Trendwende: Deutsche Sprache in tschechischer Wirtschaft und Bevölkerung mehr denn je gefragt

Nach dem EU-Beitritt von zehn Staaten aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa im Jahr 2004 galt die Tschechische Republik mehrere Jahre als das wirtschaftlich attraktivste Land unter den neuen EU-Mitgliedsstaaten. Die direkte Nachbarschaft zu Deutschland und Österreich machte Tschechien zudem für Firmen dieser beiden Länder besonders interessant. Der Standortvorteil, den Tschechien durch seine zentraleuropäische Lage zweifellos besitzt, wird nun aber immer mehr von deutlich hervortretenden Defiziten überlagert. Eines davon ist die mangelhafte Qualifikation vieler Arbeitnehmer in Tschechien. Nicht ausreichend oder oft nur einseitig vorhanden sind besonders Sprachkenntnisse. Dieses Problem müsse man schnellstens lösen, sind sich das Ministerium für Industrie und Handel sowie führende Wirtschaftsinstitutionen und -unternehmen im Lande einig.

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Der größte Arbeitgeberverband in Tschechien, der Verband für Industrie und Verkehr (SP ČR), hat der Regierung von Premier Nečas gleich nach ihrem Amtsantritt im vergangenen Jahr einen Zehn-Punkte-Katalog mit Forderungen vorgelegt, um die Konkurrenzfähigkeit der tschechischen Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Eine diese Forderungen hieß: Moderne Ausbildung. Zu den wichtigsten Fähigkeiten, die ein gut ausgebildeter Facharbeiter oder Ingenieur heutzutage auf dem globalisierten Arbeitsmarkt mitzubringen hat, gehören Sprachkenntnisse. Die werden an tschechischen Schulen fraglos vermittelt, allerdings tendenziell sehr einseitig, bemerkt Milan Mostýn vom Verband für Industrie und Verkehr:

Milan Mostýn  (Foto: S. Černoch)
„Es gibt sogar die Tendenz, das Schulministerium der Tschechischen Republik wolle den Vorschlag unterbreiten, dass Englisch die einzige Fremdsprache wird, die als Pflichtfach zu erlernen sei. Wir als Verband für Industrie und Verkehr sind jedoch dafür, dass in Tschechien auch andere Fremdsprachen erlernt werden müssen. Zuallererst aber besonders Deutsch, weil diese Sprache für uns als Exportnation sowie für unsere Investoren sehr wichtig ist.“

In Tschechien braucht man Arbeitnehmer mit internationalen Sprachkenntnissen aus zwei ganz offensichtlichen Gründen: Zum einen ist die hiesige Wirtschaft ausgesprochen exportorientiert, zum anderen halten ausländische Investoren 57 Prozent des Kapitals tschechischer Firmen in ihren Händen. Unter den Wirtschaftspartnern ist Deutschland mit einem Exportanteil von fast 30 Prozent klar die Nummer eins für Tschechien. Auch Österreich, wohin 3,5 Prozent der tschechischen Ausfuhren gehen, ist als siebtgrößter Exportpartner von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Auf dem tschechischen Markt selbst sorgen die mehr als 4000 deutschen Firmen sowie die rund 1800 österreichischen und 200 schweizerischen Unternehmen neben ihrer Wertschöpfung auch für weit über hunderttausend Arbeitsplätze, betont der Geschäftsführer der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer, Bernard Bauer. Das Interesse von Firmen aus den deutschsprachigen Ländern, auch in Tschechien in ihrer Muttersprache kommunizieren zu können, ist daher groß, wie Milan Mostýn bestätigt:

Bernard Bauer
„Die Nachfrage kommt auch aus Deutschland. Besonders die mittleren und kleineren Firmen unseres Nachbarlandes haben ein Interesse, mit tschechischen Unternehmen der gleichen Größenordnung in deutscher Sprache zu kommunizieren. Wenn die mittleren und kleineren tschechischen Firmen dann nicht über genug Manager oder Mitarbeiter verfügen, die Deutsch können, gibt es natürlich zu einer bestimmten Diskrepanz.“

Diese Diskrepanz hat auch das tschechische Ministerium für Industrie und Handel längst bemerkt. Im Jahr 2000, als es das Programm zur Unterstützung technologischer Zentren für strategische Entwicklung auflegte, ging es dabei in erster Linie jedoch nur um finanzielle Gesichtspunkte. Jetzt aber sehe man die Notwendigkeit, tschechische Firmen auch anders fördern, sagt der leitende Mitarbeiter des Ministeriums, Marian Piecha:

Marian Piecha  (Foto: CzechInvest)
„Jetzt sehen wir bereits, dass es nicht mehr reicht, nur Investitionsanreize oder eine gute Infrastruktur zu schaffen, sondern das Hauptproblem der Tschechischen Republik hat sich in Richtung Bildung verschoben. Für viele Firmen ist es ein Problem geworden, qualifizierte Mitarbeiter zu finden.“

In seinem Strategiepapier zur internationalen Konkurrenzfähigkeit der tschechischen Wirtschaft wird dem Faktor Bildung und fachgerechte Qualifikation daher auch ein sehr großer Stellenwert beigemessen, versichert Piecha:

