Droht Tschechien wieder eine Wirtschaftskrise?

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Wiederholt sich die Krise vom Jahr 1997, als Tschechien aus einer Phase schnellen Wachstums in schwere Finanzprobleme stürzte, die eine schmerzhafte Sparpolitik nötig machten? Das wachsende Defizit des Aussenhandels, zusammen mit der Ausgabenfreudigkeit der Regierung im Haushaltsbereich, wecken zurzeit bei Analytikern solche Befürchtungen. Doch 2001 ist nicht 1997, strukturell ist die tschechische Wirtschaft heute in einer anderen Situation als vor vier Jahren. Wo die Gemeinsamkeiten liegen und wo im Gegenteil die Unterschiede, und was daraus geschlossen werden kann, ist Gegenstand der folgenden Minuten, zu denen ich guten Empfang wünsche.

Ein Aussenhandelsdefizit von 19 Milliarden Kronen, mehr als einer Milliarde Mark, im Juli hat die tschechischen Wirtschaftsanalytiker aufgeschreckt. Erwartet wurden nämlich etwa 10 Milliarden, also nur fast die Hälfte des errechneten Betrags. Von Januar bis Juli kam damit schon ein Fehlbetrag von 72 Milliarden Kronen zusammen, und für das ganze Jahr wird mit einer Summe von 130 bis 140 Milliarden gerechnet. Diese Höhe weckt unangenehme Erinnerungen an 1997. Damals führten aus dem Ruder gehende Defizite von Leistungsbilanz und Haushalt, unter Fachleuten Zwillingsdefizit genannt, zur Notwendigkeit einschneidender Sparmassnahmen. Diese, wie bekannt, drehten der tschechischen Wirtschaft die Luft ab und beendeten den Traum von einem Wirtschaftswunder, mit dem die Reformbemühungen gekrönt würden. Aus der damals einsetzenden Rezession hat sich Tschechien eben erst gerade erholt, und schon droht der nächste Absturz am Horizont. Denn auch jetzt droht wieder ein Zwillingsdefizit, weil sich die Regierung nicht eben sparfreudig zeigt. Dass das Defizit der öffentlichen Finanzen zum Schlüsselproblem der tschechischen Wirtschaft zu werden droht, davor warnen Experten schon längere Zeit. Gesellt sich nun eine erkleckliches Aussenhandelsdefizit dazu, das damit auch zu einem bedeutenden Leistungsbilanzdefizit führt, so hat Tschechien ein ökonomisches Problem.

Direkt vergleichbar ist die Situation von heute mit der Lage von 1997 allerdings nicht. Die tschechische Wirtschaft befindet sich sowohl hinsichtlich ihrer inneren Struktur wie auch der äusseren Lage in einem anderen Umfeld als damals. 1997 war die Währung noch nicht vollkommen freigegeben, sondern bewegte sich in einem Fluktuationskorridor. Zwar kam dessen Breite einer faktischen Freigabe gleich, denn seit der Währungsfreigabe vom Frühling 1997 hat die Krone kaum mehr als im damaligen Korridor fluktuiert. Als das Band allerdings noch sehr eng gewesen war, hatte die damit verbundene Absicherung gegen Fluktuationsrisiken spekulatives Kapital in grösseren Mengen angezogen, dessen Abfluss Probleme verursachen konnte. Heute ist dies nicht mehr der Fall, da die Krone freigegeben ist und seitens der Investoren zunehmend ein Interesse an langfristigen Anlagen und nicht kurzfristigen Spekulationsgewinnen zu erkennen ist.

Im Gegensatz zu 1997 sind dafür die Probleme mit dem Defizit der öffentlichen Finanzen wesentlich grösser. Und auch das internationale Wirtschaftsumfeld präsentiert sich weniger günstig. Tschechien hat eine deutlich exportorientierte Wirtschaft, deren Wohlergehen in grossem Mass von den Ausfuhren abhängig ist. Zu einem Zeitpunkt, da sowohl die USA wie auch die Euro-Zone einer Abflachung ihres Wirtschaftswachstums entgegensehen, kann von dieser Seite keine Schützenhilfe zur Überwindung der eigenen Probleme erwartet werden. Bei anhaltenden Finanzproblemen ist mit Druck auf die tschechische Krone zu rechnen, der in eine Abwertung münden könnte, die Importe verteuert und damit auf die erst gerade sich erholende Kaufkraft der Bevölkerung drückt. Nach Bekanntgabe des ungünstigen Aussenhandelsergebnisses für den Monat Juli folgte prompt die Quittung an den Finanzmärkten. Denn die Krone gab gegenüber dem Euro nach und sank auf den tiefsten Stand seit Mitte Mai.

