale Wirtschaft. Und damit kommen wir zum Punkt zurück, dass man ohne ausländische Investitionen nicht bestehen kann. Das hätte gleich von Beginn an die Strategie sein sollen. Das ursprüngliche Problem bestand im Mangel an moderner Technologie und fehlenden Absatzmärkten. Damit kommen wir zum grundsätzlichen Dilemma der frühen 90er Jahre zurück und zu einem weiteren Argument gegen die Couponprivatisierung. Der Verkauf von Unternehmen an ausländische Investoren war die einzige Möglichkeit, diese Probleme zu lösen.

Soweit auszugsweise das Gespräch des amerikanischen Wirtschaftsprofessors Joseph E. Stieglitz für die tschechische Tageszeitung Mlada Fronta dnes.

Autor: Rudi Hermann
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