„Wir vom Ministerium werden viel Lobbyismus für eine Erhöhung der Angebote im Bereich der Ausbildung und Qualifizierung von Arbeitskräften in der Wirtschaft betreiben. Wir setzen dabei sowohl auf eine fachgerechte Ausbildung als auch auf den Erwerb von Sprachkenntnissen im bilateralen Geschäft.“

Bei der Aneignung von Fremdsprachenkenntnissen ist das Erlernen der deutschen Sprache hierzulande mehr denn je gefragt. Das ergab zum einem eine Umfrage, die die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer (DTIHK) erst kürzlich veröffentlicht hat. An ihr nahmen 222 in Tschechien ansässige Firmen mit hauptsächlich deutscher oder österreichischer Beteiligung teil. Ihre Antworten ergaben ein eindeutiges Bild: Knapp 95 Prozent der befragten Firmen halten Deutschkenntnisse für wichtig, drei Viertel sogar für sehr wichtig. Englischkenntnisse spielen dagegen nur für knapp die Hälfte der Firmen eine sehr wichtige Rolle.

Heike Uhlig
Zu einem ähnlichen Ergebnis – wenn auch in umgekehrter Reihenfolge – kam eine vom Goethe-Institut Prag in der tschechischen Bevölkerung gemachte Umfrage. Institutsmitarbeiterin Heike Uhlig sagte dazu gegenüber Radio Prag:

„Das war eine repräsentative Umfrage in Tschechien, und da haben 77 Prozent gesagt: ´Deutsch ist wichtig für den Beruf´. Insgesamt haben natürlich die meisten der Befragten geäußert, dass ihre Kinder zunächst Englisch lernen werden. In etwa 70 Prozent aber haben eindeutig gesagt: ´Deutsch als zweite Fremdsprache ist uns sehr wichtig´.“

Das Überraschende, was diese Umfrage zu Tage gefördert hat, aber seien weniger die nackten Zahlen gewesen als vielmehr die hauptsächliche Begründung, die die Tschechen für ihr Deutschinteresse angegeben hätten, bemerkt Heike Uhlig:

„Dass Deutsch als zweite Fremdsprache empfohlen wird, war nicht so überraschend; die jetzigen Zahlen sagen schließlich eindeutig, dass 30 Prozent der Schüler Deutsch lernen. Die nächste Fremdsprache, die dann gelernt wird, ist mit zehn Prozent Russisch. Deutsch liegt also ziemlich klar an zweiter Stelle. Was uns aber überrascht hat war diese enge Motivation, für den Beruf und für die Karriere Deutsch zu lernen. Hier wird offensichtlich sehr pragmatisch gedacht.“

Gerade diese pragmatische Denkweise unter den Tschechen war für das Goethe-Institut nun ein Grund, ein neues Projekt zu starten: das Projekt „Deutsch für die Karriere“. Bei diesem Projekt sollen Schulen und Firmen, die Interesse an einer fachlichen Kommunikation in deutscher Sprache haben, näher zusammengebracht werden. Wie wir bereits berichtet haben, hatten sich vor den Sommerferien schon 15 Firmen sowie 28 Gymnasien und Berufsschulen für das Projekt gemeldet. Aus der Umfrage haben die Mitarbeiter des Goethe-Instituts zudem noch einen weiteren Grund erfahren, der sie in ihren Bemühungen zum Start von „Deutsch für die Karriere“ beflügelt hat:

Foto: Archiv Radio Prag
„In der Umfrage haben wir auch danach gefragt, ob denn bestimmte Perioden unserer gemeinsamen Geschichte davon abhalten, Deutsch zu lernen. Die Zahl derer, die gesagt haben, das sei ein Grund für sie, war allerdings erstaunlich niedrig. Diesen Grund haben besonders ältere Menschen vorgegeben, während für jüngere Leute das kein Grund mehr ist.“

In ihren weiteren Ausführungen bestätigte Heike Uhlig gegenüber Radio Prag auch die Aussage von Milan Mostýn, dass beim Erlernen einer Fremdsprache in Tschechien bislang fast ausschließlich Englisch im Vordergrund stand:

„Als wichtiger Grund aber, weshalb viele gesagt haben, sie haben kein Deutsch gelernt beziehungsweise lernen können, wurde sehr häufig angegeben, dass dieses Sprachfach an ihrer Schule gar nicht angeboten wurde. Und zweitens kommt dann noch hinzu, dass an den Schulen, wo Deutsch angeboten wurde, dies zumeist erst mit Beginn der siebten Klasse der Fall war.“

Mit ihrer Initiative wollen das Goethe-Institut und die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA), die in das Projekt involviert ist, jedoch nicht alleine auf weiter Flur bleiben. Schon im Herbst sollen die ersten Ergebnisse von „Deutsch für die Karriere“ präsentiert werden, verspricht Heike Uhlig:

„Wir haben auch vor, das zu präsentieren. Die ersten Beispiele wollen wir im Herbst vorstellen, um damit auch andere zu motivieren, in ähnlicher Weise aktiv zu werden.“