Bleiben wir noch einen Moment bei den Unterschieden in der Ausgangslage von 1997 und 2001. Vor vier Jahren hatte der tschechische Unternehmenssektor einen grossen Restrukturierungs- und Effizienzsteigerungsschub immer noch vor sich, da dieser Bereich bisher vernachlässigt worden war. Begünstigt worden war dies durch die Verzögerungen bei der Privatisierung der ehemals staatlichen Grossbanken, die allzu oft mit defizitären Grossbetrieben verbandelt waren oder auf politischen Druck diese am Leben erhielten. In dieser Hinsicht hat sich vieles verändert. Heute sind die Banken privatisiert, und es ist nicht mehr zu erwarten, dass sie auf Grund anderer als leistungsorientierter Kriterien entscheiden. Unter dem Druck der Effizienzsteigerung haben sich viele Unternehmen restrukturiert und eine bessere Produktivität erreicht, was sich nicht zuletzt auch in der Struktur des tschechischen Exports niederschlägt. Dieser wird zunehmend von Produkten hohen qualitativen und technologischen Werts geprägt.

Darin liegt allerdings gerade auch wieder ein Problem. Der tschechische Export wird zu rund 10% von einem einzigen Unternhemen bestritten, der Automobilfabrik Skoda Mlada Boleslav. Doch ist die Automobilindustrie ein Sektor, der sehr empfindlich auf die Verschlechterung des konjunkturellen Klimas reagiert. In diesem Sinne kommt die Konjunkturabflachung in Westeuropa und den USA dem tschechischen Export höchst ungelegen. Der Finanzanalytiker Jan Filacek erklärte gegenüber der Tageszeitung Mlada Fronta dnes, jetzt zeige sich, wie sehr die Tschechische Republik mit Deutschland, ihrem grössten einzelnen Handelspartner, verbunden sei. Hinter dem hohen Aussenhandelsdefizit verberge sich nämlich vor allem ein Rückgang des Automobilexports, namentlich nach Deutschland, da sich dort die Konjunkturentwicklung verlangsame.

Der Chefökonom der Komercni Banka, Kamil Janacek, verwies jedoch gegenüber der gleichen Zeitung darauf hin, dass die Struktur der Importe, die zur Steigerung des Aussenhandelsdefizits beitrügen, heute eine andere sei als 1997. In der Tat wurde damals das Importwachstum durch das inländische Wirtschaftswachstum und damit die Zunahme der Kaufkraft der Bevölkerung und, als Folge, die erhöhte Nachfrage nach Konsumgütern getragen, wobei die einheimische Industrie nur schlecht in der Lage war, ausländischen Konkurrenzerzeugnissen die Stirn zu bieten. Heute hingegen verbergen sich hinter den Einfuhren vor allem Technologieimporte, die den inländischen Firmen mittelfristig helfen werden, ihre Produktivität sowie die Qualität und Konkurrenzfähigkeit ihrer Erzeugnisse zu steigern. Kann damit eine Ankurbelung des Exportes erwartet werden, so wird dies allerdings etwas zeitverschoben eintreten.

Die Einschätzung der heutigen Lage fällt deshalb nicht leicht. Unter Experten herrscht die Ansicht vor, die Probleme im Aussenhandelssektor seien trotz der bedrohlichen Entwicklung des Defizits weniger schwer als 1997, die Entwicklung des Defizits der öffentlichen Finanzen gebe aber im Gegenteil Anlass zu mehr Befürchtungen. Umso mehr, als die sozialdemokratische Regierung weniger als ein Jahr vor den nächsten Wahlen wohl kaum zu einer unpopulären Sparpolitik greifen dürfte.

Autor: Rudi Hermann
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