Wirtschaftsprofessor Milbradt: Eurozone, in der zweierlei Maß gilt, geht auf Dauer nicht

Georg Milbradt (Foto: bigbug21, Creative Commons 2.5)

Die „Štiříner Gespräche“, die jedes Jahr im Mai gemeinsam von der Konrad-Adenauer-Stiftung Prag und der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer veranstaltet werden, sind ein hochkarätig besetztes Wirtschaftsforum. Die Themen betreffen die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik, und zwar aus deutsch-tschechischer Sicht. Bei der 13. Auflage des Forums am Dienstag stand das Dilemma der Eurozone, die für Griechenland, Irland und Portugal bereits einen breiten Rettungsschirm aufspannen musste, im Mittelpunkt. Einer der beiden Hauptredner zu diesem Thema war der ehemalige Ministerpräsident des Freistaates Sachsen und Mitglied des Sächsischen Landtages, Georg Milbradt.

Georg Milbradt  (Foto: bigbug21,  Creative Commons 2.5)
Herr Milbradt, Sie haben in Ihrem Vortrag ausführlich darüber gesprochen, wie es zur Schieflage des Euro gekommen ist. Könnten Sie noch einmal kurz zusammenfassen, was die Knackpunkte für das jetzige Dilemma der Eurozone waren?

„Der Euro hat Ländern in der Peripherie erlaubt, unkontrolliert Kredite aufzunehmen. Das gilt sowohl für den Staat als auch für die Privaten. Dieses Geld ist im Wesentlichen nicht in Investitionen gesteckt worden, um damit die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sondern es ist vorzugsweise in den Konsum gelaufen. Das hat die Löhne und die Sozialleistungen nach oben gebracht. Jetzt aber sind diese Länder nicht mehr in der Lage, ohne die weitere Zuführung von fremdem Kapital zu überleben. Nun sind aber die Investoren nicht mehr bereit, diesen Ländern Geld zu geben, weil sie fürchten, das Geld nicht mehr zurückzubekommen. Deswegen wird es im Augenblick vom europäischen Steuerzahler auf die eine oder andere Art und Weise vorgestreckt. Das ist aber keine Lösung! Wir brauchen eine Lösung der wirtschaftlichen Situation in diesen Ländern, und das heißt zweierlei: Sie müssen zum Ersten restrukturiert und wettbewerbsfähig werden. Und das Zweite ist, es muss das gelten, was immer gilt: Man kann auf Dauer nur das ausgeben, was man auch einnimmt. Diese Maßnahmen sind bisher noch nicht durchgesetzt worden, sondern man gibt im Augenblick nur Geld, kauft Zeit, hat aber noch keine Lösung. Und das ist das Problem.“

Sie waren langjähriger Ministerpräsident in Sachsen und Sie können die Tschechische Republik dank ihrer politischen und wirtschaftlichen Kontakte auch relativ gut einschätzen. Deshalb will ich folgendes hinterfragen: Wir wissen ja nicht erst seit heute, wer die Falschspieler sind oder waren, die dafür verantwortlich sind, dass der Euro in diese Schieflage gekommen ist. Wäre denn die Tschechische Republik, wenn Sie der EU schon hätte eher beitreten können, ein besserer, weil prädestinierter Spieler gewesen für die Eurozone?

„Die ökonomischen Entwicklungen in Deutschland auf der einen Seite und Tschechien nach der Wende 1990 auf der anderen Seite sind durchaus ähnlich. Das heißt, es gibt eben diese grundsätzlichen Unterschiede in den Entwicklungen wie zwischen dem Euro-Kernraum und der Peripherie nicht. Deswegen ist es für die Tschechische Republik, für Polen oder auch die baltischen Länder sehr viel einfacher, die Kriterien zu erfüllen. Es gibt in diesen Ländern, möglicherweise auch als Erfahrung aus der kommunistischen Zeit, eine Stabilitätskultur. Man ist bereit, für Stabilität auch Opfer zu bringen. Und indem man Disziplin hält, haben diese Länder auch eine Grundvoraussetzung für eine Währungsunion geschaffen. Diese Situation ist in der Peripherie nicht gegeben, und ich sehe auch bei anderen Ländern bei weitem nicht, dass ein Beitritt zur Eurozone gegeben ist. Irgendwann wird sich nämlich auch die Frage stellen: Wie ist eigentlich mit Rumänien, mit Bulgarien, mit Albanien oder mit Serbien? Allein schon diese Aufzählung zeigt, dass es sehr viel einfacher ist, eine Europäische Union zu bauen als eine europäische Währungsunion. Dort müssen die Kriterien sehr viel genauer beobachtet werden, weil man sehr viel stärker voneinander abhängig ist. Deswegen sind die Fragen, die sich die Tschechen oder die tschechische Regierung stellen könnte: Sind wir bereit, uns an die Spielregeln zu halten? Sind wir zudem in der Lage, die Spielregeln zu beachten? Wenn ja, dann wird Tschechien auch beitreten. Allerdings werden die Tschechen dann genauso wie die Deutschen, die Österreicher, die Finnen oder die Niederländer Wert darauf legen, dass auch die anderen – nämlich die Südeuropäer – sich derselben Disziplin unterwerfen. Denn sonst ist das ja eine Einbahnstraße. Diese Diskussion führen wir gerade im Euroraum, und ich vermute, dass die tschechische Bevölkerung und die tschechische Regierung sehr genau beobachten, zu welchem Resultat das führt. Die Tschechische Republik ist noch kein Mitglied der Eurozone und kann sich daher sagen: Warten wir doch einmal ab, wie sich die Dinge entwickeln, in ein bis zwei Jahren sieht man weiter. Ich befürchte aber, dass wir noch nicht am Ende der Probleme mit den Schulden einiger Länder und einiger Privaten im Euro, und damit auch nicht am Ende der Eurokrise sind.“

Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International
Bei dem heutigen Forum konnten Sie auch die Diskussion unter den tschechischen Experten und Wirtschaftskapitänen verfolgen. Eine Diskussion, bei der es vor allem um diese Frage ging: Sollen wir (Tschechen) dem Euro und damit auch den Zahlungen zum Europakt beitreten oder sollen wir weiter abwarten? Wozu würden Sie der Tschechischen Republik raten?

„Es gibt im Augenblick keinen unmittelbaren Druck für die tschechische Regierung, das überstürzt zu machen. Es gibt natürlich von Seiten der internationalen Wirtschaft eine gewisse Erwartung, denn Euroraum bedeutet auch Wechselkursstabilität. Oder anders gesagt: Das Wechselkursrisiko fällt weg, was ein Vorteil ist. Das Zweite ist, was die Leute oft nicht wissen: Die nationalen Regierungen berauben sich eines Teils ihrer Möglichkeiten. Die Tschechen müssen daher sehen, dass sie mit dem Rest an politischem Arsenal, das sie haben, in der Lage sind, ihre Wirtschaft zu kontrollieren. Ich glaube schon, dass die Tschechen das durchaus können. Das Dritte ist: Die Tschechen werden natürlich aufgrund ihrer Interessenslage ein Verbündeter derjenigen Länder in der Eurozone sein, die für Stabilität stehen. Insofern kann Deutschland sich Tschechien eigentlich wünschen und sagen: Willkommen im Klub, wir brauchen noch ein paar Gleichgesinnte! Auf der anderen Seite heißt natürlich auch „Willkommen im Klub“, dass möglicherweise dann auch ein bisschen mehr gezahlt werden muss. Das muss die tschechische Regierung und die tschechische Bevölkerung selbst für sich entscheiden. Aber ohne Geld zu zahlen, wird es auch nicht gehen.“

Willkommen in dem alten Klub oder in einem neuen Klub, der – wie Sie bereits angedeutet haben – in ein, zwei Jahren entstehen könnte, wenn Deutschland und Frankreich die Wahlen hinter sich haben…

„Ich hoffe, dass innerhalb des Klubs die Klubsatzung geändert wird und dass man sehr viel strenger auf die Einhaltung der Regeln achten wird. Man hat die erste Maßnahme jetzt gemacht, aber die reicht meines Erachtens nach nicht aus. Man wird sicher sehen, dass in den nächsten Jahren nachgebessert werden muss. Und dann wird sich auch in dem jetzigen Euro-Klub entscheiden, ob die bisherigen Mitglieder wirklich bereit sind, sich an die Regeln auf Dauer zu halten. Ob sie in der Lage sind, die entsprechenden Reformen durchzuführen, meinetwegen Reformen in Griechenland oder Portugal. Reformen, die ja unsere sächsischen Nachbarn – Tschechien und Polen – nach der Wende 1990 schmerzhaft machen mussten. Aber diese Erfahrungen haben die Südländer nicht, und deswegen haben sie eben ihre alten Zöpfe noch nicht abgeschnitten. Wir (Sachsen) mussten sie abschneiden, sonst wären wir nicht wettbewerbsfähig geworden. Das fehlt noch in einem Teil der Westeuropäer, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Europa funktionieren wird, wenn für die alten westeuropäischen Mitglieder andere Regeln gelten als für die neuen Mitglieder, die durch die Osterweiterung hinzugekommen sind. Das wird auf Dauer nicht gehen, dass man mit zweierlei Maß misst.“